Personenschützer. Außerdem hast du noch mehr gemacht. Mich noch von anderen bewachen lassen! Dass das alles passiert ist, war nicht deine Schuld!«
In Wahrheit war es Seth, der mich entführt und dieser Situation ausgeliefert hat. Hätte er nicht dieses doppelte Spiel gespielt und mich einfach nur beschützt, so wie mein Vater es beauftragt hatte, wäre mir nie etwas zugestoßen. Immerhin war er es gewesen, der mich entführt und diesen Los Caídos ausgesetzt hatte. Einer Mafia-Gruppierung, die von den Feinden meines Vaters beauftragt worden war, ihn mit meinem Leben zu erpressen, um das Medikament nicht auf den Markt zu bringen. Doch obwohl ich versuche mir Seth als schuldigen einzureden, gelingt es mir nicht, mich selbst davon zu überzeugen. Vielleicht, weil ich ihm tief in meinem Inneren nicht als Schuldigen sehen will.
»Das Wichtigste ist, dass ich wieder hier bin und dass es mir gut geht!«
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh ich bin, mein Schatz«, antwortet mein Vater.
Es dauert nicht lange, bis der Krankenwagen ankommt und mich die Sanitäter noch vor Ort inspizieren. Wie erwartet stellen sie nichts Bedenkliches fest, was meinen Vater sehr erleichtert. Dennoch werden einige Fotos von meinen Wunden zu Dokumentationszwecken gemacht.
Gleichzeitig kommt eine Polizeipsychologin an, die, wie sich herausstellt, die letzten Tage auch meinen Vater betreut hat. Sie zieht sich mit mir in die Küche zurück und versucht dort weitaus feinfühliger als Frau Lübke mit mir zu sprechen.
Aber selbst mit der sensiblen Psychologin möchte ich nicht reden. Die Erlebnisse sind noch zu nah und ich habe Angst, Seth und die anderen mit meinen Aussagen in Gefahr zu bringen. Ich weiß, dass es hier um mehr geht als um meine Entführung. Um die Bekämpfung von organisiertem Verbrechen. Im Moment bin ich jedoch noch nicht in der Lage, meine Erfahrungen zu schildern. Die Taubheit in meinem Inneren ist zu erdrückend und der Gedanke, dass Seth in diesem Moment vor der Polizei flieht, vielleicht sogar schon geschnappt wurde, kreist unentwegt durch meinen Kopf.
Was, wenn sie ihn erwischen und er für immer eingesperrt wird? Er hat Glück, dass ihm die deutsche Justiz droht und nicht zum Beispiel die amerikanische, denn dort hätte er ein ganz anderes Strafmaß zu erwarten. Ich versuche, mich mit dem Gedanken zu beruhigen, dass er im schlimmsten Fall Lebenslänglich mit anschließender Sicherheitsverwahrung erhalten würde. Vielleicht wäre das ja auch gar nicht so verkehrt. Immerhin ist er ein Mörder.
Kaum habe ich es geschafft, mich mit diesem Gedanken halbwegs zu beruhigen, spielen sich Horrorszenarien vor meinem inneren Auge ab, wie er auf der Flucht vor der Polizei verunglückt oder geschnappt und erschossen wird, weil er sich nicht ergibt. Als Kind habe ich meine lebhafte Fantasie geliebt, doch in diesem Moment verfluche ich sie.
Ich fange vor der Psychologin an zu schluchzen, doch auch diesmal kommen keine Tränen. Ich stehe auf und laufe auf und ab, um mich abzulenken.
»Alles gut, Frau König. Sie haben vermutlich schlimme Dinge erlebt. Es ist vollkommen natürlich und in Ordnung, jetzt die Gefühle herauszulassen«, sagt die Psychologin ruhig. »Versuchen Sie nur tief ein- und auszuatmen.«
Ich weiß, dass ich kurz vorm Hyperventilieren bin. Aber in mir wütet ein Orkan aus verschiedensten Gefühlen. Angst, Enttäuschung, Erleichterung, Panik, Sorge und gleichzeitig hämmern die beiden Hälften meines gebrochenen Herzens gegen meine Brust. Ich kann den Sturm in mir nicht herauslassen. Ihn nicht zeigen. Niemand würde verstehen, wieso ich mir solche Gedanken wegen meines Entführers mache.
Aber ich weiß, dass Seth nicht freiwillig Auftragsmörder geworden ist. Grimm sagte mir bereits, dass er dazu gezwungen wird, und soweit ich das mitbekommen habe, wird er von der Organisation, für die er arbeitet, erpresst. Irgendwelche Schulden, die sein Vater ihm nach seinem Selbstmord hinterlassen hat, die er jetzt abarbeiten muss.
Während ich in der Küche auf und ablaufe, versuche ich erneut, die Gedanken an ihn loszuwerden.
