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Mein Hals wird von einem brennenden Kloß zugeschnürt, der mich zu ersticken droht, als ich an Seth denke. Sein markantes Gesicht mit den dunklen Schatten unter den braunen Augen taucht in meinem Geist auf. Ich kneife meine Lider zusammen und versuche es zu verdrängen. Ich weiß, dass ich froh sein sollte, zurück zu sein, und irgendwie bin ich es auch. Dennoch fühle ich mich innerlich verletzlich und roh. Wie eine offene Wunde.
Es ist fremdartig und vertraut zugleich, auf unser Haus zuzugehen. Wie in einem Traum. Mein Vater hat einen regelrechten Betonbunker für uns erschaffen und sogar Personenschützer eingestellt. Ich kam mir vor wie eine Gefangene in meinem eigenen Heim. Und doch waren all seine Vorsichtsmaßnahmen nicht genug – seine Ängste, dass uns etwas zustoßen könnte, haben sich aller Vorsorge zum Trotz bewahrheitet.
Ich bin entführt worden, damit mein Vater erpresst werden konnte. Weil sein Pharmaunternehmen ein Medikament entwickelt hat, welches demenzkranken Patienten helfen würde. Natürlich machen einige Unternehmen sehr viel Geld mit den Krankheiten der Menschen und sind nicht erfreut, wenn ihre teuren, aber minderwertigen Produkte von einem günstigeren und effektiveren Präparat verdrängt werden. Es war mir klar, dass diese Firmen sich wehren würden. Aber ich dachte, dass sie es über Anwälte und teure Deals machen würden. So wie ich es von einer hochentwickelten Gesellschaft im 21. Jahrhundert erwartet hätte.
Es war naiv von mir, das zu glauben. Wenn es um Gier, Neid und Geld geht, kehren die Menschen zurück zu ihren animalischsten Vorgehensweisen und versuchen wenn nötig, ihr Territorium mit Gewalt zu verteidigen. Selbst wenn das bedeutet, einem unschuldigen Mädchen Körperteile abzuschneiden, sie zu schänden und sogar zu ermorden.
Und um sich selbst nicht die Finger schmutzig zu machen, heuern die schicken Männer in Anzügen und glänzenden Lackschuhen Organisationen an, welche die Drecksarbeit für sie erledigen.
Auftragsmörder.
Männer ohne Gewissen.
Männer, die ihr Geld mit Grausamkeiten und Blut verdienen.
Männer wie Seth.
Seth, der von meinem Vater engagiert war, mich zu beschützen. Seth, der ein doppeltes Spiel gespielt hat, um sich in eine feindliche Organisation einzuschleichen. Der mich bewacht, entführt und befreit hat. Der mich von Anfang an fasziniert hat. Seth, der vor einigen Sekunden davongefahren ist und mich ohne Vorwarnung, ohne meine Meinung zu hören oder meine Gefühle zu beachten, nun zurück in die Welt wirft, aus der er mich vor einigen Tagen entführt hatte.
Ich steige die Treppen zur Haustür nach oben und drücke den Klingelknopf, da ich meine Handtasche mit meinem Schlüssel, meinem Handy und meinem Geldbeutel nicht wiederbekommen habe.
Es dauert nicht lange, bis ich Schritte und Gemurmel höre. Ich schaue in die Überwachungskamera neben dem Eingang und winke müde, da ich mir denken kann, dass mein Vater, Dimitri oder wer auch immer die Tür öffnen wird, zunächst überprüft, wer dieser nächtliche Besucher sein mag.
Plötzlich wird die Tür aufgerissen und mein Vater steht vor mir. Seine Haare sind grauer als vor ein paar Wochen, sein Gesicht dünner und voller Furchen und Falten. Er sieht müde und abgekämpft aus, doch in dem Moment, als mein Blick seinen trifft, fangen seine trüben Augen an zu leben.
»Viktoria«, haucht er und schließt mich fest in seine Arme.
»Papa!« Ich drücke mich an ihn und vergrabe mein Gesicht an seiner Brust. Es tut gut, seine Wärme und seine Liebe zu spüren. Erst in seiner Umarmung fühle ich mich wirklich Zuhause. Nicht dieser Betonklotz, in dem wir wohnen.
»Gott, ich bin so froh, dass du lebst. Mein Schatz, geht es dir gut?« Er zieht mich noch einmal eng gegen sich, ehe er mich von sich drückt und mich von oben bis unten begutachtet. Er umfasst mein Kinn und dreht meinen Kopf, um meine Blessuren zu sehen. Dass ich von Samuel zusammengeschlagen worden bin, hat mein Vater am Telefon live miterlebt.
