Clara Viebig

Elisabeth Reinharz' Ehe. Es lebe die Kunst!


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vom Sohn des Bauern, bei dem sie dient, verführt und verlassen. Sie verbirgt sich mit ihrem Kinde im Walde, sie friert, sie hungert ...“

      „Hören Sie auf, hören Sie auf!“ Bolten trommelte ungeduldig auf den Tisch. „Ne! Ne-ne-ne-ne, das ist nichts für uns! Gott bewahre! Ein uneheliches Kind! Wie kann ich das meinen Leserinnen zumuten. Bauerngeschichten sind ohnehin schon abgedroschen, gar nicht mehr Mode. Und dann so romantisch, im Walde versteckt! Heutzutage versteckt sich keine mehr im Walde. Hahaha!“ Er lachte, dass man alle seine Nussknackerzähne sah. „Liebes Fräulein, wissen Sie was?“ Er langte hinter sich. „Da, nehmen Sie gleich Ihr Manuskript wieder mit, was soll ich mir erst die Mühe machen.“

      Er hielt inne, ihr zitternder Atem streifte ihn, ihre grossen, sprechenden Augen sahen ihn tränenverschleiert an.

      „Mag ja ganz literarisch sein“, meinte er gutmütig. „Sie haben Talent, hat man mir gesagt. Aber schreiben Sie mal was aus dem wirklichen Leben, was allgemein interessiert. Am liebsten was Nettes, Fesches, ’ne Humoreske zum Beispiel; Tragisches will kein Mensch lesen. Und dann nicht diese Bauernatmosphäre. Verrohen Sie Ihr Talent nicht, mein Fräulein, die Kunst muss vornehm sein. Wenn ich Ihnen raten soll, lesen Sie viel von der Rosen und von der Widmann — grossartig, einfach grossartig! Bei der Lindenhayn tritt das Erotische in letzter Zeit etwas zu unverhüllt zutage. Wissen Sie, Fräulein, der Schriftsteller kann alles sagen, alles geschehen lassen ...“, Bolten redete sich ordentlich in Eifer, „muss er sogar, der Leser will sich doch nicht langweilen. Aber verblümt. Nicht gleich mit unehelichen Kindern um sich schmeissen. Solche Geschichten — ah, bah!“

      „Aber sie sind wahr.“ Des Mädchens Augen schwammen nicht mehr in Tränen, gross und ernst sahen sie den Redakteur an.

      „Wahr, wahr! Was heisst wahr?!“ Er zuckte die Achseln. „Die Kunst soll in erster Linie schön sein. Hier,“ er hielt die Korrekturfahne des Rosenschen Romans in die Höhe, „hier können Sie was draus lernen. Und lesen Sie die Widmann, die fasst auch nicht gerade mit Glacéhandschuhen an. Aber der Zweck heiligt die Mittel; sie beschäftigt sich eben mit der brennendsten Frage der Gegenwart: der Frauenfrage. Lernen, liebes Fräulein, lernen.“ Er reichte ihr die Hand, sie tat ihm leid, sie stand wie niedergeschmettert. „Bringen Sie mir die Humoreske. Bedenken Sie,“ er streckte pathetisch den Arm in die Höhe, „ernst ist das Leben, heiter die Kunst!“ Und dann in geschäftlichem Ton: „Nicht zu lang, ungefähr dreihundert bis dreihundertfünfzig Druckzeilen, anmutig, im Salon spielend, verstanden?“

      „Ich kann das nicht“, sagte sie. Sie hob stolz den Kopf. „Ich werde das nie können!“

      Sie ging. Wie sie die Treppe hinuntergekommen, wusste sie selbst nicht; es fasste sie wie ein Schwindel. Das war die Kunst? Das war der Weg? Sie presste ihr Manuskript an sich wie ein geliebtes Kind.

      Langsam ging sie durch die Strassen, die Menschen hasteten, sie wurde gestossen, sie merkte es nicht. Strassenbahnen klingelten, Droschken rollten; Getrappel, Peitschenknallen, Zurufe, bunte Läden, Menschen, Frauen, Kinder. Eine Fülle von Dingen, eine ununterbrochene Reihe von Gestalten, von Existenzen aller Art.

      Der Strom des Lebens flutete mächtig in der grossen Stadt, und sie mitten darin. Einsam. Sie fühlte sich einsam; zum erstenmal.

      Da floss der Kanal; Bäume standen am Ufer, Bäume, die emporstrebten, die Äste sehnsüchtig nach Licht und Luft reckten. Elisabeth blieb stehen. Langsam sank die Dämmerung nieder. Das Wasser floss schwarz, von keinem Wellchen bewegt. Kein Windhauch. Abend.

      Ihr Blick suchte den Himmel, der spannte sich hoch droben überm Kanal mit bleichgrauen Wolken — da, mitten dazwischen ein Stern, unbeweglich, klar und golden.

