Clara Viebig

Elisabeth Reinharz' Ehe. Es lebe die Kunst!


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Augenblick Platz.“

      Er wandte sich wieder ganz dem Herrn zu, der mit untergeschlagenen Armen und in nachlässiger Haltung am Pulk lehnte. Das edle Profil hob sich scharf gegen das lichte Fenster ab; Elisabeth konnte nicht umhin, es bewundernd zu betrachten. Sie war enttäuscht, als er ihr das volle Gesicht zukehrte — ein etwas selbstgefälliger Mund, ein weibisches Kinn.

      Er betrachtete sie sekundenlang scharf. Sie errötete tief unter seinem Blick.

      „Aber,“ sagte Herr Maier halblaut, „ich wüsste doch wirklich nicht, inwiefern wir Ihnen nicht entgegengekommen wären? Wenn wir allen unseren Autoren“, sein Blick streifte das junge Mädchen, „solche Honorare zahlen müssten, dann ...“ Er sprach nicht weiter.

      „Ich bitte Sie, Sie können mich doch auch unmöglich mit Ihren jungen, unbekannten Autoren auf eine Stufe stellen. Ich verlange gar kein Entgegenkommen, nur mehr Rücksicht, Rücksicht! Ich habe Ihnen zuliebe auf das vorherige Erscheinen meines Romans in einer Zeitschrift verzichtet.“

      „Aber ich weiss wirklich nicht,“ der Verleger machte ein etwas verdutztes Gesicht, „worauf Sie hinauswollen.“

      „Ich?! Sie missverstehen mich, lieber Maier.“ Er wandte sich zum Gehen. „Apropos, lieber Maier,“ er drehte sich noch einmal um, „worüber ich noch mit Ihnen sprechen wollte: Ich wundere mich, Sie haben ja kein einziges Talent meiner Schule im Verlag. Warum nicht? Da ist zum Beispiel die ...“ Er dämpfte die Stimme.

      Jetzt sprach Maier auch leise. Es schien eine Debatte, noch dazu eine etwas erregte.

      „Nein,“ sagte der Autor plötzlich lauter, „da halte ich es wirklich nicht für ratsam, in Ihrem Verlag zu erscheinen; ich bin da ja völlig isoliert.“

      Maiers blasse Gesichtsfarbe spielte schon ins Grünliche. Der andere behielt immer das gleiche, überlegene Lächeln.

      Sie sprachen wieder leise.

      „Nun dann, meinetwegen,“ sagte plötzlich der Verleger. Es klang gereizt. „Um Ihnen gefällig zu sein.“

      „Also schön! Ich halte Sie beim Wort. In etwa vierzehn Tagen können Sie auf mich zählen. Den unterzeichneten Kontrakt schicke ich morgen. Vergessen Sie nicht: zwanzig Abzüge auf Büttenpapier für mich!“ Nach einem zweiten scharfen Blick auf das junge Mädchen verliess er das Bureau.

      „Nun,“ sagte Herr Maier, als er zurückkam — er hatte den Besucher bis auf den Flur begleitet —, „da haben Sie gleich unsern berühmtesten Autor gesehen: Wolfgang Eisenlohr.“

      „Das — das war er?!“ Ein Zug grossen Erstaunens flog über Elisabeths Gesicht. „Den habe ich mir anders gedacht.“

      „So?“ Maier unterdrückte ein Lächeln. „Bitte, behalten Sie Platz, mein Fräulein!“

      Sie war unwillkürlich aufgesprungen und hatte sich dem Pult genähert — hier sollte sie ihr Urteil empfangen. Erwartungsvoll, mit glänzenden Augen sah sie den Verleger an.

      Er zog einen Schub auf; da lagen ihre Manuskripte. Er nahm sie heraus: „Eins, zwei, drei, vier, fünf. Ich bin nicht abgeneigt, Ihre Novellen zu verlegen.“

      Es schwindelte Elisabeth. Stand sie denn fest auf ihren Füssen? So viel Glück! So viel Glück! Sie fasste nach der Tischplatte, um sich daran festzuhalten.

      Er sah ihre Erregung und nickte. „Sie haben Glück. Andere müssen Jahre und Jahre warten.“

      „Ja, sehr viel Glück!“ Wie verschämt senkte sie den Kopf.

