Robert Heymann

Ein Liebestraum. Napoleon I. Gräfin von Walewska


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      Es wurde Mittag.

      Die Schlacht stand immer noch.

      Da geriet plötzlich der linke russische Flügel ersichtlich ins Schwanken.

      „Davoust ist da,“ sagte Napoleon. Er ritt vorwärts, der Schlacht entgegen.

      Berthier, Marschall und Chef des Generalstabs, des Kaisers persönlicher und aufrichtiger Freund, verstellte ihm den Weg.

      „Sire, hier ist nicht Ihr Platz.“

      „Mein Platz ist unter der Armee, Marschall.“

      „Sie dürfen sich nicht der Gefahr aussetzen, erschossen zu werden.“

      Der Kaiser lächelte Berthier an und erwiderte:

      „Die Kugel, die mich treffen soll, ist noch nicht gegossen.“

      In diesem Augenblick durchbrach ein Schmerzensschrei das Getümmel um Napoleon. Alle hohen Offiziere jagten auseinander, Ross und Reiter stürzten, die Pferde bäumten sich hoch auf in Todesangst.

      General Corbineau lag, von einer Kugel getroffen, tot unter seinem Pferde, dicht neben dem Kaiser.

      Berthier ergriff den Schimmel Napoleons am Zügel und riss ihn gewaltsam zurück.

      Napoleon sah auf den Toten und zuckte die Achseln. Dann setzte er das Fernrohr ab, gab seinem Pferde die Sporen und jagte einen Hügel empor, mitten in das feindliche Kartätschenfeuer.

      „Majestät, ich lehne die Verantwortung ab,“ rief Berthier in aufrichtiger Angst — nicht um sich, obgleich eine liebliche Braut, die Prinzessin Maria Elisabeth Amalia von Bayern, auf ihn wartete. Er liebte den Korsen. Er selber war Soldat vom Scheitel bis zur Sohle, ebenso wie sein Bruder Victor Leopold, der zur Zeit dieser Schlacht in Paris im Sterben lag, während der andere Bruder César als Generalstabschef an der holländischen Grenze stand.

      Kaum war der Kaiser mit seinem Gefolge auf dem Hügel angekommen, als die Kugeln der feindlichen Artillerie in nächster Nähe einschlugen. Aber weder Berthier noch sonst ein General wagten noch, auf Napoleon einzuwirken, denn schon standen alle unter dem aufreizenden Einfluss des fürchterlichen Blutbades, in das die Schlacht ausartete.

      Gegen sechzehn Generäle waren schon zu den französischen Ambulanzen gebracht, davon die meisten tot — und immer noch wütete die Schlacht ungeschwächt fort.

      Heudelet hat eine Kugel in den Leib bekommen. — Defrance ist tot. — Desjardins ist eben gefallen. — Die Meldungen überstürzten sich. —

      Indessen drängte Davoust den Feind mit gewohnter Energie bis nach Sausgarten zurück. Aber hier stand die Schlacht von neuem. Freund und Feind waren zu Tode erschöpft. Aber man focht mit unverminderter Erbitterung weiter. Endlich wichen die Russen über Auklappen und Kutschitten zurück. Da erschien der preussische General Lestoqu. Wie aus der Erde gewachsen waren die Preussen mit einem Male da. Sie hatten im dichtesten Schneegestöber einen bewundernswerten Eilmarsch gemacht, an dem sie auch Ney nicht hatte hindern können. 5500 Mann frische Truppen warfen sich gegen die Franzosen vor Kutschitten. Die französischen Regimenter wurden aus ihren eroberten Positionen herausgeworfen. Davoust jagte umher und schrie und tobte, dass nur keine allgemeine Verwirrung entstand und der Rückzug in Ordnung vor sich ging.

      Es dunkelte.

      Die französischen Kolonnen schöpften Atem. Von neuem gingen sie zum Angriff vor. Davoust focht erhaben. Murat jagte wieder mit seinen Reitern los.

      Napoleon sagte:

      „Wir haben gesiegt, wenn wir nur das Schlachtfeld behaupten.“

      Bernadotte kam nicht. Aber mit einem Male jagte der General Dorsenne heran, gefolgt von einem Korps der Garde, das im Laufschritt daherkam.

      Unter den hohen Bärenmützen lohten die Augen der tapfersten und begeistertsten Soldaten Napoleons.

      Sie schlossen augenblicklich ein Carrée um den Kaiser. Die Offiziere und Marschälle, die ihn umgaben, drängten enger zusammen.