»Es ist alles okay, Papa.« Ich versuche, ihn zu beruhigen, indem ich ein Lächeln auf meine Lippen kämpfe. »Ich lebe und ich bin wieder hier.«
Die rauen Hände meines Vaters streichen verzweifelt über mein Gesicht und meine Schultern, ehe er mich wieder an sich zieht. An seiner zitternden Brust kann ich vermuten, dass er weint. Ich lege meine Arme um ihn und halte ihn fest, dabei blicke ich über seine Schulter hinweg in den Hausflur.
Dimitri und Ansgar, die beiden Personenschützer, die mein Vater angeheuert hat, stehen einige Schritte hinter uns und sehen aus, als wäre ihnen soeben ein gigantischer Stein vom Herzen gefallen. Sie haben ihre strammen Körperhaltungen abgeworfen und lassen die Schultern erleichtert sinken. Um Dimitris Mundwinkel spielt ein leichtes Lächeln, als ich ihn anblicke.
Neben den beiden Bodyguards befinden sich noch mehr Personen im Flur. Eine große, schlanke Frau Ende fünfzig in schickem Hosenanzug und ein etwas jüngerer Mann in Jeans und Jackett. Beide sehen autoritär aus, doch auch in ihren Gesichtern spiegelt sich Erleichterung.
»Herr König, würden Sie bitte mit Ihrer Tochter in das Haus kommen und die Tür schließen?«, meldet sich die Dame zu Wort.
»Ja, ja. Natürlich.« Mein Vater löst sich nur zögerlich und widerwillig von mir. Er greift nach meiner Hand und hält sie fest, während er mich mit sich nach drinnen zieht.
»Unsere Kollegen haben den schwarzen Maserati bereits gesichtet und die Verfolgung aufgenommen«, verkündet die Frau und hält ihr Smartphone in die Höhe. »Frau König«, wendet sie sich an mich, »ich bin Kriminalkommissarin Lübke. Meine Aufgabe und die meines Kollegen Kommissar Freibach ist es, schwere und organisierte Kriminalität zu verfolgen.«
Sie schüttelt meine freie Hand kräftig und redet sofort weiter auf mich ein. Irgendwas über Entführung, verschiedene kriminelle Organisationen und die Dringlichkeit, dass ich ihr alles erzähle. Der Schwall ihrer Worte überfordert mich derart, dass ich nicht in der Lage bin zu antworten.
Die Information, dass der Maserati, in dem sich Seth befindet, von der Polizei verfolgt wird, frisst alle Kapazitäten in meinem Gehirn auf. In mir wütet der Drang, sie abzuhalten. Zu behaupten, dass der schwarze Wagen der Falsche ist. Dass das nicht derjenige ist, den sie suchen. Doch meine Zunge liegt wie ein Stein in meinem Mund. Schwer und unbeweglich.
Als ich keine Antwort gebe, sondern nur schweigend und apathisch mit meinem Vater ins Wohnzimmer gehe, fängt Frau Lübke wieder an, auf mich einzureden.
»Frau König, Ihre Erfahrungen in den letzten Tagen sind der Schlüssel zu …«
Sie wird unterbrochen, als sich Dimitri räuspert. Irritiert hält sie inne und sieht ihn an.
»Die Mafia wird morgen auch noch bestehen, Frau Lübke«, sagt er nur, woraufhin sie mit dem Kiefer mahlt, aber schweigt. Stattdessen wendet sie sich ab, holt ihr Mobiltelefon hervor und kontaktiert den Rettungsdienst, während sie den Raum verlässt.
Kurz überlege ich, sie davon abzuhalten und bin der festen Überzeugung, dass ich keinen Arzt brauche – doch vermutlich würde sie sich ohnehin nicht aufhalten lassen.
Ich lasse mich zusammen mit meinem Vater auf das Sofa sinken und lehne mich an ihn, während er einen Arm um mich legt.
»Es tut mir so leid, meine kleine Prinzessin, dass es soweit gekommen ist. Dass du das alles durchmachen musstest, nur weil ich dieses Medikament unbedingt auf den Markt bringen wollte. Ich wusste, wie gefährlich es ist, wie groß die Unternehmen sind, mit denen ich deswegen in Konflikt geraten würde. Ich dachte, ich könnte uns beschützen, aber letztendlich habe ich versagt.« Die Stimme meines Vaters bricht und er umfasst meine Hand mit seiner.
»Nein, Papa!«, erwidere ich energisch. »Du darfst dir keine Vorwürfe machen. Du hast