Max Geißler

Der Douglas


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      Der Arzt hatte sich scheu in dem Saale umgeschaut, ehe er diesen Verdacht aussprach.

      „Wie kommt Ihr dazu, so zu reden?“ forschte John.

      Melvil trat dicht an seinen jungen Herrn heran und sprach noch leiser: „Der Marschalk hat mich die Tage her gesucht, scheint mir. Auch ist er in mich gedrungen, den Kranken auszuforschen. Er hat wohl gewusst, dass einer dieser schwarzen Douglas sonnig ist wie der Frühling. Glenalvon hat Augen wie ein Adler, junger Herr, und Glenalvon sieht durch das tiefste Dunkel.“

      „Hat der Marschalk mit Euch darüber gesprochen?“

      „Ja, Herr.“

      „Was hat er gesagt?“

      „Wir werden uns einen Feind im eigenen Nest aufatzen, hat er gesagt.“

      „Dachte er dabei an einen Douglas?“

      „Seine Rede ist undurchsichtig wie sein Herz,“ antwortete der Greis, „wer kann’s wissen? Zwar hat er einmal gemeint: die Douglas hätten Haare wie das Gefieder der Dohlen, die um die Türme ihrer Burgen kreischen. Aber wer kann’s wissen, Herr? Ich kenn’ ihn! Er äussert nicht gern einen Verdacht, der sich hernach vielleicht als falsch erwiese. Er könnt’ es nicht ertragen, wenn der Ruf seiner Klugheit einen Stoss erlitte.“

      „Pah,“ sagte der junge Ritter John, „was ficht mich der Marschalk an! Wir haben getan, was unsere Pflicht war. Und wenn wir einen Feind am Wegrande auflasen und vom Tode erretteten – was haben wir von diesem einen Feinde zu fürchten? Gehen wir miteinander in das Turmgelass, Melvil!“

      Sie schritten aus dem Waffensaale, schritten lange Gänge entlang und die steinerne Stiege zum Turmgelass empor.

      Dort lag der fremde Ritter auf einem Lager aus weichen Fellen. Die Wände des Gemaches waren mit Holz getäfelt. Im Kamine prasselten die Tannenscheite. Um den Giebel trieben Schnee und Regen und letztes, wirbelndes Laub ihr wildes Spiel.

      Wie John Malcolm mit dem Priester den Raum betrat, hatte der Douglas auf seinem Lager sich ein wenig erhoben. Den Kopf auf den Arm gestützt, lehnte er in verlorenem Sinnen und starrte gegen das Fenster des Erkers. Hinter den verbleiten, undurchsichtigen Scheiben stürmte der Tag.

      Der Kranke wandte sein Gesicht den Eintretenden nicht entgegen. Aber er sprach: „Ich höre Eure Schritte, mein guter, alter Arzt. Ich weiss auch, warum Ihr mich zuvor so plötzlich verlassen habt. Wer ist bei Euch?“

      „Mein junger Herr, Sir John Malcolm.“

      „Ich kenne diesen Ritter nicht. Aber ich bin gelehrt worden: der Name Malcolm bedeutet für einen Douglas Feindseligkeit und ewigen Hass.“

      Douglas redete, aber er regte sich nicht. Sein bleiches Antlitz wandte sich auch jetzt nicht nach den beiden Männern um.

      John Malcolm lehnte im rückwärtigen Erker; den konnte das Auge des Kranken nicht treffen. Der Arzt hatte sich inzwischen auf einem Schemel niedergelassen. Auch er hielt sich noch immer im Rücken des Douglas.

      Eine dumpfe Schwere lastete in dem Raume. Die drückte die Seelen der drei Männer. Sie wussten: jetzt waren sich nahe, die das unselige Erbe des Hasses ohne Schuld von ihren Vätern ererbt hatten. Sollten sie dieses Erbe nicht lieber verachten und sich die Hände reichen? Aber – durften sie das Vermächtnis ihrer Vorfahren, auch wenn es scheelsüchtiger Hass war, einfach vergessen? Wie würden sich die Väter zu diesem Beginnen der Söhne stellen?

      John Malcolm lehnte nachdenklich mit dem Rücken gegen das Fensterkreuz und verschränkte die Arme vor der Brust.

      Endlich scheuchte Douglas die tiefe Stille und das bange Erwarten, das in dem Gemache lag. Er fragte:

      „Warum redet Ihr kein Wort zu mir, mein treuer Arzt? Ihr konntet noch vorhin so mild sein. Aber – vorhin wusstet Ihr noch nichts von der Laune des Schicksals, das mich zum Gefangenen unseres Erbfeinds machte! Einem Gefangenen steht es nicht zu, ein Wort an Euren Ritter zu richten. Es sei denn, der Gefangene flehe um Gnade für sein armes Leben. Das liegt mir fern!“

      Als John Malcolm diese Worte hörte, schritt er durch das Gemach in den gegenüberliegenden Erker und stand nun vor Douglas.