      Die Hand des Caesar glitt langsam zum Degen.

      Eine Abteilung russischer Kavallerie stürmte über das Blachfeld auf den Hügel los, wo der Kaiser stand.

      Sie wollten Napoleon gefangen nehmen.

      Aber als sie nahe kamen und die Mauer der kaiserlichen Grenadiere sahen, die felsenfest, wie zusammengeschmiedet, um den Kaiser standen, da schwenkten sie ab.

      Napoleon sah Dorsenne eine Sekunde mit einem kalten Lächeln an.

      Es wurde finster.

      Die Kanonen schwiegen.

      Der Kaiser ritt aus der Schlacht. Aber er blieb am Schlachtfeld.

      Und im Laufe der Nacht zogen sich die Russen zurück und liessen vierundzwanzig Kanonen auf dem Schlachtfelde. 20000 Mann waren gefallen.

      Auf Seite der Franzosen waren die Verluste kaum geringer.

      D’ Hautpoul bekam aus vierundzwanzig russischen Kanonen ein Denkmal.

      Napoleon war sehr niedergeschlagen. Er schlief einige Stunden.

      Trotzdem am Morgen sein Sieg unbestritten war, verfolgte ihn die Vorstellung von den furchtbaren Verlusten, die seine Truppen erlitten hatten. Sechzehn Generäle waren tot, die Zahl der gefallenen Offiziere gar nicht zu ermessen!

      Er schrieb einen Brief an Josephine:

      „Es gab gestern eine grosse Schlacht. Der Sieg ist mir geblieben, aber ich habe viele Leute verloren. Der Verlust des Feindes ist zwar noch beträchtlicher, vermag mich aber nicht zu trösten. Das Land ist mit Toten und Verwundeten bedeckt. Das ist eben nicht die schöne Seite des Krieges. Ich leide und meine Seele fühlt sich gedrückt, so viele Opfer zu sehen.“

      Es waren nicht nur Gewissensbisse, die aus diesen Zeilen sprachen.

      Die Gedrücktheit kam auch in dem Bulletin zum Ausdruck, das in Paris Entsetzen erregte.

      Es gab Tage, wo den Kaiser der Krieg erschreckte. Wo er die Allmacht der Gerechtigkeit fürchtete, die er in der Geschichte Frankreichs sehen konnte, wenn er nur wollte.

      Es gab Stunden, wo er an seiner Mission verzweifelte. Denn das gab ihm die Kraft in allem — die Kraft zu Blutbädern und Todesurteilen —: Dass er berufen war, so zu handeln.

      Und dass er den Frieden wollte.

      Das war sein ehrlicher Wille. Aber die Wege, die er zu dem ersehnten Frieden einschlug, führten alle zu seinem Thron zurück. Und seine Adler sollten in den Himmel wachsen.

      6.

      Napoleon dachte immerfort an Maria.

      Die blutigen Tage dieses Krieges liessen seinen Wunsch nach ihrer stillen, reinen Liebe wachsen. Er sehnte sich nach ihr.

      Aber noch war nicht die Zeit, sie kommen zu lassen. Jeder Tag konnte neue Kämpfe bringen. Bennigsen hatte sich, ohne aufgehalten zu werden, nach Königsberg gewandt.

      Ney, der ihm diesen Rückzug hätte abschneiden sollen, war erfolglos geblieben.

      So waren denn weitere Kämpfe unvermeidlich. Um 16. Februar bereits geriet General Essen mit fünfundzwanzigtausend Mann an den General Savary, der vertretungsweise für den erkrankten Lannes das Kommando führte. Es war das fünfte französische Korps, das sich an diesem Tage heldenmütig schlug — es war die Schlacht von Ostrolenka, und das Verdienst des Sieges gebührt neben Savary, der eigentlich Gesandter und nicht Militär war, den Generalen Oudinot, Suchet und Gazan.

      Savary erhielt das grosse Band der Ehrenlegion, General Ordener, gleichfalls einer der Helden von Ostrolenka, wurde Graf.

      Trotz dieser Siege beharrten die Feinde darauf, den Krieg bis zum letzten Mann fortzusetzen; Napoleon musste also darauf bedacht sein, den Preussen ihren letzten Stützpunkt, Danzig, zu nehmen und den Russen eine solche Niederlage beizubringen, dass ihnen die Lust zum Kriegführen endgültig verging.

      Immer