Clara Viebig

Elisabeth Reinharz' Ehe. Es lebe die Kunst!


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Idee gezeitigt. Wir wollen anfangs Sommer, ehe alle Welt auf Reisen ist, einen Unterhaltungsabend geben, öffentlich. Mia Widmann hält einen Vortrag. Dann folgen lebende Bilder: Szenen aus dem Leben der Frau, mit Erläuterungen, ebenfalls von der Widmann verfasst und von Fräulein Starzynska und der Maschka vorgetragen. Beide Damen sowie Fräulein Rosen haben in opferfreudiger Weise auch ihre Person für die lebenden Bilder zugesagt.“

      „Sehr opferfreudig.“

      „Dann, und das ist der Glanzpunkt — sagen Sie nicht nein, sagen Sie nicht nein!“ Lebhaft ergriff sie seine beiden Hände. „Sie, Sie müssen ja Fühlung für die Leiden der Frau haben!“

      Er hatte keine Hand frei und konnte so sein Lächeln nicht verbergen.

      Sie sprach mit glühenden Wangen weiter: „Sie als Künder der feinsten Regungen der Seele werden der Frau nachempfinden können, die in der Ehe schmachtet. Dem Schmerz des Mädchens, das der Geliebte ungestraft verlassen darf, werden Sie ergreifende Worte leihen. Sie werden für die Sehnsucht der Arbeiterin, die täglich das Martyrium der Arbeit von neuem beginnt, den rechten Ton finden. Sie sind der einzige, der das kann. Dichten Sie uns etwas!“ Sie faltete die Hände. „Die Maschka wird’s vortragen oder die Starzynska, welche von beiden Sie wählen. Man wird Sie vorrufen, vorjubeln. Während Sie sich verneigen, erscheint ein junges Mädchen im Engelsgewand und reicht Ihnen huldigend einen Kranz roter Rosen, den Dank der Frauen.“ Sie hatte sich ganz in Begeisterung geredet.

      Sein Lächeln wurde so stark, dass er den Kopf zur Seite wandte.

      Sie sah sein edles Profil. „Es muss wirken!“ sagte sie.

      Er war nicht ganz so abgeneigt, als sie gefürchtet hatte.

      Frau Mannhardts Kutscher musste unten vor dem Hause lange warten; er sah schon unruhig nach den Fenstern, der feurige Braune wollte nicht länger stehen.

      Eisenlohr war liebenswürdig genug, sich alles bis auf die kleinste Kleinigkeit erzählen zu lassen. Er griff sich an die Stirn — nun kam ihm schon eine glückliche Idee. Er sann.

      Frau Leonore sass auf dem Sofa und wagte nicht, sich zu rühren. Voller Andacht sah sie zu dem Dichter auf.

      „Und die Einnahmen?“ fragte er. „Ich zweifle nicht, dass sie gross sein werden.“

      „Sie bilden den Fonds des Vereins. Ihre Mitwirkung würde uns Summen sichern!“

      „Ja, recht schön, aber ich weiss wirklich nicht ...“ Er zögerte noch immer.

      „Sagen Sie zu!“ bat sie dringend. „Ein Engel wird Sie belohnen. Sie tun nebenbei noch ein zweites gutes Werk. Diesen Engel wird mein Schützling vorstellen, eine junge, talentvolle Schriftstellerin.“

      „Schon wieder eine“, murmelte Eisenlohr.

      „Sie ist unbekannt. Wird ihr Name mit dem Ihrigen zusammen genannt, so ist sie bekannt mit einem Schlag. Ein junges Ding, wildfremd in der grossen Stadt — was können Sie aus ihr machen!“

      „Ich habe wirklich so wenig Zeit.“ Eisenlohr schien plötzlich das Interesse verloren zu haben. „Meine liebe gnädige Frau, ich bin wirklich nicht in der Lage, alle Schriftstellerinnen zu protegieren.“

      „Ach, tun Sie’s!“ bat Leonore mit Tränen in den Augen. „Sie verpflichten mich allerpersönlichst. Elisabeth Reinharz ist mein Schützling, meine Freundin, ich verspreche mir Grosses von ihr. Sie ist so talentvoll. Und frisch, unberührt, reizend!“

      Der Dichter strich sich das Kinn. „Nun, weil Sie mich bitten“, sagte er endlich.

      Er begleitete sie bis zur Tür, bis zur Treppe, bis zur Haustür hinunter. Er half ihr in den Wagen. Noch ein Handkuss, eine Verbeugung.

      Lächelnd, strahlend vor heimlichem Stolz fuhr Frau Leonore Mannhardt davon.

      4.

      Elisabeth Reinharz war auf dem Weg zum Verlagsbuchhändler Maier.

      Sie hatte sich endlich ein Herz gefasst und ihm vor einigen Tagen mehrere Manuskripte zugeschickt, darunter das von Bolten zurückgewiesene. Nirgendwo hatte sie es untergebracht, obgleich Kistemacher seine Freunde, die Redakteure, persönlich aufgesucht und sie, kraft seiner Behandlung zu Künstlerpreisen, um Annahme ersucht hatte.

