Millionär wäre, würde ich mich keinen Augenblick besinnen, Ihr Buch zu nehmen, lieber Erdmann!“
Was Erdmann sagte, war nicht zu verstehen. Heider lief in der Stube auf und ab, das Knarren seiner Stiefel übertönte jedes Wort, jetzt blieb er stehen. „Dann pfeife ich auf die Verleger!“
„Kobes, Kobes!“ Erdmann rief’s ängstlich.
„Ach was, lass mich nur meinem Herzen Luft machen! Wenn Sie nicht mal was riskieren wollen, Herr Maier!“
Elisabeth musste vor sich hinlachen; sie hatte kein rechtes Verständnis für das Gespräch nebenan, die Empörung Heiders kam ihr komisch vor. Es interessierte sie gar nicht, zu lauschen. Sie hielt sich die Hände vor die Ohren — was ging sie das Gespräch da drinnen an? Sie lauschte dem Freudenlied, das immerfort in ihr erklang. Draussen lag Sonnenschein auf verstaubtem Asphalt, ein ganzes Meer von Sonnenlicht; sie starrte mit glänzenden Augen hinein und träumte herrliche, nicht zu beschreibende Träume eines grossen, unnennbaren Glückes. Die Hände sanken ihr von den Ohren; sie wusste selbst nicht, dass sie sie inbrünstig ineinanderfaltete.
Nebenan lenkte das Gespräch in ruhigere Bahnen. „Liebe Kinder,“ sagte Herr Maier, „ich tue, was ich kann. Meint ihr, es ist ’ne Wonne, berühmte Namen zu verlegen? Ich will keinen nennen, aber ich sage euch, manchmal bin ich ganz marode. Eine saure Arbeit. Und ihr macht mir noch Vorwürfe? Ich brauche einen grossen Schlager, wenn ich meine jungen Autoren anbringen will. So einer, der zieht, reisst eine Menge anderer mit sich. Ihr müsst Euch an den berühmten Namen kleben wie Austern an den Felsen. Und wenn ihr das nicht wollt, dann ...“
„Dann werden wir eben etwas später berühmt“, sagte Heider.
Und Erdmann setzte hinzu, lauter, als er bisher gesprochen hatte: „Nein, bitte, Herr Maier, ich weiss, Sie meinen es gut mit uns, aber von so einem ins Schlepptau genommen werden, das passt uns nicht.“ Er klemmte sein Manuskript wieder unter den Arm. „Komm, Kobes!“
„Warte!“ Heider lief zum Nebenzimmer. „Empfehle mich, gnädiges Fräulein! Viel Vergnügen auf der halsbrecherischen Leiter!“
„Oh, ich kann gut klettern!“ sagte sie rasch und trat zu ihm. „Ich werde mich auch empfehlen.“ Sie ging auf Herrn Maier zu und sah ihn fragend an.
„Es wäre weiter nichts zu besprechen, ich setze den Kontrakt auf. Sie können ihn demnächst einsehen.“ Er reichte ihr die Hand. „Auf Wiedersehen!“
Sie gingen alle drei miteinander fort. Unten auf der Strasse stiess Heider einen Seufzer aus. „Kein Vorschuss! Mein Fräulein, haben Sie sich schon mal in der unangenehmen Lage befunden, Geld zu brauchen und keins zu haben?“ Sie sah ihn erstaunt an.
Er lachte. „Also nicht, sonst würden Sie keine so grossen Augen machen!“ Zutraulich ging er neben ihr her, mit den Armen schlenkernd wie ein Schuljunge. Er hatte eine Art, die ihr fremd war, eine gewisse Dreistigkeit, die doch nicht verletzte.
Ihr Weg war der gleiche. Elisabeth ging zwischen den beiden jungen Männern. Hier in der freien Luft war Erdmann weniger schüchtern als im Zimmer des Verlegers. Sie sprachen von Maier.
