Max Geißler
Der Douglas
Saga
Die Waldburg
Die Geschichte spielt in alter Zeit und spielt droben in Schottland. Mitten im Bergwald sassen zwei herrliche Geschlechter. Nur wenige Wegstunden lagen die reichen Gehöfte mit den mächtigen Mauern und gewaltigen Warttürmen auseinander. In der einen der beiden Burgen sassen die Malcolm, in der andern die Grafen Douglas. Die Malcolm waren goldhaarige, hohe Gestalten. Die Douglas aber waren finsteräugig und schwarzhaarig. Schotten waren sie beide. Aber die Malcolm hatten englische Dienste angenommen und sassen auf engelländischem Grunde. Das war nun schon seit zweihundert Jahren so. Und seit zweihundert Jahren hassten die in der Burg Douglas jene, welche auf Schloss Malcolm wohnten; denn sie hielten sie für Abtrünnige.
Zwischen den beiden Waldburgen floss ein nicht allzu breites Bergwasser, der Tweed. Dieser bildete zugleich die Grenze der beiden grossen Reiche Schottland und England. Und er bezeichnete auch die Gemarkung der beiden Lordschaften Douglas und Malcolm.
Urwald deckte das Gebirge, das da und dort in Schroffen und Klüften die Ufer des Waldflusses bildete. Zum Glück für beide ritterlichen Familien floss das oft wild seine Bahn brausende Wasser trennend zwischen ihren Jagdgründen dahin. Deshalb konnten weder die starken Rudel der Hirsche noch die Wildsauen aus dem einen Gefilde in das andere wechseln. Auch vermochten die Knechte und hörigen Leute des einen Ritters mit denen des anderen im Schutze des Waldes nicht so leicht in Faustkämpfen aufeinander zu treffen. Wenn die natürliche Grenze des Wildwassers nicht für leidlichen Frieden gesorgt hätte – wer weiss, ob nicht die Malcolm und die Douglas in jener wilden Zeit sich gegenseitig die Burgen verbrannt hätten.
So kam es, dass der Hass zwar heimlich immer fortglimmte, aber er schlug wenigstens keine hellen, verderblichen Flammen. Freilich, im Schlosse Malcolm durfte der Name keines Douglas genannt werden. Wer es gewagt hätte, über dessen Haupt hätte sich der Zorn des alten Grafen Malcolm entladen wie eine gewitterschwere Wolke.
So begegneten sie einander nie, wenn der Bergwald nicht von Kriegeslärm erschallte.
Wenn aber der gemeinsame Feind lauerte, etwa der Ire im Westen, oder wenn vom Osten her der Däne mit seinen trutzigen Schiffen in den Kliffen landete, dann teilten die Malcolm und die Douglas das gemeinsame Heerlager. Sie schlugen vereint, aber sie marschierten getrennt.
Jahrhunderte gingen. Die Malcolm wussten nichts von den Douglas, als dass sie sich hassten.
Den Alten der beiden feindlichen Geschlechter war diese Feindschaft Bedürfnis und fast heilige Überlieferung geworden. Aber der heranwachsenden Jugend war sie nichts als Gewohnheit.
Die Kinder wussten eigentlich nicht mehr, warum sie in der Einsamkeit ihrer Wälder nicht mit denen von drüben verkehren sollten. Sie hätten so gerne sich gemeinsam im ritterlichen Spiele geübt, oder sie wären auf ihren kleinen Pferden gerne gemeinschaftlich auf ein Wild ausgeritten. Warum sollten sie nicht gut miteinander sein?
Das vermerkte Herr Malcolm seinem jungen Sohne sehr übel. Und wie der junge Malcolm heranwuchs und eines Tages in den Krieg gegen die Dänen geritten war, besprach sich der alte Ritter mit seinem Marschalk über diese Sache. Am Ende sagte er: „Wenn John Malcolm von der Heerfahrt gegen die Dänen wieder heimgeritten ist, so soll er mir auf den Knauf seines guten Schwertes ewige Feindschaft schwören gegen den hochfahrenden Trutz der –“
Er wollte sagen: – „der Douglas“. Aber er sprach diesen verhassten Namen nicht aus, sondern der alte Herr spie auf die Steinfliesen des Trinksaals und schlug den Becher hart auf die eichene Platte des Tisches. „Was meinst du, Glenalvon?“
Der Marschalk Glenalvon sass seinem alten Herrn in dieser Stunde in Harnisch und Wams gegenüber. Er hatte einst von dem Lord für getane Kriegsdienste und Klugheit seines Rates ein kleines Gehöft im kaledonischen Tann als Lehen erhalten. Bei der Frage des Alten glitt ein Lächeln der Genugtuung über sein Gesicht.
