Paul Oskar Höcker

Die Rose Feuerzauber


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und das kleine Sparkassenbuch, das Fränze von ihr geerbt, hatte kaum die Kosten ihrer Berufsausbildung gedeckt. „Schwadroniert hat er mächtig, der Herr Vertreter“, sagte Onkel Julius. „Na ja, ‚Es-ist-erreicht‘-Schnurrbart. Jardeton. Kennst die Leutchen ja. Was er alles über die Ausstellung zu prophezeien wusste! Also keine Ahnung, dass uns hier etwa der Treptower Park damit verschandelt würde.“

      „Hab’ ich auch ohne den Herrn Vertreter nicht geglaubt, Onkelchen. Die landwirtschaftliche Wanderausstellung, die sie euch im vorigen Juni hier mitten in den Park hineingesetzt haben, hat doch keinen von euch Anliegern glücklich gemacht. Oder? Fünf Junitage sollte sie dauern, und vom März bis Mitte Juli war da drüben alles mit Zelten besetzt, mit Vieh, Geräten und Maschinen. Wie haben die Anlagen hernach ausgesehn! Und die neue Ausstellung würde ja noch viel grösser. Ich erinnere mich noch an das Gerede in Hamburg, als es hiess, die Berliner dächten nun schon gar an eine Weltausstellung.“

      „Längst überholt. Nein, das hat der Kaiser ja gleich im ‚Reichsanzeiger‘ erklären lassen: Dem Weltausstellungsplan werde nicht nähergetreten. Aber dass in Berlin für achtzehnhundertsechsundneunzig was Funkelnagelneues zustande kommen soll, das ist sicher. Ein Arbeitsausschuss ist schon lange dafür tätig. Die einen sind für Witzleben, das liegt im Westen von Charlottenburg, wo sich die Füchse gute Nacht sagen, die anderen für Treptow. Und ich weiss nicht, ich weiss nicht, ob es am Ende nicht doch ganz richtig wäre, wenn unsereiner — —“

      Fränze liess die Arbeit sinken und sah ihn listig forschend an. „Eben. Warum sitzt Herr Julius Bottschau nicht selbst im Arbeitsausschuss? Klügster Mann zwischen Berlin SO und Köpenick, in Mussestunden grosser Philosoph!“

      „Ach, Fränze: Kleiner Landschaftsgärtner bin ich, sonst nischt.“

      „Immer stellst du dein Licht unter den Scheffel. Deine Rosen! Die neue Züchtung!“

      „So was gelingt einem einmal, nun ja. Halber Zufall. Ein grosser Züchter lacht vielleicht darüber.“ Er tat einen langen Zug und setzte das leere Grogglas mitten auf den Tisch. „Du denkst am Ende, die Rose sollte ich ausstellen, die neue?“

      „Aber ja doch! Immerzu, Onkel Julius! Gleichgültig, wo. Ob hier in Treptow oder in Charlottenburg, wo sich die Füchse gute Nacht sagen. Es ist die erste zweifarbige Rose, die ich gesehn hab’. Auf Ehre, Onkel Julius! Innen lackrot, aussen wie Gold. Märchenhaft. Ich war zuerst fast erschrocken. Wenn die berühmten Händler die entdecken, kann es einen Welterfolg geben.“

      Er nickte. „Versuche mach’ ich damit nun schon im dritten Jahr. Als Hochstamm wie als Beetrose setzt sie sich tatsächlich durch.“

      „Ich bewundere deine Geduld, Onkelchen. Ich an deiner Stelle wäre schon gleich vor drei Jahren zum Ökonomierat Späth gelaufen oder zu einem der anderen Sachverständigen hier in der Mark. Der hätte dir die Rose doch mit Kusshand abgekauft.“

      „Tja. Möglich. Aber wenn ich sie nun auf einer Ausstellung vielen hunderttausend Menschen zeigen könnte, aus ganz Deutschland und dem Ausland, und gleich in tausend Exemplaren oder mehr — dann wäre das der Kusshand fast noch vorzuziehen, Kleine, wie?“

      „Grossartig, Onkel Julius!“ Sie nahm sein Glas und lief in die Küche, um ihm noch einen Grog zu brauen. Dabei pfiff sie nun wieder ihr ganzes reiches Repertoire. Natürlich meist Wagnermotive. In Hamburg hatte sie doch den „Ring“ gehört. Plötzlich stürmte sie durch die Tür bis zum Tisch zurück und sah mit ihren hellgrauen Augen den Rosenzüchter strahlend an. „Noch immer hast du ihr keinen Namen gegeben. Weisst du, wie sie heissen muss, die neue Kreuzung? ... Feuerzauber!“

      Das Wort klang gut. Es passte auch. Er entsann sich, dass sie ihm öfters schon von der Walküre und dem Siegfried erzählt hatte, auch von dem Flammenwunder des Feuerzaubers. Bescheidener als sie hatte er daran gedacht, seiner verstorbenen Frau die Rose zu widmen. Aber „Ilse“ — den Namen behielt man nicht so leicht. „Nicht übel: Feuerzauber. Bloss hab’ ich im Sommer bei Zenner, in der Spreewirtschaft drüben, wo die Pionierkapelle das Stück gespielt hat, mir die Ohren zuhalten müssen. Mit Wagner komm’ ich eben nicht mehr mit, verstehst du. Mozart ist mir lieber. Und der ‚Freischütz‘. Oder Lortzing.“

