seine Einbettung in die Lebenstätigkeit und wurde in eine eigene Sphäre des rein »Mentalen« verbannt. Von Descartes als ein Refugium des Geistes angesichts der Alleinherrschaft der Physik über die materielle Welt konzipiert, war das Bewusstsein seither in der Gefahr, zu einem abgeschlossenen Innenraum, einem fensterlosen Gehäuse des Subjekts zu werden. Jeder mögliche Gegenstand des cartesischen Bewusstseins ist nämlich eine »idea« – ein Gedanke, eine Vorstellung oder ein Bild. Auch was wir sehen, sind Bilder, und nicht die Dinge selbst. Der Idealismus ist die Philosophie, die sich in der Nachfolge Descartes’ besonders aus der Bild-Theorie der Wahrnehmung entwickelt. Leibniz vergleicht den Verstand mit einem Zimmer, durch dessen Fenster die Bilder der Außenwelt hereinfallen.12 Auch für Locke, Hume und Kant sind unsere Wahrnehmungen »impressions«, »ideas« oder »Vorstellungen«, aus denen wir nur problematische Schlüsse auf die Wirklichkeit ziehen können, in der wir zu leben glauben. Der Idealist sitzt im Gehäuse seines Bewusstseins und empfängt die »ideae« als Abgesandte und Repräsentanten der Dinge, die er selbst niemals zu sehen bekommt – in Lockes Worten:13
,Denn meines Erachtens ist der Verstand einem Kabinett gar nicht so unähnlich, das gegen das Licht vollständig abgeschlossen ist und in dem nur einige kleine Öffnungen gelassen wurden, um äußere, sichtbare Ebenbilder oder Ideen von den Dingen der Umwelt einzulassen.«14
In der Kantischen Erkenntnistheorie wird die Welt konsequent in den Innenraum hereingenommen: Raum und Zeit sind Formen der Anschauung und daher im Gemüt. Die Welt ist erkennbar, aber nur weil wir nicht in ihr, sondern sie in uns ist.
»Allein Erscheinungen sind nur Vorstellungen von den Dingen, die, nach dem, was sie an sich sein mögen, unerkannt da sind. Als bloße Vorstellungen aber stehen sie unter gar keinem Gesetze der Verknüpfung, als demjenigen, welches das verknüpfende Vermögen vorschreibt.«15
Der Verstand erhält zwar alle Vollmacht, die Welt zu strukturieren, aber nur innerhalb seines abgeschlossenen Hoheitsbereichs. Dagegen hat schon Goethe mit dem untrüglichen Blick des anschauenden Naturforschers eingewandt, die idealistische Philosophie gelange niemals zum Objekt.16
Die weitere Entwicklung des Idealismus kann hier nur angedeutet werden: Fichte zeigt in der »Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre« (1794), wie die Welt aus dem Ich tatsächlich produziert werden kann; hier taucht zum ersten Mal der philosophische Begriff der »Außenwelt« auf.17 Über Schopenhauers »Welt als Wille und Vorstellung« und Nietzsches Perspektivismus führt der Weg schließlich bis zum radikalen Konstruktivismus der Gegenwart. Wie sehr die idealistische Konzeption der Wahrnehmung das aufgeklärte Bewusstsein im 20. Jahrhundert geprägt hat, illustriert René Magrittes bekanntes Bild »La condition humaine«:
Abb. 1: René Magritte, La condition humaine (1933) (© VG Bild-Kunst, Bonn 2020)
Das Bild zeigt ein Gemälde mit einer Landschaft, die dem Anblick der hinter dem Gemälde liegenden realen Landschaft gleicht. In einem Vortrag von 1938 erläuterte Magritte selbst das Bild folgendermaßen:
»Das Problem des Fensters ergab ›La condition humaine‹. Ich stellte vor das Fenster, das vom Inneren des Raumes zu sehen war, ein Bild, das genau das Landschaftsstück darstellte, das von der Leinwand verdeckt war. Der Baum, der auf der Leinwand dargestellt war, verbarg den Baum, der hinter ihm außerhalb des Raumes stand. Für den Betrachter befand er sich also zugleich im Inneren des Raumes auf dem Bild und, in der Vorstellung (pensée), außerhalb in der wirklichen Landschaft. Genau so sehen wir die Welt, wir sehen sie außerhalb unserer selbst und dennoch haben wir nur eine Vorstellung (représentation) von ihr in uns.«18
Hier wird die Doktrin der »Außenwelt« mit ihrer sonderbaren Verdoppelung der Wirklichkeit zur Conditio Humana stilisiert. Die Fenster unserer Seelenmonaden sind geschlossen, und alles was wir von der jenseitigen Welt empfangen, sind Repräsentationen – bunte Bilder, die der Maler des Bewusstseins für uns geschaffen hat.