Der Marschalk war ein Mann von dreissig Jahren. Aber er hätte seinem Aussehen nach fünfzig zählen können; denn er hatte ein gelbes Antlitz und stechende Augen. Diese Augen konnten einen starken, ehrlichen Blick nicht wohl vertragen. Seine Haut glich gegerbtem Leder, und sein bartloses Gesicht erinnerte in seinem ganzen Ausdruck eher an das eines Mönches als eines Kriegsmannes. Aber hinter seiner Stirne wohnte ein scharfer Verstand. Schade, dass er ein so tückischer Geselle war.
Erst vor einer Stunde war der Marschalk mit einem Fähnlein Gewappneter auf den Hof der Waldburg eingeritten. Er hatte den Sommer über vor den Kliffen an der Ostküste auf der Wacht gegen die Dänen gelegen. Nun erstattete er seinem Herrn im Trinksaale Bericht über das wechselnde Glück des Kampfes.
Der alte Ritter hatte schon seit einigen Wochen das Heerlager wieder mit dem Herrensitze im Bergwalde vertauscht. Nun erfuhr er von seinem Marschalk: Zu einer Schlacht mit den Dänen war es in den letzten Wochen nicht mehr gekommen. Jetzt schlugen droben im Norden die Stürme des Herbstes die See. Die Wogen stürzten sich wie gepeitschte Rosse mit weissen Mähnen gegen die Kliffe. Sturm und Felsen der Küste aber waren die gefährlichsten Feinde der Dänen.
Darum riefen die Heerhörner um diese Zeit nicht mehr zum Kampfe. Auf den Zacken des Gebirges lag schon der Schnee des Winters. Und bald war die Stunde gekommen, in der auch das letzte Häuflein in die heimische Burg geritten war. Dort konnten während der Ruhe des Winters Waffen und Rüstzeug zu neuer Heerfahrt instand gesetzt werden.
Der alte Malcolm goss sich einen neuen Becher Wein aus dem Steinkruge ein und fragte den Marschalk: „Wie geht es meinem Sohne?“
„Es steht wohl um ihn, Sir,“ entgegnete Glenalvon, „Herr John ist eine Zierde seines ritterlichen Geschlechtes.“
Da lächelte der alte Malcolm. „Nun ja, er hat in dir auch den besten Waffenmeister gehabt!“ sagte er und reichte seinem Lehnsmanne die Hand über den Tisch. Dann fuhr er befriedigt fort: „Wir werden darüber nachdenken, wie wir die Grenzen deines Lehens erweitern, Marschalk.“
Da erhob sich Glenalvon und verbeugte sich mit einem verbindlichen Lächeln.
„Was ist sonst zu berichten?“ forschte der Ritter. „Setz dich wieder her und tu mir in einem Becher Weins Bescheid.“
Der Marschalk nahm abermals an dem eichenen Tische Platz. „Hm,“ sagte er, „wie wir gestern durch den niederen Tann vor dem wilden Kliff ritten, stiessen wir auf einen sterbenden Mann. Zwei Haufen Reiter waren vor wenigen Stunden dort aufeinandergetroffen. Der Mann war ohne Waffen und Wams. Wir konnten also an keinem Zeichen erkennen, welchem Geschlechte er entstamme. Aber er schien von vornehmer Art – wenigstens deutete der wehende Fall seines blonden Haares und der edle Schnitt seines Antlitzes darauf hin ...“
„Nun? Und?“ forschte Malcolm. „Fragtet ihr ihn nicht nach Namen und Art?“
„Nein,“ antwortete der Marschalk, „denn er war erstarrt in der Reifkälte des Hochlands, und er war ein Sterbender, Herr. Er blutete aus vielen Wunden und hatte sich wohl mit dem Aufgebot der letzten Kräfte an den Quell geschleppt, bei dem ihn unsere Knechte trafen. Dort lag er mit geschlossenen Augen, und es war kaum ein Hauch von Leben in ihm. Etliche haben ihn aufgenommen und in das Zelt unseres jungen Herrn getragen. Herr John Malcolm, Euer ritterlicher Sohn, hatte es so geboten.“
Der alte Malcolm hatte den Wein in langem Zuge und nachdenklich über die Lippen rinnen lassen. Nun setzte er den getriebenen Zinnbecher auf den Tisch. „Ist deine Geschichte zu Ende, Marschalk?“
„Ich weiss kaum mehr. Aber wenn die letzten Schiffe der Dänen ausser Sicht sind, so brechen unsere Heerhaufen die Lager ab. Vielleicht treffen sie schon morgen ein. Dann werden wir Kunde über den jungen Kriegsmann erhalten.“
Der Marschalk erhob sich.
„Wieviel der Unseren sind im Kampfe geblieben?“ fragte der greise Degen, der den Sommer über noch mit in der Feldschlacht gestanden hatte.
„Es reiten siebenundzwanzig Gewappnete weniger zurück als ausgezogen sind.“
„Und du? Reitest du nun heim, Marschalk?“
Aber