Nataly von Eschstruth

Bräutigam und Braut


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die mindesten Rücksichten auf die erheblichen Kosten Gesangunterricht bei einer der ersten Bühnenkünstlerinnen.

      „Um alles in der Welt! wem willst du denn als verheiratete Frau vorsingen, Luzie?“ fragte der Rechnungsrat entsetzt, als seine kapriziöse Gattin ihm die erste Monatsrechnung für Gesangstunden überreichte. „Du weisst’s, ich bin gar nicht musikalisch, Musik macht meinen überanstrengten Kopf nur nervös und eine Geselligkeit, welche derartige Kunstleistungen verlangt, haben wir nicht.“

      „Das ist es ja!“ — tobte Frau Luzie entrüstet. „Auf alle und jede Freude muss ich in diesen vier Gefängniswänden des ‚home-sweet home‘!“ — sie lachte scharf und ironisch auf — „so wie so schon verzichten, — und nun soll ich auch noch meine einzige Passion, welcher in meinem Elternhaus unbedingt Vorschub geleistet wäre, opfern, weil mein Herr Gemahl zu nervös und ... unmusikalisch ist um schöne Künste zu würdigen!“

      „Wenn die schönen Künste nicht zu teuer und ich nicht zu elend wäre, würde ich gewiss nichts dagegen haben —.“ Der Sprecher hustete krampfhaft auf und tastete, wie in letzter Zeit öfter, zerstreut nach seiner schmalen Brust, als schmerze sie ihn. „Dein Vater war mein Vorgesetzter, Luzie! Er kannte mich und meine Verhältnisse, und doch machte er mir Mut, um dich zu freien!“

      „Ja, ja! er wusste, dass du kränklich — sogar recht bedenklich asthmatisch seist —“ antwortete sie kurz, voll grausamer Rücksichtslosigkeit, „darum nahm er wohl bestimmt an, dass du alles tun würdest, um mich sicherzustellen, falls ich Witwe werde und für deinen Sohn sorgen muss. Frag ihn nur! Er wird dir schon klar machen, dass es deine Pflicht ist, mich zur Sängerin ausbilden zu lassen, denn dies wäre doch der einzige Beruf, durch welchen ich noch mein Brot verdienen könnte!“

      Der alternde Gatte der jungen Frau blickte schweigend vor sich nieder. Er verzichtete auf eine derartige Rücksprache mit seinem „Brotherrn“.

      Wie gern hätte er mal etwas für seine angegriffene Gesundheit getan!

      Der Arzt hatte schon im vergangenen Winter, als er sich so schwer erkältet hatte, davon gesprochen, dass ein Aufenthalt in Görbersdorf doch recht zu empfehlen sei. — Je nun, es war bei den vielen Ausgaben seines neuen Hausstandes nicht möglich.

      Sein Schwiegervater hatte ihn übertaxiert, man verlangte soviel ... und ihm war es peinlich, dem hohen Herrn, welcher von Anfang an eine Gnade daraus gemacht hatte, ihn in die Familie aufzunehmen, reinen Wein einzuschenken.

      Mit Spott und scharfen Anzüglichkeiten kam er weder bei Luzie noch Geheimrats durch, das hatte er bald erkannt, — bei Gerda war das etwas anderes, da war er noch Respektsperson im Hause, — aber jetzt?

      Nur keine Szenen!

      Es war ja zum Verzweifeln, wenn der Schwiegerpapa ihn vor den missgünstigen Kollegen en canaille behandelte!

      Also Luzie verlangte die rasend teuren Gesangstunden, und Herr Freienfeld bezahlte sie.

      Das war der letzte, so jammervolle und trübselige Eindruck, welchen Gerda aus dem neuen Eheleben des Vaters mit in die Fremde nahm.

      Und nun wehte eine andere frische Luft daher!

      Durch die offenen Kupeefenster strich sie wie tröstend um ihre Stirn, und das blasse Mädchen atmete auf, als seien ihr plötzlich viel schwere Lasten von den Schultern genommen.

      Noch wusste sie nicht, was ihr für ein neues Kreuz aufgebürdet werden sollte, — aber die Not um das Geld, die grausige tägliche Sorge, jedes Schwefelhölzchen und jede Kartoffel angstvoll berechnen zu müssen, die war wohl für lange Zeit von ihr genommen, wenn sie treu und rechtschaffen ihre Pflicht tat, wie Eskenbooms dies von ihr erwarteten.

      Welch ein neues, fremdes Leben in Holland!

      Wie ist da alles und jedes so interessant, selbst bei kurzem Aufenthalt auf den Bahnhöfen, wie schon die eigenartige Sprache sie in eine unbekannte Welt versetzt.

      Im Haag! Welch eine Flut köstlicher, hochinteressanter Eindrücke!

      Gerda ist auf das angenehmste überrascht, eine geradezu freundschaftliche Aufnahme im Hause des deutschen Konsuls zu finden. Welch hochgeachtete und allgemein geehrte Familie müssen die Eskenbooms sein! Um ihretwillen bereitet man der Tochter des deutschen Beamten eine so scharmante Aufnahme!