Diese idealistische Erkenntnistheorie hat – unter freilich verändertem Vorzeichen – auch Eingang in die Hirnforschung und die zugehörige Neurophilosophie gefunden. Auch für sie leben wir nur in einer subjektiven Wirklichkeit, die nun aber vom Gehirn konstruiert oder simuliert wird. Im Innenraum des Bewusstseins empfängt das Subjekt, der einsame Gefangene seines eigenen Palastes, die Bilder von der unerreichbaren Außenwelt. Nur sind diese Bilder nicht mehr Konstrukte der Kantischen Verstandesvermögen, sondern der zugrunde liegenden Hirnprozesse. Was den cartesischen »ideae« oder Vorstellungen nun entspricht, sind »neuronale Repräsentationen« – spezifische Erregungsmuster, durch die das Gehirn die Strukturen der Außenwelt widerspiegelt.19
Wie sich zeigt, passen die idealistische Innenwelt des Bewusstseins und die neurobiologische Innenwelt des Gehirns überraschend gut zueinander. Der Neurokonstruktivismus stellt nur noch die Verbindung beider Traditionslinien her (Roth 1994). Und so reichen sich der Materialismus und der subjektive Idealismus paradoxerweise die Hände – können sie doch die Gemeinsamkeit feststellen, dass für sie beide das Subjekt keinen Anteil an der Welt hat. Freilich kann der Materialismus letztlich triumphieren, denn mit der Reduktion des Erkenntnis- und Handlungsvermögens auf Hirnprozesse bleibt dem idealistischen Subjekt nicht einmal mehr die Macht über seinen eigenen Palast.
Die Wahrnehmung der Welt als internes Konstrukt – diese erkenntnistheoretische Konzeption soll im Folgenden einer Kritik in drei Schritten unterzogen werden. Sie wird in ihrem Kern darin bestehen, das Bild eines körper- und weltlosen Subjekts zu widerlegen, das der idealistischen Wahrnehmungstheorie zugrunde liegt.
1.2 Erste Kritik: Verkörperte Wahrnehmung
1.2.1 Wahrnehmung und Selbstbewegung
Kehren wir noch einmal zur vermeintlichen »Condition humaine« zurück. Hat Magritte Recht, und sehen wir in Wahrheit nur Bilder? Natürlich könnten wir im Zweifelsfall leicht feststellen, ob es sich jenseits des Fensters, in der sogenannten »Außenwelt«, tatsächlich um Wiesen und Bäume handelt oder um eine Filmstaffage: Wir würden einfach hinausgehen und es mit unseren Sinnen und Bewegungen überprüfen. Wir nehmen ja nie »von irgendwoher« wahr, sondern von unserem leiblichen Standort aus. Schon der Anblick des Fensters »dort drüben« schließt die Möglichkeit ein, sich auch dorthin zu bewegen. Die Wahrnehmung räumlicher Tiefe entsteht nur in Verbindung mit dem Vermögen, sie auch zu durchmessen und die Gegenstände abhängig von unserer Eigenbewegung unter verschiedenen Aspekten zu erfassen. Wahrnehmend sind wir in der gleichen Welt situiert wie die wahrgenommenen Dinge, d. h. wir können auch handelnd mit ihnen umgehen, interagieren.
Die idealistische Konzeption der Wahrnehmung vergisst, dass wir leibliche Wesen, verkörperte Subjekte, und nicht in unserem Bewusstsein eingeschlossen sind.20 Die Verkörperung kommt nicht zur Wahrnehmung noch äußerlich hinzu, sondern sie wohnt ihr inne: Wir müssen schon leiblich in der Welt sein, mit ihr in Beziehung stehen, uns bewegen und agieren können, damit wir überhaupt etwas von ihr wahrnehmen. Es ist nur die Dominanz der »optischen«, auf dem Sehsinn basierenden Erkenntnistheorie und ihrer Metaphorik (Bild, Perspektive, Repräsentation etc.), die uns unsere Verkörperung vergessen lässt. Tatsächlich gibt es keine »Außenwelt« zu einem körperlosen Subjekt, wie Magrittes Bild suggeriert.
Vor einigen Jahrzehnten führten Held und Hein (1963) ein klassisches Experiment an neugeborenen Katzen