wurde halb elf, Maria kam nicht, Duroc meldete sich nicht.
Der Kaiser wurde unruhig.
Vielleicht war ihnen etwas zugestossen. Er durchsah die Pläne der Polen nicht ganz. Auch mit der Eifersucht des Gatten rechnete er.
Aber dieser Gatte ahnte alles und schwieg.
Er war vom ältesten Adel. Vom Stamme derer, die jedes Fleckchen auf ihrer Ehre mit Blut abwaschen.
Aber er war ein Pole. Und man schrieb das Jahr 1807.
Warschau lag im Schnee. Es war Januar. Vor dem Schloss dehnten sich weithin die verschneiten Gärten. Hier hatte Siegmund III. gestanden, als er geschlagen aus Schweden zurückgekehrt war, später als Sieger über Russland. Hier hatte der unglückliche Stanislaus Poniatowski Abschied von seinem zerstückelten Königreich genommen, das er nie wiedersehen sollte.
Napoleon dachte an all dies nicht. Sein Blick suchte nach einem dunklen Wagen, der über die Wege des Gartens kommen sollte. Er trat verdrossen zurück, ging schnellen Schrittes durch die hohen Säle mit den herrlichen Gemälden und Skulpturen und verweilte einige Zeit in der Bibliothek.
Hier sah er über Warschau: Die mächtige, dreihundertfünfzigjährige Annenkirche, die alten Palais, unter denen das der Zamojski hervorragte. Sein Blick streifte bis zum Parke von Lazienki — der einsame Kaiser ahnte nicht, dass hier der achtzehnte Ludwig mit dem Drei-Lilien-Wappen einmal seinen Sturz abwarten würde, um sich auf den Thron zu setzen, den der Sohn der grossen Revolution den Bourbonen geraubt hatte.
Wieder kehrte der Kaiser zu seinem Beobachtungsposten zurück.
Da sah er einen Wagen, den zwei dampfende Pferde die terrassenförmig aufgebaute Strasse emporzogen.
Die Chaise hielt vor dem Portal. Eine dicht verschleierte Dame stieg aus. Ihr folgte der Marschall.
Selbst der Mantel liess die zarte Zeichnung ihrer Figur erkennen. Sie stützte sich schwer auf Durocs Arm.
Als sie aber an seiner Seite die grosse Halle des Schlosses betrat, verliessen sie die Kräfte. Von Angst, Scham und Reue betäubt, sank sie zu Boden.
Duroc fing sie in seine Arme auf. Nun er schon die Beute bis hierher gebracht, hatte er nicht Lust, sie sich entgleiten zu lassen. Maria Walewska äusserte auch keinen solchen Wunsch.
Duroc nahm sie in seine Arme und trug sie rasch entschlossen die Marmortreppe hinauf bis zu den kaiserlichen Gemächern.
Dort liess er sie niedergleiten.
Maria brach in Tränen aus. Der Marschall öffnete die grosse Flügeltüre in das Gemach, wo der Kaiser stand, und meldete: „Die Frau Gräfin Walewska.“
Da trat sie wie im Traume ein.
Duroc schloss hinter ihr die Türe.
Maria sah auf. Vor ihr stand der Kaiser und blickte sie an. Da verdoppelte sich ihre Erregung, und sie schluchzte so heftig, dass Napoleon sie schnell zu einem Sessel geleitete und dort sorglich hingleiten liess.
Aber sie wurde nicht ruhiger. Sie weinte in einem fort.
Napoleon war erst ein wenig verwirrt über diesen Zustand.
Noch war keine Frau mit Tränen zu ihm gekommen. Er suchte sich daher Marias Vertrauen zu erringen. Er dachte nicht daran, sie etwa ärgerlich zu behandeln. Sie war keine Frau vom Schlage jener, die durch eine Entehrung sich in ihrer Eitelkeit geschmeichelt fühlen, weil der Mann, der sich um sie bemühte, der Kaiser war.
Napoleon begriff, dass diese Frau sich nicht dem Kaiser, sondern dem Manne ergeben würde.
Darum wappnete er sich mit Geduld. Er empfand Mitleid mit ihrer Schwäche, zog einen Stuhl heran, nahm ihre Hand in die seine und zog sie an seine Lippen.