      Des Mädchens Lippen schlossen sich fest aufeinander, sie liessen den Seufzer nicht durch. Wie hatte der alte Prediger in der Dorfkirche gesagt? „Die Pforte ist eng, der Weg ist schmal, wenige sind ihrer, die ihn finden.“

      „Ich werde ihn finden!“

      Finden ...? Eine Frage, ein Echo verschwebten.

      Elisabeth schrak zusammen; hatte sie laut gesprochen? Mit ernstem Blick kam sie nach Hause.

      „Nu, Fräuleinchen, was hat er gesagt?“ Mile starb fast vor Neugier. „Der hat sich wohl nich schlecht gefreut?“ Mile durfte sich schon die Frage erlauben, sie war ein altes Faktotum, das jahrelang in des Onkels Haushalt gewirtschaftet und Elisabeth die ersten Stricknadeln zwischen die Kinderfinger geklemmt hatte.

      „Es hat ihm nicht gefallen.“ Elisabeth setzte sich in die Sofaecke und lehnte den Kopf ans Polster.

      „Wieso nicht gefallen?“ Mile sah aus wie eine Gluckhenne, die das Gefieder sträubt, weil unbefugte Hände ihrem Küchlein zu nahe kommen. „Nich gefallen? Ich habe Blätter von der Geschichte aus dem Papierkorb ’rausgesucht, ich habe sie gelesen.“ Sie zeigte mit dem knochigen Finger: „Da wohnt der im Dorf — da der! Und die Anna, die! Ich kenne sie alle. Die haben’s mal tüchtig gekriegt, die liederliche Pakkasche. Und der will sagen, das wäre nicht schön? Der?“

      „Ruhig, Mile!“ sagte Elisabeth mit einem wehmütigen Lächeln. „Ich bitte dich, sei jetzt ruhig.“

      Mile ging kopfschüttelnd hinaus.

      Elisabeth sass regungslos. Weltenweit, weltenfern — wo hatte sie denn gelebt, dass sie nicht wusste, wie die Menschen denken, was ihnen gefällt und was ihnen nicht gefällt?

      Sie rüttelte sich und sah um sich wie jemand, der aus dem Traum erwacht und sich nicht in der Wirklichkeit zurechtfinden kann.

      3.

      Wolfgang Eisenlohr, der berühmte Dichter, sass in seiner Studierstube. Sie lag nach dem Garten hinaus, durch den langen Korridor von der übrigen Wohnung getrennt. Eine breite Glastür mit grünseidenen Gardinchen führte auf den Altan; Blumen und Palmen blühten und grünten dort in verschwenderischer Fülle.

      Drinnen alles verschleiert, kein Strahl hellen Lichtes. Ganz Stimmung. Der rechte lauschige Winkel für einen Poeten. Von der Decke schwebte ein ausgestopfter Adler mit gespreizten Riesenfängen, um den Schreibtisch standen abgehauene Tannen in geschickt verborgenen Wasserkübeln. Der Dichter liebte es, im Grünen zu arbeiten; seine Phantasie versetzte ihn dann in den Gebirgswald, wo der Adler horstet und der kühne Wanderer aus einsamer Höhe stolz auf die Menschheit hinunterblickt.

      Eisenlohr schrieb eine grossartige Naturschilderung, das erste Kapitel seines neuen Romans. Die sterbenden Tannen dufteten stärker in der Treibhauswärme des Gemachs, Harztränen tropften an ihren Stämmen nieder, ihre Nadeln fielen leis knisternd.

      In den Dichterohren rauschten Föhrenwälder, kreischte der Adler hoch über der Klippe, die noch kein Menschenfuss betrat. Eisenlohr war ganz in Stimmung.

      Da — draussen wehklagendes Kindergeheul. Noch einmal, angstvoll, schrill, im höchsten Diskant.

      Er riss die Tür auf. „Ruhe!“

      „O Monsieur!“ Die französische Bonne stürzte atemlos herein. „Excusez, mille fois pardon! Elsa hat sich gefallen ein Loch, mon Dieu!“

      „Ungezogene Jöhre.“ Eisenlohr warf krachend die Tür ins Schloss. „Ruhe!“

      Das Geheul verstummte sofort, die Bonne hatte nur geflüstert: „St—st! Monsieur dichtet!“

      Der Papa dichtet. Die vierjährige Elsa wusste sehr wohl, was das bedeutet. Sie presste ihre Lippen aufeinander und verbiss den Schmerz. Sie war eine Dichterstochter und wusste, was sie ihrem Vater schuldig war; er hatte nicht umsonst den wunderbaren Liederzyklus „Mein Sonnenkind“ an sie gerichtet.

      Die Föhren rauschten wieder, Moos und Gerank krochen die Felsen hinan, liebevoll blickte das Dichterauge auf das geringste Pflänzchen. Da, schon wieder eine Störung! Es klopfte.

      Er schrieb weiter. Er hörte nicht, wollte nicht hören.

      Noch einmal ein schüchternes Pochen.

      „Zum Donnerwetter, herein!“

      Der Diener brachte eine Karte. „Herr