      Frau Eliza — die ehemals auch deutsche Reichsangehörige und Tochter eines Grosskaufmanns, welchen überseeische Beziehungen nach Holland geführt, hatte Herrn Willem im Hause des Konsuls kennen gelernt. Da es ein Ausflug an die See war, welcher in grösserer Gesellschaft unternommen wurde, und Jupiter Pluvius gerade an diesem Tage alle Schalen, Krüge und Wannen voll konzentrierten Platzregens über die fröhlichen Naturschwärmer ausgoss, so flüchtete die sylphenhafte zarte, allerliebste Eliza unter den gewaltigen Düffelmantel des Herrn Willem van de Eskenboom — und dieser fand, dass es doch gar reizend sei, so ein ängstlich flatterndes Vöglein schützend unter die kraftvollen Schwingen zu nehmen.

      „Jongfru Eliza,“ sagte er feierlich: „wann es Ihnen gefällt, bei mir unterzukriechen, so schlage ich Ihnen hochachtbar und in Ehren vor, bleiben Sie in dieser Formation als meine sehr liebe Hausfrau bei mir, — ich will Sie allzeit mit meinem Mantel vor jedem Sturmwind und mit diesen starken Armen vor allem Erdenleid beschützen, soweit dies in Menschenwillen steht!“

      Es regnete furchtbar! So rasend nasses Wasser brauste um sie her, dass Eliza ganz schelmisch unter dem prachtvoll warmen, weichen Mantel zu dem blonden Riesen emporlächelte und flüsterte: „Wenn die Liebesflammen in Ihrem Herzen selbst bei diesem Wolkenbruch nicht gelöscht sind, Herr Willem, riskiere ich es in vollster Überzeugung und bleibe bei Ihnen!“ — Da lachte er, denn ihre Fröhlichkeit hatte es ihm angetan, und lachte noch mehr, als sie ihm erst mit ihrem duftenden Taschentüchlein die Rieselbäche aus dem Bart trocknete und ernsthaft sagte: „Du bist ein Landwirt, Willem, mit deiner Kuhmilch kannst du planschen, — was ich auch nicht hoffe — bei Liebesküssen aber wird nicht gestreckt!! — Das merke dir für alle Zeiten!“ — Und er merkte es sich und küsste seinen so lustigen Schatz, und sie küsste ihn, — wie oft? — Das hat niemand gezählt, aber erzählt hat man es sich in der ganzen Gegend, dass es kaum ein glücklicheres Paar gäbe, wie Herrn Willem van de Eskenboom und seine übermütige Frau! Deren Fingerchen war zwar nur fünf Zentimeter lang, aber sie wickelte den grössten Mann Hollands von bald zwei Metern Länge und einem Gewicht von schier zwei Zentnern glatt um dieses Liliputchen herum und bewies dadurch aufs neue, dass der wahren Liebe allerdings nichts unmöglich ist!!

      Diese kleinen Vorgeschichten ihres zukünftigen Hausgenossen erzählte man Gerda schon am ersten Abend, als man gemütlich beim Tee sass und draussen abermals gewaltige Regenböen gegen die Fenster gepeitscht wurden.

      „Sie haben das grosse Los gezogen, mein bestes Fräulein, dass Sie unserer allerliebsten Freundin Eliza nunmehr als freundlich helfender und sorgender Geist zur Seite stehen sollen! Sie müssen nämlich wissen, dass der Klapperstorch auf dem Gutshaus von Esken sein Nest gebaut hat, und dass er in nicht allzuferner Zeit wohl Hoflieferant bei dem glücklichen Paar wird! — Neulich war dasselbe bei uns zum Essen, und da es Schalmandeln zum Dessert gab, ass die junge Frau alsobald ein Vielliebchen mit dem Gatten.

      ‚Wenn ich gewinne, ist’s ein Junge — und wenn du gewinnst, Willem — ist’s ein Mädchen!‘

      ‚Ja, ja Liebling! Aber was soll ich dir schenken, wenn du gewinnst?‘

      Da lächelte sie so schalkhaft, wie es eben nur Frau ‚Eliza‘ kann, nahm seinen Kopf zwischen die Hände und zog sein Ohr ganz nah zu sich heran.

      Sie flüsterte ihm etwas hinein.

      Eskenboom aber schrie laut auf vor glückseligem Gelächter, starrte meinen Mann und mich an wie verklärt und wiederholte atemlos: ‚Noch eens!!‘ sagt sie! ‚Damit wir uns nicht zanken!‘ — Diese Geschichte aber nur à discretion erzählt, sie fällt mir gerade ein, da ich an Ihre künftigen Obliegenheiten denke, Fräulein Freienfeld!“

      „Wie heiter beanlagt muss die junge Frau sein,“ nickte Gerda. „Da wird es mir beinah Angst, ob ich mit meinem ernsten, stillen Wesen zu ihr passen