Will Berthold

Die ehrenwerten Diebe


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Gegner sein. Freilich konnte er nicht wissen, daß ich mir ein Telefongerät dreimal anzusehen pflegte, bevor ich es einmal benutzte.

      Vielleicht ginge die Reise über Land. Ich wählte den schweren Jaguar, fuhr am Ostufer des Starnberger Sees entlang, erreichte über Percha die Autobahn nach München, stellte fest, daß ich nicht verfolgt wurde, und trat das Gaspedal durch.

      In wenigen Minuten erreichte ich den Stadtrand von München, verließ den Mittleren Ring, zwängte meinen Wagen durch ein Gewirr kleiner Gassen und fand eine Telefonzelle, die von Häusern wie von Wächtern umstellt war.

      Ich läutete Bonn an; die Geheimnummer des Ministerialrats hatte ich im Kopf; ich konnte unter Umgehung des Vorzimmers direkt mit ihm sprechen.

      »Es brennt«, sagte er in seiner knappen Art. »Können Sie die Maschine um neun Uhr einundzwanzig nach Köln-Wahn noch erreichen?«

      »Mit etwas Glück«, entgegnete ich.

      »Ich habe einen Platz für Sie gebucht«, schloß er das Gespräch. »Mein Fahrer wird Sie abholen.«

      Ich fuhr zügig zum Flughafen München-Riem und rollte dabei mitten in mein vorderhand interessantestes Abenteuer.

      Am Flugplatz passierte ich die üblichen Kontrollen zum Schutz vor Luft-Piraterie, ungeduldig, doch gefügig ließ ich sie über mich ergehen: Schließlich sollte der Düsenriese auf dem deutschen Regierungsflughafen und nicht in der Wüste hinter Amman landen.

      Ich stapfte über das Rollfeld, kletterte über die Bodentreppe in den gedrungenen Rumpf der Maschine, schnallte mich an und las eine Tageszeitung. Ich kam nicht weit.

      Hübsche, wippende Beine irritierten mich, sie waren lang und wirkten irgendwie melodiös, mustergültig geformt, und sie wuchsen aus hochhakkigen Schuhen schier endlos nach oben.

      Die Sitzlehnen beschnitten mein Blickfeld, ich konnte nur die Beine sehen, die im Mittelgang auf und ab gingen, flott, stelzend, überlang.

      Sie mußten der Stewardeß gehören, von der sonst nichts zu sehen war.

      Unvermittelt beugte sich ein lächelndes Gesicht über mich.

      »Tag, Mike«, sagte die dunkelhaarige Bordfee mit den tiefblauen Augen. »Freut mich, daß wir wieder einmal miteinander fliegen.«

      »Ganz meinerseits, Ellen«, sagte ich zu der Stewardeß vieler Flüge und Bekannten einiger Drinks in den Vertragshotels der Lufthansa. »Ich konnte dich nicht an deinen Beinen erkennen. Entweder lassen meine Augen nach, oder es gibt zu viele hübsche …«

      »Das muß ja richtig beinlich sein für einen Mann«, erwiderte die Stewardeß lachend und ging weiter.

      Der Jet donnerte über die Zementpiste, die Schnauze bohrte sich schräg in den Himmel, die Boeing ging auf Kurs.

      Keiner meiner Mitreisenden trug ein bekanntes Gesicht.

      Ich war ziemlich sicher, nicht beschattet zu werden.

      Seit gut zehn Jahren sammelte ich diesbezügliche Erfahrungen, so häufig, daß ich zu einem As der industriellen Spionage-Abwehr geworden war.

      Über die Schlachten dieser heißen Front schweigen die Zeitungen, denn es kommt fast nie zu Gerichtsverhandlungen. Falls man aber doch über die Täter in den weißen Hemden zu Gericht sitzt, kommen oft lächerliche Strafen heraus.

      Die Situation will es, daß die Justiz mit veralteten Gesetzen gegen den modernsten Zweig des Verbrechens vorgeht. Während den Männern auf der Anklagebank ein ganzes Arsenal raffinierter elektronischer Erfüllungsgehilfen zur Verfügung steht, kämpft Justitia noch immer mit Pfeil und Bogen.

      Alljährlich werden zwischen den Alpen und der Nordsee an die 50000 Wanzen verkauft, wie man die Abhörgeräte nennt: Es gibt in Kugelschreiber eingebaute Mikrofone, ganze Spionage-Koffer, Wanzen im Aschenbecher, Hochleistungs-Mikrofone mit einer Betriebsdauer von 150 Stunden auf eine Entfernung von 250 Metern. Mehr als zwei Dutzend Händler haben sich auf den Verkauf von Mini-Spionen spezialisiert und sichern sich durch das Kleingedruckte ab:

      Der besteller wird darauf hingewiesen, dass in der bundesrepublik mikro-elektronik-geräte ohne export- und ausfuhr-nach-weis erworben, jedoch nicht in betrieb genommen werden dürfen.