      Der Verleger lächelte; er liess seinen Blick wohlgefällig auf ihrer mädchenhaften Gestalt ruhen. „Sie sind noch sehr jung, Fräulein Reinharz?“

      „O nein,“ sie wurde rot, „ich bin schon sechsundzwanzig.“

      „Ich hätte Sie für jünger gehalten“, sagte er ohne jede Artigkeit. „Viele unserer Autoren haben sich in dem Alter schon fast ausgeschrieben. Heutzutage ist es Mode, in den Windeln anzufangen. Es kann einer gar nicht grün genug sein. Ihr Glück, dass Sie nicht zu früh angefangen haben!“

      Elisabeth sah ihn offen an. „Ich hätte wohl schon eher schreiben mögen, ich habe mich nur nicht getraut. Ich hatte zu grossen Respekt.“

      Er lachte. „Vor wem?“

      „Vor der Kunst.“

      „Und den haben Sie jetzt nicht mehr?“

      „O ja, erst recht! Jetzt weiss ich erst, was dazu gehört. Ich habe eine grosse Bewunderung für alle, die etwas erreicht haben.“

      „Wollen sehen, wie lange diese Bewunderung dauert“, sagte er mit skeptischer Miene. Und dann, den Ausdruck ändernd, fragte er nach ihren ersten literarischen Versuchen, ihrer Heimat und ihrem Leben auf dem Lande.

      Sie antwortete freimütig; ihr war, als hielte dieser kleine Mann ihr Wohl und Wehe in den Händen.

      „Und was hat Sie nun doch zum Schreiben getrieben?“ fragte er zuletzt.

      „Die Natur“, sagte sie einfach. „Ich weiss selbst nicht, wie es gekommen ist; sie ist so schön, ich muss sie beschreiben. Und dann kamen Gestalten, die gingen hin und her und sprachen zu mir, ich las ihre Geschichte von ihren Gesichtern. Und dann hab’ ich’s eben so hingeschrieben. Wenn ich schreibe, ist es mir, als sagte mir einer inwendig immer was vor. Oft will ich gar nicht so schreiben, aber auf einmal steht’s da. Ich muss. Es ist so komisch!“ Sie lachte.

      Ihr helles, fröhliches Lachen klang von den Wänden wider. War das ein wundervolles Lachen! Ihr Oberkörper schüttelte sich leicht unter der knittrigen Bluse; ihre Augen kniffen sich halb zu, dass die dunkler: Wimpern auf den rosigen Wangen ruhten, in dem vollen Kinn zeigte sich ein Grübchen. Und der Klang war so sonor, so gesund.

      In der schwülen Luft des Bureaus tat das wohl. Vor dem Auge lag mit einem Male blühende Heide; ein Vogel stieg kerzengerade aus dem Kraut, schmetternd, immer höher hinauf in den sonnigen Äther.

      Der Verleger sah sie wohlwollend an. „Sie haben Talent, viel Talent und eine glückliche Charakterveranlagung. Heutzutage sind die Talente Treibhauspflanzen, üppig im Blattwerk, aber schwach von Wurzel. Sie sind gesund!“

      „Ja, das bin ich!“ Sie lachte wieder und zeigte die weissen Zähne hinter den frischen Lippen. Wie ein Schauer glücklicher Sorglosigkeit rieselte das Lachen nieder; es fiel erquickend auf die Seele wie Regen auf verstaubtes Land.

      Ihre Wangen leuchteten in freudigem Rot. „Und glauben Sie wirklich, glauben Sie, dass ich etwas werden kann?“ Sie beugte sich zu ihm und suchte vertrauensvoll seinen Blick. „Etwas Grosses leisten?“ Als hinge ihre Seligkeit von seinem Urteil ab, so sah sie ihn an.

      „Sie sind noch jung genug, Sie haben, abgesehen vom Talent, Gesundheit und Energie — warum nicht? Nur eins fehlt Ihnen noch: Sie müssen Leute haben, die Ihr Lob ausposaunen, die das Tamtam schlagen, Leute, die nicht bloss Ihre Bücher leihen, sondern auch kaufen. Mit einem Wort: Sie brauchen eine Clique.“

      Sie sah ihn verständnislos an.

      Er fuhr ernst fort. „Das grosse Talent hockt zeitlebens unbekannt in Dachstuben, wenn nicht eine Clique sich seiner annimmt. Die ist ein mächtiger Faktor in unserem künstlerischen Leben.“

      Sie schüttelte den Kopf und lächelte ungläubig. „Ich weiss nicht recht, was Sie mit ‚Clique’ meinen. Aber das weiss ich: was wahrhaft gross und schön ist, das dringt immer durch. Es wäre ja traurig, wenn das nicht so wäre!“

      Er zuckte die Achseln. „Viele Talente verschwinden ungekannt, andere, die gar keine Talente sind, werden auf den Schild gehoben. Auch wir müssen uns der Clique beugen — wir wollen leben.“ Er seufzte leicht.

      „Oh,“ sie schüttelte den Kopf, „so ist es ja doch nicht!“ Sie lachte ihm ins Gesicht. „Sie wollen mir bange machen. Bange machen gilt nicht. Ich fürchte mich nicht. Ich brauche keine ‚Clique’, wie Sie sagen. Ich werde schon durchkommen. Wem meine Sachen nicht gefallen, der braucht sie ja nicht zu lesen.“