Erst stammelte er etwas von Dank. Aber dann wurde er ganz ruhig.
„Warum weinen Sie, Maria?“ fragte er. „Haben Sie Furcht vor mir?“
Sie nickte.
„Warum fürchten Sie mich?“ fragte er leise und suchte die Hand von ihrem tränenüberströmten Antlitz zu entfernen. Nie erschien sie ihm rührender als in dieser Hilflosigkeit. Er wiederholte: „Warum fürchten Sie mich? Hat man Ihnen erzählt, dass ich ein Barbar bin?“
Sie schwieg. Aber allmählich wurde sie zutraulicher. Sie hatte sich ihn anders gedacht, und anders hatte man ihn ihr geschildert. Sie wagte, ihm in die Augen zu sehen.
„Sire, man hat mir gesagt ..“
„Was hat man Ihnen vorgeplaudert, meine Kleine?“
„Dass Sie brutal seien .. und ich hatte gefürchtet ...“
„Sie sollen aufhören, sich zu fürchten, Maria. Das ist das Erste und zunächst Einzige, worum ich Sie bitte. Wollen Sie dem Kaiser der Franzosen diesen bescheidenen Wunsch erfüllen?“
Der Klang seiner Stimme war zärtlich. Ganz anders als sonst. Maria hatte ihn nur auf dem Paradefeld und im Ballsaal sprechen gehört.
Und es war ihr, als seien das drei ganz verschiedene Napoleons.
Sie gewann Vertrauen.
Und sie fand den Mut, unter Tränen zu lächeln, als er wie zu einem Kinde sprach.
„Sire, ich hätte nie den Mut gefunden, zu Ihnen zu kommen, wenn nicht ...“
„Wenn nicht?“ Napoleon erwartete, ein Wort der Liebe zu hören.
„Wenn nicht die Befreiung Polens mir so sehr am Herzen läge. Ich bin bereit, mein Leben für mein Vaterland zu opfern.“
Ueber Napoleons Züge huschte ein Schatten.
Er begnügte sich zu sagen:
„Sie sollen nicht umsonst gekommen sein.“
„Sagt dies der Kaiser?“
„Dies sagt der Kaiser. Aber Bonaparte, der Mann, fragt, ob es nie möglich sein wird, dass ihn Maria Walewska ein wenig lieb gewinnt.“
Bezaubert von seiner Zurückhaltung, seinem Takt und seiner Liebenswürdigkeit sah die Gräfin mit strahlenden Augen zu ihm auf.
„Nun?“ fragte der Korse.
„Ich weiss es nicht,“ entgegnete Maria mit einem leisen Anflug von Koketterie, in der sich zum erstenmal an diesem Abend das Weib zeigte.
Napoleon, der die Galanterie des Despoten nie verleugnete, selbst jetzt nicht, sagte:
„Sie sind wie eine Jungfrau, Gräfin,“ worauf Maria purpurrot wurde und zu Boden sah.
Er nahm ihre beiden Hände.
„Wie konnte diese Blume an einen Mann verheiratet werden, der fast viermal so alt ist?“
„Sire, dies ist eine einfache und doch traurige Geschichte. Man gestattete mir nicht, den Mann zu heiraten, den ich liebte.“
„Ah,“ machte Napoleon, während eine Wolke auf seiner Stirne erschien, „Sie haben bereits geliebt, Madame?“
„Mädchenträume, Sire.“
„Sie sind verflogen?“
„Ja, Sire.“
„Sie lieben diesen Mann nicht mehr?“
Maria lächelte über den Eifer dieser Fragen, aus denen unverhohlen genug die Eifersucht sprach, und schüttelte den Kopf. „Unser Adel ist uralt und gehört zu der eingesessenen Aristokratie Polens. Aber die Familie ist verarmt und wir waren sechs Geschwister.“
„Ihr Vater hat eine hohe Stellung in Polen bekleidet?“
„Sire, das war in dieser Zeit der allgemeinen Wirren nicht möglich. Auch starb mein Vater, als ich noch ganz klein war. Ich habe ihn eigentlich nie gekannt und nur die Erinnerung an unsere gute Mutter behalten, die ihr ganzes Leben lang gekämpft hat, um unser altes Erbgut zu retten. Sie sandte uns Mädchen