      „Ich sagte es Ihnen ja gleich, Fräulein Reinharz,“ hatte Kistemacher zuletzt gesagt, „einiges hätten Sie anders machen müssen. Wir wollen es mal durchgehen. Ändern Sie, was ich Ihnen sage. Die Leute müssten Esel sein, wenn sie es dann nicht nähmen.“ Er war etwas beleidigt, als Elisabeth auf die Änderungen nicht eingehen wollte.

      „Ich kann nicht“, hatte sie gesagt. „Und wenn ich’s nicht anbringe!“

      „Ich bitte Sie, Sie können doch ein bisschen mildern.“

      Sie hatte nichts geändert, wenn Herr Kistemacher sie auch „eigensinnig“ nannte. Mit pochendem Herzen hatte sie die Arbeiten eingepackt und in ein paar beigelegten Zeilen sich Herrn Maier wieder ins Gedächtnis zurückgerufen. Er hatte ihr damals nicht geschrieben, trotzdem er sich ihre Adresse vermerkte.

      Aber nun schrieb er, überraschend bald, nach ein paar Tagen. Er habe ihre Arbeiten gelesen, er bitte sie, ihn an einem der nächsten Tage vormittags in seinem Bureau zu besuchen.

      Atemlos war sie zu Kistemachers gerannt, den Brief wie eine Siegesfahne schwingend.

      „Warten Sie lieber noch ein paar Tage,“ riet Herr Kistemacher, „nur nicht so übereifrig! Meine Patienten lasse ich auch erst immer ein bisschen im Vorzimmer sitzen.“

      „Das ist doch kein Vergleich“, sagte Elisabeth. Sie war einigermassen verletzt; zum erstenmal fiel es ihr auf, dass Kistemacher eigentlich nicht das grösste Feingefühl besass. Aber sie konnte ihm nicht böse sein, sie war gerührt, denn er entliess sie mit so viel gutgemeinten Ratschlägen und Ermahnungen, wie ein Vater seine Tochter. „Nur nicht übereilen! Die Verleger sehen schon, wo sie bleiben. Wenn er Ihnen ein Honorar bietet, verlangen Sie ruhig die Hälfte mehr. Schade, dass ich nicht mitgehen kann, es wäre besser.“

      Luftschlösser mit goldenen Zinnen bauten sich auf vor Elisabeth, als sie zu Herrn Maier ging. Der Weg zur Königgrätzer Strasse wurde ihr nicht lang; ihr Gesicht war heiter, ihr Schritt zuversichtlich.

      Ihre derben Lederschuhe traten fest aufs Trottoir, über der frisch gestärkten Leinenbluse blühten die runden Wangen, der Mund lächelte. Die Vorübergehenden sahen sich nach ihr um.

      Sie summte sich leise eins; am liebsten hätte sie gepfiffen, lustig, hell und durchdringend, wie die Burschen auf dem Feld, wenn der Schatz naht. Eine Ahnung kommenden Glücks war in ihr; schon fühlte sie seinen Flügelschlag.

      Es war nicht das Herrn Kistemacher so beunruhigende Honorar; das lockte sie nicht, o nein, etwas ganz anderes — sie konnte es sich selbst nicht nennen. Etwas ganz Unbeschreibbares, Unaussprechliches schwebte ihr vor im Wachen und im Traum. Es webte tausend Fäden um ihre Seele und verstrickte die ganz darein. Sie konnte nicht anders, sie zitterte nach jenem ungenannten Grossen.

      Schaffen, wie es Gott getan am ersten Schöpfungsmorgen mit segenbringender Schöpferhand, schaffen mit nie ermüdender Lust! Leben, Leben, wohin man sieht. Nichts Kaltes, nichts Totes: die Fluren leben, jeder Grashalm hat eine Seele, jeder Stein. Und Stimmen flüstern im Windhauch, jauchzen, grollen im Sturm. Gestalten kommen und gehen, unverhüllt, nackt wie Adam und Eva — man sieht ihnen bis ins tiefste Herz.

      „Menschen! Meine Menschen!“ Über des Mädchens lächelndes Gesicht glitt ein liebevoll warmer Ausdruck. Das Blut schoss ihr in die Wangen, sie fühlte einen Strom der Liebe zu ihrem Herzen dringen. Da war keiner zu gering. Sie hatte mit den Tagelöhnerkindern gespielt und Blicke in die Häuslerstuben getan; sie kannte sie alle da draussen, ihre Leiden, ihre Freuden. Und unsichtbare und doch starke Fäden leiteten von da herüber in die grosse Stadt — Menschen sind Menschen. Selig, wer die Kraft hat, sie zu schildern. Selig, wer mit ihnen lacht, selig, wer mit ihnen weint.

      Elisabeth presste die Hände ineinander, der starke Atem schwellte ihr die