      Sogleich pfiff sie sein Lieblingslied: ‚Auch ich war ein Jüngling mit lockigem Haar —!‘ Dabei fuhr sie ihm in seine feste, grauweisse Frisur, die noch immer den alten Militärschnitt aufwies. Und dann sang sie das Motiv des Feuerzaubers. Ihre Stimme war jung und hell, ihre Begeisterung gross. Sie holte den Grog, probte, da er es wollte, schüttelte sich leicht und setzte das Glas vor ihn hin. „Feuerzauber! Es bleibt dabei?“

      „Aber vorläufig keiner Menschenseele verraten. Auch den Gehilfen nicht. Die dürfen noch keine Ahnung haben.“

      „Wetten wir, dass du auf der Ausstellung eine Medaille kriegst?“

      „Die kannst du dann als Brosche tragen, wenn du mal tanzen gehst.“

      Sie waren heute viel länger munter als sonst.

      „Weisst du, Fränze, den Auftrag für Heinrich Nidders und Co. werde ich lieber noch ein paarmal überschlafen“, sagte er, als er zu Bett ging. „Stellen wir die Rose aus, dann kostet das Platzmiete. Man müsste sie doch gleich in ein paar Beeten zeigen, im Boden gewachsen, nicht bloss in Töpfen.“

      „Und mittendrin ein hübscher Pavillon, Onkel Julius. Für den Schnittverkauf und für die Bestellungen.“

      „Teure Sache.“ Er kniff ein Auge zu. „In den Pavillon setzen wir natürlich einen bärbeissigen alten Herrn mit zertöppertem Knie, was meinste?“

      Sie öffnete beide Arme und verschlang die Hände im Nacken. „Ich bin ganz schrecklich glücklich, Onkel Julius!“ sagte sie.

      Die Berliner standen dem Gedanken einer grossen Ausstellung noch ziemlich gleichgültig gegenüber, mindestens abwartend. Für eine Weltausstellung waren überhaupt nur die verwegensten Spekulanten eingetreten. Man gönnte es ihnen, dass der Kaiser energisch abgeblasen hatte. Aber die Bewegung setzte etwas stärker ein, als ein Arbeitsausschuss zusammentrat und der Kampf um das Gelände begann. Die Berliner Innenstadt kam nicht in Frage, der Norden gehörte weit hinaus der Industrie, den Süden mit dem Tempelhofer Feld gab das Militär nicht her, es blieb also nur der äusserste Westen oder der äusserste Osten.

      Witzleben — oder Treptow? An den Stammtischen erörterte man die Frage, in den Zeitungen, in den Barbier- und Frisiersalons. Allgemach wurde man hitzig. Vor allem in Börsenkreisen, in den Gewerbevereinigungen, auch in verschiedenen Sitzungen der Stadtverordneten.

      Die führenden Industriefirmen vertraten durchaus entgegengesetzte Standpunkte. Der junge Fritz Nidders staunte über die Unmöglichkeit, wenigstens die Häuser, die verwandtschaftliche Beziehungen besassen, in einer solchen allgemeinen Frage unter ein Dach zu bringen. Es war jener Fritz Nidders, der von einem Vetter des Grossindustriellen E. F. W. Nidders stammte. Sein Vater hatte sich in München mit einem Mädchen aus ganz anderen Kreisen verheiratet und war im Siebziger Krieg gefallen. Nach dem Tode der Mutter hatte E. F. W. die Mittel hergegeben, um ihn etwas lernen zu lassen. Fritz war zunächst nach England geschickt worden, damit er seine Gassenbubengewohnheiten ablegte. Siebzehnjährig war er als wirklicher kleiner Gent aus Oxford zurückgekehrt. Inzwischen waren die beiden Söhne von E. F. W. der Scharlachepidemie erlegen, das Schicksal von Fritz Nidders lenkte plötzlich in ganz neue Bahnen; denn im Hause wuchsen drei hübsche blonde Töchter heran, von denen die eine oder andere einmal seine Frau werden konnte. Jedenfalls erhielt Fritz die Ausbildung, die für einen Leiter der Firma E. F. W. Nidders, Turtschenthal & Co. erforderlich erschien. Auf der Hochschule in Darmstadt sollte er sich alle theoretischen Kenntnisse im Wesen des modernen Gas- und Wasserleitungsbaus und der Kanalisation aneignen. Zur praktischen Ausbildung kam er darauf nach Glasgow und London. Hier beschäftigte er sich aber eher mit architektonischen Studien, was E. F. W. Nidders nicht billigte. Fritz wurde also früher, als er erwartet hatte, nach Charlottenburg zurückgerufen, um sich der Arbeit im Geschäft zu widmen.

      Im Hause seines Onkels hatte sich in den letzten vier Jahren abermals allerhand geändert.

      Dora, die älteste Tochter, war die Ehe mit dem jungen Turtschenthal eingegangen,