an neuronalen Zellmembranen. Wo ist der Schmerz dann? Er ist im »Fuß-als-Teil-des-lebendigen-Körpers«, denn dieser einheitliche lebendige Körper (einschließlich des Gehirns) bringt auch eine leibliche, räumlich ausgedehnte Subjektivität hervor. Dass ich sinnvoll aussagen kann: »Ich habe Schmerzen im Fuß«, und denselben Fuß auch meinem Arzt zeigen kann, setzt voraus, dass der subjektive Raum meines Schmerzes und der objektive Raum meines Fußes nicht zwei getrennten Welten angehören, die nur in einer indirekt-kausalen Weise (nämlich über physiologische Prozesse im Gehirn) miteinander verknüpft sind. Es setzt voraus, dass der subjektive und der objektive Raum meines Körpers syntopisch zur Deckung kommen können.
Das ist für ein physikalistisch geprägtes Denken schwer akzeptabel – wird hier nicht das »Gespenst in der Maschine«28 wieder zum Leben erweckt? Soll der Seele insgeheim wieder Einlass in die physikalisch gereinigte Welt verschafft werden? – Tatsächlich war es ein selbstverständlicher Bestandteil aristotelischer und vorneuzeitlicher Überzeugungen, dass die Seele unteilbar und dennoch mit dem organischen Körper koextensiv sei.29 Noch Kant schreibt in seiner vorkritischen Periode:
»Ich würde mich also an der gemeinen Erfahrung halten und vorläufig sagen: wo ich empfinde, da bin ich. Ich bin ebenso unmittelbar in der Fingerspitze wie in dem Kopfe. Ich fühle den schmerzhaften Eindruck nicht an einer Gehirnnerve, wenn mich ein Leichdorn peinigt, sondern am Ende meiner Zehen. Keine Erfahrung lehrt mich, (…) mein unteilbares Ich in ein mikroskopisch kleines Plätzchen im Gehirn zu versperren, um von da aus den Hebezug meiner Körpermaschine in Bewegung zu setzen, oder dadurch selbst getroffen zu werden (…) Meine Seele ist ganz im ganzen Körper und in jedem seiner Teile.«30
Erklärt man die phänomenale Erfahrung leiblicher Räumlichkeit nicht zum Schein, sondern setzt sie in Bezug zum intersubjektiven und damit objektiven Raum, so knüpft dies in gewissem Sinn tatsächlich an die Lehren von einer Koextensivität von »Seele« und »Körper« an, freilich mit einer ganz anderen Begrifflichkeit. Descartes wandte dagegen ein, der Körper sei im Prinzip eine Gliedermaschine und daher teilbar wie ein Leichnam, während die Seele schließlich ein unteilbares Ganzes darstelle.31 Doch ist es nicht erforderlich, Descartes’ unabhängige Seelensubstanz zu reanimieren, um die Erfahrung unseres leiblichen In-der-Welt-Seins mit einer objektivierenden Sicht des Körpers in Einklang zu bringen. Voraussetzung ist vielmehr ein adäquater Begriff des Lebendigen: Der Organismus selbst stellt nämlich ein Funktionsganzes dar, das als solches unteilbar und gleichwohl im physikalischen Raum ausgedehnt ist – in Parallele zum subjektiven Leib und dessen unteilbarer Ausdehnung.32
Dass dieses Ganze des lebendigen Organismus zum Träger einer gleichfalls räumlich ausgedehnten Subjektivität werden kann, fügt der rein physikalisch beschreibbaren Welt keine neue Entität hinzu, widerspricht also auch keinen physikalischen Gesetzen. Allerdings bedeutet es für uns selbst als lebendige Wesen eine fundamentale Veränderung: Wir sind keine abgeschlossenen Monaden mehr, denen ein Bild der Welt vorgespiegelt wird, sondern wir bewohnen unseren Leib und durch ihn die Welt. Die Phänomenologie kann damit unsere primäre Erfahrung wieder in ihr Recht setzen, als inkarnierte Wesen in der Welt zu sein.33
Fassen wir vorläufig zusammen: Wir gingen aus von der Überlegung, dass Wahrnehmung nicht die passive Aufnahme von Bildern in ein außerweltliches Bewusstsein bedeutet. Alles Wahrnehmen ist vielmehr verkörpert: Es beruht auf dem sensomotorischen Umgang mit den Dingen, auf konkreter leiblicher Praxis. Das Subjekt der Wahrnehmung, so zeigte sich weiter, ist ausgedehnt über den leiblichen Raum, und dies nicht in Form eines bloßen Phantoms oder Gehirnkonstrukts, sondern als die mit dem lebendigen Organismus koextensive, verkörperte Subjektivität. Die somatosensorischen und -motorischen Strukturen im Gehirn sind freilich notwendige Bedingungen dieses Subjekterlebens. Doch bedeutet dies nicht, dass das Leibsubjekt im Gehirn zu lokalisieren wäre wie Descartes’ Seele in der Zirbeldrüse. Wir gehören der Welt an, mit Haut und Haaren – wir sind leibliche, lebendige und damit »organischere« Wesen als es der neurowissenschaftliche Zerebrozentrismus suggeriert.