„Ein anständiger Kerl!“ sagte Heider. „Er hat uns schon oft Vorschuss gegeben. Man konnte ihn heute wirklich nicht mehr drängen.“
Erdmann lächelte wehmütig, hielt seine lange Gestalt vornübergebeugt und hüstelte. „Ich bin dir jetzt schon dreihundert Mark schuldig, Kobes!“
„So? Davon weiss ich gar nichts.“ Heider tat sehr erstaunt. „Und wenn du sie mir schuldig wärest, was wäre da? Du bist mir sicher, Erdmännchen.“ Er wandte sich erklärend zu Elisabeth: „Wir hausen zusammen. Wir haben einen Tisch mit einer Schieblade, in die tut Geld, wer gerade welches hat. Das ist unsere Schatzkammer, wir greifen nur so hinein; wenn’s alle ist, ist’s eben alle!“
Erdmann war bedrückt, er schüttelte den Kopf. „Wenn du nicht Übersetzungen machtest und Kritiken schriebest und auf der Redaktion arbeitetest, dann ...“
„Dann wäre ich faul!“ schnitt ihm der andere rasch die Rede ab. „Lass gut sein, altes Haus, du wirst noch mal so berühmt, dass dir die Verleger nachlaufen.“
„Ich erlebe es nicht!“ murmelte Erdmann. Es fiel Elisabeth auf, wie verfallen er plötzlich aussah. „Ich bin nicht ganz wohl,“ er deutete ihren mitleidigen Blick recht, „ich habe ein paar Tage gelegen, habe mich heute nur aufgerafft.“ Er seufzte. „Wenn Maier das Ding genommen hätte, wäre ich gesund geworden.“
„Er ist ein Genie!“ flüsterte Heider dem Mädchen zu. „Die Zeit ist nur noch nicht reif für ihn!“ Sein bewundernder und zugleich besorgter Blick streifte den Freund. „Du darfst dich nicht so abarbeiten, du bist das der Welt schuldig.“
Erdmann hörte ihn nicht; er ging, den Kopf tief geneigt. Sein Manuskript presste er unter den Arm. Von rückwärts gesehen, konnte man ihn für einen alten, verbrauchten Menschen halten. Er schlich langsam.
Heider und das junge Mädchen waren ihm bald voraus; sie unterhielten sich sehr gut. Heider war wie sie in der Freiheit aufgewachsen; die Augen leuchteten ihm, als er von seiner Heimat sprach, dem Rhein. Er sprach mit Begeisterung von den grünen, breit flutenden Wellen, den Rebgeländen, die die Sonne küsst, von den rheinischen Mädchen mit den schnellen Zungen und der rheinischen Fröhlichkeit. Er wurde ein anderer. Sein burschikoser Ton verschwand, eine kindliche Weichheit kam in sein Gesicht, die kantigen Züge rundeten sich, ein liebenswürdiges Lächeln spielte um seinen Mund; er drückte sich schön aus, voll von einer zarten, edlen Empfindung.
Die Wagen rasselten vorüber — hier war die Lützowstrasse mir ihren sich kreuzenden Strassenbahngeleisen und ihrem Durcheinander von Fussgängern.
Sie standen vor einem Schaufenster still und bemerkten nicht, dass Erdmann an ihnen vorüberschob, und er wiederum sah sie nicht.
Elisabeth hatte ganz vergessen, dass sie nach Hause musste; Mile wartete mit dem Essen. Sie lehnte neben Heider an dem Messingstab, der das Schaufenster gegen die Strasse zu schützte. Anscheinend betrachteten sie die Bücher der Auslage, die Photographien von Bergen und Seen und die beliebten Ansichtspostkarten, aber in Gedanken beschäftigten sie sich miteinander.
Vor einer Stunde waren sie sich noch fremd, und merkwürdig, jetzt gingen ihre Seelen nebeneinander her und freuten sich der Gemeinschaft.
Wie Heimatluft wehte es von einem zum andern. Elisabeth gab sich ganz einem impulsiven Empfinden hin; sie war erfreut, wie ein Echo kamen ihr die eigenen Gedanken und Ansichten zurück. Das Wort glitt ihr so leicht von der Lippe; bei aller Freundlichkeit, mit der man sie bei Mannhardts und bei Kistemachers überschüttete, war doch immer eine Schranke, kaum gesehen, kaum gefühlt, und doch war sie da. Hier war keine.
Sie reichten einander die Hände mit einem herzlichen Druck.
„Glück auf, Fräulein Reinharz!“ sagte Heider frisch. „Ich weiss, Sie schreiben gut, ich lese es auf Ihrem Gesicht. Sie haben einen Mund, ein Kinn, so energisch, wie ich’s noch bei keinem Frauenzimmer gesehen habe. Und in Ihren Augen ist Lyrik, viel warme Empfindung — Mund und Augen, eine glückliche Vereinigung!“ Er zog den Hut von der schwarzen Mähne und schwenkte ihn mit einer komischen Galanterie: „Alle Achtung! Ich bin noch keinem Mädchen begegnet, das mir so gut gefallen hätte. Und ich bin Kenner.“
„Danke!“ sagte sie heiter und hob das frische Gesicht zu ihm auf und lachte ihn aus freundlich strahlenden Augen an. „Sie gefallen mir auch sehr gut.“
Er küsste nicht ihre Hand, aber er hielt sie eine ganze Weile in der seinen. Seine Augen ruhten mit einem warmen Blick auf dem Mädchen; die Vorübergehenden mochten sie wohl für ein Liebespaar halten.
„Wir wollen uns wiedersehen. Ist es Ihnen recht, Fräulein Reinharz, wenn ich Sie besuche?“ sagte er. „Sie müssen in unsern Kreis kommen; tüchtige Kerle dabei — und unsre Mutter Maria, na, warten Sie nur! Es geht freilich etwas einfacher zu als bei Ihren Mannhardts und bei den drei Literaturparzen — wenn die sich doch nur einmal gegenseitig den Faden abschnitten!“
Elisabeth