      Auf deutsch heißt das: Wasch mich, aber mach mich nicht naß.

      Und so kam zum Beispiel Bundesanwalt Felix Kaul zu der Feststellung, daß die ehrenwerten Diebe heute in der Lage sind, ›das gesamte wissenschaftliche und technische Potential der Bundesrepublik auszuforschen‹.

      Schon bei einem meiner ersten Aufträge – die deutsche Tochterfirma eines US Chemie-Giganten hatte sich an mich um Hilfe gewandt – stellte ich fest, daß durch den Diebstahl eines neuen antibiotischen Medikaments dem Konzern ein unwiederbringlicher Schaden von hundert Millionen Dollar entstanden war.

      Seitdem hetzten mich die Aufträge.

      Ich reiste kreuz und quer.

      Meine Spesen waren üppig, doch Geld interessierte mich weniger als ein gespenstisches Phänomen unserer Zeit. Eine Seuche, ansteckend wie die Pest, grassierend unter dem Motto: Die Konkurrenz schläft nicht, die Konkurrenz spioniert.

      Ich stieß auf eine russische Denkschrift, in der behauptet wurde, daß die westliche Welt an der Industrie-Spionage zugrunde gehen würde.

      Ich erlebte aber auch, daß auf Kongressen Amerikaner und Russen Schulter an Schulter gegen den Verrat ihrer technischen, elektronischen, chemischen und biologischen Geheimnisse kämpften.

      Ich will mich nicht bescheidener geben als ich bin: In dieser unsichtbaren Drecklinie wurde ich zu einer Kapazität, fast zu einer Institution. Ich machte Fabrikmauern undurchsichtig, ich beriet die Unternehmer, wie sie Forschungslabors gegen die Außenwelt abschirmen, wie sie Experimentier-Werkstätten schalldicht und kamerablind machen könnten.

      Bei allen meinen Fällen stand ich auf dem Boden des Gesetzes, auf der Seite der Bedrängten.

      Wenn ich auch bei der Wahl meiner Methoden nicht gerade zimperlich bin – ein bißchen Michael Kohlhaas ist immer dabei.

      Mein seltsamer, selbstgewählter, faszinierender und verdammter Beruf forderte mir freilich eine harte Diät vom Leben ab: Keine Familie. Wenig Freunde. Noch weniger Frauen und für die wenigen Freunde und noch weniger Frauen am wenigsten Zeit.

      Wir flogen mit Rückenwind, eine Schönwetterbrücke trug uns, sechs Minuten vor der Zeit landeten wir in Köln-Wahn.

      Ich verabschiedete mich mit sanftem Bedauern von Ellen, stapfte durch die Sperre und erkannte unter den Wartenden den Fahrer von Siebener.

      Er ging stumm voraus, ich folgte ihm.

      Er hielt den Wagenschlag, er wußte, daß ich vorne neben ihm Platz nehmen würde, und erst als ich mich gesetzt und die Tür geschlossen hatte, begrüßte er mich: »Guten Tag, Herr Fabian.«

      Er sprach kein Wort mehr auf der Fahrt nach Bonn.

      Er bog in den Hof des Ministeriums ein, stieg aus:

      »Ich darf Sie zum Herrn Ministerialrat …«, lud er mich ein.

      Der Mann geleitete mich nicht in das Büro Siebeners, sondern in einen der abhörsicheren Räume, die es jetzt fast in allen Bonner Ministerien gab. Dem Laien mögen solcherlei Maßnahmen übertrieben, ja sogar ein wenig lächerlich vorkommen, aber amerikanische Firmen sind längst dazu übergegangen, zerlegbare Konferenzräume zu schaffen, die vor wichtigen Besprechungen Millimeter um Millimeter durchröntgt werden.

      »Fein, daß ich Sie erreicht habe«, begrüßte mich der hohe Beamte. »Sie kennen Herrn von Kettener?«

      Als mir der Generaldirektor der ELUX-Werke die Hand reichte, wußte ich, daß es sich bei diesem Auftrag um eine elektronische Erfindung handeln mußte, mein ganz spezielles Fachgebiet.

      »Die Hamburger ELUX-Werke haben sich mit einem Hilferuf an das Bundes-Wirtschaftsministerium gewandt«, erläuterte Siebener. »Wenn wir diese mysteriöse