1.3 Zweite Kritik: Die Objektivität der phänomenalen Welt
1.3.1 Der Raum der Wahrnehmung
Was für die eigenleibliche Wahrnehmung gezeigt wurde, gilt es nunmehr auf die Wahrnehmung insgesamt auszudehnen. Trifft hier nun doch die Illusionsthese zu? Sehen wir in Wahrheit nur Bilder, passend konstruiert und auf den Schirm unseres Bewusstseins projiziert von der Camera Obscura des Gehirns?
Natürlich verhält es sich phänomenal ganz anders: Beim Sehen, wie bei jeder anderen Sinneswahrnehmung, sind wir nicht im Kopf, sondern in der Welt und bei den Dingen. Wahrnehmung findet auch nicht in einem Behälter namens Bewusstsein statt, in den Sinnesreize von außen importiert würden. Ich nehme nicht »Sehempfindungen« oder Bilder wahr, sondern den Schreibtisch, das Fenster, den Himmel usw. Ich höre keine »Schallempfindungen«, sondern Musik. Wahrnehmung stellt eine unmittelbare Beziehung zwischen dem Wahrnehmenden und dem wahrgenommenen Gegenstand her. Ist diese Unmittelbarkeit unserer Welterfahrung wirklich nur eine Täuschung?
Das Problem, wie es überhaupt zu einer phänomenalen Welt kommt und welche Funktion sie hat, beschäftigt auch die kognitiven Neurowissenschaften. Warum, so fragt etwa Prinz, nehme ich eigentlich nicht die Reizungen meiner Netzhaut, die Aktionspotenziale meiner Sehnerven oder direkt meine Hirnzustände wahr, wenn sie doch das tatsächliche Substrat meiner Wahrnehmung sind?34 Und warum plane ich Handlungen und nicht direkt die entsprechenden neuromuskulären Prozesse meines Körpers? Mit anderen Worten: Warum gibt es überhaupt »distale« und nicht »proximale Repräsentationen«? – Die Erlebniswelt, so lautet Prinz’ Antwort, stellt einen »virtuellen Raum« dar, in dem die verschiedenen sensorischen und motorischen »Datenformate« einander angeglichen und integriert werden. In diesem Raum können wir also zugleich wahrnehmen, Ziele erkennen und handeln, ohne vom Wissen um die »tatsächlich« ablaufenden physiologischen Prozesse belastet zu sein.
Freilich liegt schon in Prinz‹ Frage ein Kategorienfehler, nämlich die Verwechslung von kausaler und intentionaler Ebene: Wir nehmen Lichtwellen ebenso wenig wahr wie Nervenerregungen, weil sie eben nur die physischen Trägerprozesse der Wahrnehmung darstellen und nicht die Wahrnehmung selbst. Was der Wahrnehmung als vermittelndes Substrat zugrunde liegt, kann schwerlich selbst zu ihrem Gegenstand werden. Zudem erkennt Prinz mit seiner Antwort an, dass gerade die phänomenale Welt uns Orientierung und Handeln in der Welt ermöglicht; dann bleibt nur unerfindlich, warum er sie als »virtuellen Raum« bezeichnet. Immerhin erlaubt sie uns, über einen gesehenen Graben zu springen und mit den Füßen tatsächlich auf der anderen Seite anzukommen. Ihr zugrunde liegt ein »sensus communis«, also ein gemeinsamer Rahmen für die verschiedenen Sinne und Bewegungen, so dass etwa die Person, die ich sehe, ihre Stimme, die ich höre, und ihre Hand, die ich schüttle, dem gleichen Raum angehören – und das ist ja wohl auch tatsächlich der Fall.35 Für eine »Scheinwelt« verfügt die Erlebniswelt also über ein erstaunliches Maß an Objektivität. Betrachten wir dies noch etwas näher.
1.3.2 Die objektivierende Leistung der Wahrnehmung
Was wir wahrnehmen, sind weder Bilder noch Modelle, sondern Dinge und Menschen. Das ist zunächst keineswegs selbstverständlich: Wenn ich beispielsweise ein Haus wahrnehme, dann sehe ich doch eigentlich immer nur eine, perspektivisch begrenzte Ansicht des Hauses. Wie überwindet die Wahrnehmung diese Begrenztheit?
Husserl hat gezeigt, dass die Wahrnehmung ihre Gebundenheit an eine Perspektive aufhebt, indem sie weitere mögliche Aspekte der