      Der erhob sich und neigte sich mit edlem Anstande vor dem jungen Ritter. Beide blieben stumm. Dann sahen sie einander in die Augen. Und Malcolm sprach:

      „Ist es auf den Burgen der Douglas Brauch, einen sterbenden Feind gefangen zu nehmen?“

      „Wollt Ihr Antwort auf diese Frage, Sir?“ entgegnete der Kranke.

      „Was bei den Douglas nicht Brauch ist, das verachten auch die Malcolm. Darum: betrachtet Euch als meinen Gast, Sir, solang es Euch behagt, oder verlangt, dass man Euch noch in dieser Stunde in sicherem Gefährt zu der Burg Euerer Väter führe.“

      Douglas senkte die Stirne. „Warum liesset Ihr mich über Euer edles Herz bisher im Zweifel?“

      „Ihr seid ein Kranker, Sir. Und Ihr seid mein Gast; es steht Euch also zwiefach zu, zu fordern.“

      Nun war auch der Priester hinzugetreten und erfasste die Hand des Douglas. Er zog ihn sanft auf den Rand seines Lagers; denn er sah in Sorgen, wie seine Wangen sich röteten, als käme das Fieber von neuem über ihn.

      „Was verlangt Ihr, Sir?“ fragte der junge Malcolm nach einer Weile.

      Ein wehmütiges Zucken spielte um die Lippen des kranken Kriegers. Er sah an seinem Leibe hernieder: „Diese Kleider gehören Euch; diese Schuhe Euch; und Euch dies Lager. Euerem ritterlichen Mute dank ich mein Leben.“ Er erhob sich von neuem: „Einem Edlen aber, der den Feind sterbend aus dem Staube der Schlacht hervorzieht und ihn hält, wie Ihr mir getan habt – einen solchen Edlen hab ich um nicht weniger zu bitten als um seine Freundschaft!“

      Die Stimme des jungen Douglas zitterte. Da reichte ihm Malcolm die Hand: „Ihr fordert das beste, das ich zu geben habe! Wohlan, zwischen Euch und mir seien die trutzigen Wälle hinfort geschleift, die ein neidisches Verhängnis aufgebaut hatte, die Edelsten unseres Landes zu trennen. Ich weiss; es ist nicht nur die wunderliche Fügung der Stunde, die Euch mit solchem Wunsche mir gegenübertreten lässt. Es ist vielmehr die Erkenntnis in Euch: die Douglas und die Malcolm haben bessere Aufgaben, als den Brand schnöden Hasses zu hüten. Wohlan, der Wille zum Frieden ist da. Möge die Tat ihn krönen!“

      Da legte der blonde Douglas seine Hände auf die Schultern des hochgewachsenen Malcolm. Sie sahen sich in die Augen wie zweie, die sich lange gesucht und nun endlich gefunden hatten.

      Dann sagte er: „John Malcolm, wenn uns in unserem Leben nichts weiter zu tun beschieden wäre, als diese Stunde herbeigeführt zu haben – es wäre genug! Wer je nach uns den Namen Malcolm oder Douglas tragen wird, muss uns für diese Stunde segnen!“

      John Malcolm aber breitete seine Arme aus und umschlang seinen ritterlichen Freund: „Wir wollen Brüder sein, Douglas!“ sagte er und küsste die bleiche Stirne seines Gastes.

      *

      Wie sie eine Zeit danach im Turmgemach zu dritt beim Steinkruge sassen, der mit edlem Burgunderweine gefüllt war, da röteten sich die Wangen des Genesenden im Glücke der Stunde.

      Der Arzt und John berichteten, was sich zugetragen seit jenem Abbruch des Feldlagers. Berichteten auch, wie Marschalk Glenalvon den blutenden Leib des jungen Helden am Quell im Niederholze vor dem wilden Kliff aufgefunden hatte.

      „Marschalk – Glenalvon?“ fragte Douglas erstaunt. Er hatte mit dem Ausdrucke höchster Verwunderung zugehört. „Warum führt Ihr den Marschalk nicht zu mir, damit ich ihm danke und ihm seine edle Tat lohne?“

      Der alte Arzt sah seinen jungen Herrn mit deutsamem Lächeln an. Dann schaute er nach der Tür. Es war ihm, als müsse sich diese Tür öffnen und der Lauscher Glenalvon darin erscheinen.

      „Ihr müsst wissen,“ begann er mit gedämpfter Stimme, „dass dem Marschalk kein Gespräch verborgen zu bleiben scheint, das innerhalb der Mauern von Burg Malcolm geführt wird. Dieser Glenalvon ist ein Wunder von Weisheit und Mannesmut. Aber er