Wie soll ich meiner Familie und meinen Freunden jemals die Wahrheit sagen? Wie kann ich Seth, Grimm und Ace beschützen, ohne andere Menschen zu gefährden?
Als ich mich einigermaßen beruhigt habe, setze ich mich wieder hin und sehe die Psychologin an. Diese lächelt freundlich und verständnisvoll.
»Alles gut, Frau König. Jetzt sind Sie in Sicherheit.«
Sicherheit? Ich weiß, dass dieses Wort ab jetzt nur noch eine Illusion ist. Das, was mir die letzten Tage zugestoßen ist, war nur ein Vorbote dessen, was geschehen wird. Seth hat Luis Angelo umgebracht, um mich zu beschützen. Er hat einer Mafia-Organisation nicht nur ans Bein gepisst, sondern einen regelrechten Krieg vom Zaun gebrochen.
Selbst wenn diese Mafiosi davon absehen, mich und meine Familie mit in diesen Krieg hineinzuziehen, sind es zumindest die Pharma-Konzerne, die ihr Ziel noch nicht erreicht haben. So oder so – es ist längst noch nicht vorbei.
2
Er
Wenn man zu lange in den Schatten gelebt hat, schmerzt es, wieder in das Licht zu blicken.
Ich war mir bereits sicher gewesen, dass das Haus der Königs von der Polizei überwacht wird, und habe daher absichtlich in einiger Entfernung gehalten, um Kiki aus dem Auto zu lassen. Leider haben mich die Drecksbullen dennoch entdeckt und jetzt auf ihrem Radar. In dem Moment, in dem das Blaulicht hinter mir angeht und die Sirenen ertönen, ist der schwarze Maserati Segen und Fluch zugleich.
Ich bin schneller als die Polizeiwagen von der Stange, aber ich bin auch auffällig wie ein bunter Hund. In Frankfurt fahren zwar so einige Protzkarren herum, nichtsdestotrotz sind sie die Minderheit. Während die Sirenen hinter mir jaulen, trete ich das Gaspedal gewaltsam durch. Die Reifen quietschen und der Wagen schießt nach vorne, während ich in den Sitz gepresst werde. Meine Fingerknöchel treten weiß hervor, als ich das Lenkrad fest umfasse.
»Fuck«, zische ich und schaue über den Rückspiegel nach hinten. Die blinkenden Lichter der Polizeiwagen blenden mich und ich kneife die Augen leicht zusammen.
Zum Glück kenne ich einige Schleichwege. Sie werden den Bullen nicht gefallen und Ace noch viel weniger.
»Sorry, Ace«, murmle ich und reiße das Lenkrad herum, während ich die Handbremse anziehe. Mit quietschenden Reifen drifte ich um eine scharfe Kurve und nehme so eine private Durchfahrt. Mit mörderischer Geschwindigkeit rase ich über den schmalen Weg und ignoriere dabei, dass die Reifen den Schotter hochschleudern und ich eine Mülltonne über den Haufen fahre, die scheppernd umkippt und ihren Inhalt verteilt. Am Ende der Durchfahrt biege ich wieder auf eine öffentliche Straße ab, bekomme die Kurve nicht ganz und schlittere in einen anderen Wagen hinein.
Er hupt, bremst, die Reifen quietschen, ich sehe Qualm hinter mir aufsteigen und höre lautes Krachen, als der Hintermann ihm auffährt. Ein erneuter Blick in den Rückspiegel verrät mir, dass es einer der Bullen durch meine Abkürzung geschafft hat. Die anderen stecken irgendwo hinter dem Unfall fest.
»Hartnäckige Zecke«, knurre ich und trete erneut das Gaspedal durch. »Ich hasse Autofahren.«
Mein Abstand zur Polizei erhöht sich sprunghaft, als die Pferdestärken des Wagens mir einen Schub nach vorne geben. Vor mir leuchtet eine rote Ampel im Dunkel der Nacht und einige Autos vor mir fahren über die Kreuzung. Keine Zeit, zimperlich zu sein. Mit Vollgas rase ich auf die Kreuzung zu und kann nur hoffen, dass die Leute aufgrund der lauten Polizeisirenen vorsichtig fahren.
Ich verfehle nur knapp ein anderes Auto, welches sich noch schnell über die Ampel schummeln wollte und nicht mit einem voranrasenden Maserati gerechnet hatte. Ich weiche ihm aus, meine Hinterräder rutschen kurz weg, doch die Elektronik des Wagens korrigiert das Manöver, sodass die Reifen schnell wieder Grip auf der Straße finden.
Die kleine Unachtsamkeit hat jedoch ausgereicht, damit der Polizeiwagen aufholt. Auch von anderen Seiten höre ich wieder Sirenen. Ich weiß,