„Und Dein Vaterland?“
Das Wort traf Maria wie ein Blitz. Sie erbleichte und wandte das Antlitz der Freundin zu.
„Was willst Du damit sagen?“
„Du begreifst noch nicht? Der Mann, der uns allen unnahbar ist und auf den niemand Einfluss hat, kommt als Mensch, als Bittender zu Dir. Du hast das Recht, zu fordern, Du allein. Die grössten Helden unseres Vaterlandes sind machtlos über ihn. Aber alle vereint der heisse Wunsch, er möge sich die Krone Polens aufs Haupt setzen. Wie — wenn Du deine Schönheit brauchen würdest, Polen einen neuen König zu schenken?“
Maria Walewska war so verwirrt, dass sie in Tränen ausbrach, ohne die Kraft zu einer Antwort zu finden. Denn der Begriff ihres Vaterlandes war ihr das heiligste, grösste und erhabenste, was sie auf Erden kannte. So hatte man sie gelehrt, so empfand sie als Polin.
Täglich schloss sie ihr Vaterland in ihr Gebet ein, das sie als gläubige und überzeugte Katholikin allabendlich zu Gott emporsandte. Wenn es bisher in ihrem unschuldsvollen jungen Leben eine schwere Sorge gegeben hatte, so war es eben das Bewusstsein, dass ihr Vaterland zerstückelt, seinen Feinden preisgegeben war und dass alle Heldensöhne dieses teuren Bodens darum litten und sich in Gram verzehrten.
Anna Potocka wurde nicht müde, ihr die Macht vorzumalen, die sie über Napoleon gewinnen konnte, ihr zuzureden, Polen zu retten.
Sie verliess die Freundin in einem Zustande unbeschreiblicher Erregung, ohne die letzte Frage, die Maria ihr entgegengehalten: „Und die Ehre meines Gatten?“ zu beantworten. Die Gräfin liess den Brief Napoleons liegen, ohne ihm zu schreiben. Aber das überwältigende Bild dieses Mannes schwand nicht aus ihrer Vorstellung, und sie verbrachte zwei Tage in wachsender Erregung und tiefster Niedergeschlagenheit, die mit Begeisterung und Freude wechselten.
Indessen war die Gräfin Potocka nicht müssig geblieben. Sie erkannte einen Fingerzeig der Vorsehung. Sie sah in Maria das reine Werkzeug des Schicksals.
Kaum hatte ihr Gatte von dem Inhalt der Briefe Napoleons Kenntnis, da setzte er sich mit Poniatowski in Verbindung. Frau von Vauban dachte sogleich an eine Wiederholung der Zeiten Ludwigs XlV., vielleicht gar des XV. Sie sah in Maria Walewska eine jener mächtigen Favoritinnen erwachsen, die das Schicksal Europas in ihren Händen hielt. Sie dachte an eine zweite Pompadour oder Maintenon, ohne einen Moment sich Louise de la Miséricordes zu erinnern, die vor etwa hundert Jahren bei den Karmeliterinnen ihr Leben aushauchte, nachdem sie ihre Jugend dem Sonnenkönig geopfert hatte.
Schnell erfuhr der ganze polnische Hochadel um die Schwäche Napoleons. Man sah die erste und vielleicht einzige Möglichkeit, den Gewaltigen zu sicheren Zugeständnissen zu bewegen. Und sofort waren alle sich einig: Das Opfer musste für Polen gebracht werden, und wenn ein Tropfen polnisches Heldenblut in Maria Walewska floss, so durfte sie sich dem Imperator nicht verweigern, musste sich selber als Opfer auf dem Altare des Vaterlandes darbringen, um damit Polens Wiederaufrichtung zu erringen.
Indessen traf ein dritter Brief Napoleons bei Maria ein — — —
„Es gibt Augenblicke im Leben, wo eine zu hohe Stellung zentnerschwer auf einem lastet. Und dies empfinde ich jetzt bitter. Wie kann ein liebendes Herz das sich Ihnen zu Füssen werfen möchte, aber von’ höheren, lähmenden Umständen in seinen heissesten Wünschen zurückgehalten wird, Befriedigung finden? O! wenn Sie wollten! Nur Sie allein vermögen die Hindernisse zu überwinden, die uns trennen! Mein Freund Duroc wird dazu beitragen, es Ihnen zu erleichtern. O! kommen Sie! kommen Sie! Alle Ihre Wünsche sollen erfüllt werden! Ihr Vaterland wird mir noch teurer sein, wenn Sie Mitleid mit meinem armen Herzen haben!“
N.
Maria las den Brief in grösster Erregung. Da also stand es geschrieben! Er selbst erklärte sich bereit, ihr alle nur erdenklichen Zugeständnisse zu machen, wenn sie nur seinem Rufe folgte. Maria las schon mehr, viel mehr aus den Zeilen, als darin enthalten war. Sie las die Befreiung Polens, sie sah schon die polnische Königskrone auf Napoleons Haupt.
Schon wurde er ihr dadurch, dass er ihr Vaterland erwähnte, teurer. Aber noch zauderte sie. Zauderte, obgleich die Gräfin Potocka im Namen aller Verwandten sprach. Obgleich Poniatowski sie beschwören liess, nachzugeben. Obgleich ihr eigenet Bruder Lascinski sie bestürmte.
Niemand erwähnte ihren Gatten. Er war siebzig Jahre alt. Er war tot für Polen. Welche Rechte also wollte er auf diese Auserwählte geltend machen?
Am Nachmittag erschien die Patriotin Madame Abramowicz bei Maria. Sie las einen Brief vor der die Unterschriften der bedeutendsten Edelleute Polens enthielt und ihr galt.
Ganz Polen beschäftigte sich mit Maria Walewska, ganz Polen drang in sie ein, forderte, zwang sie förmlich durch die Kraft eines gewaltigen, jede andere Erwägung unterdrückenden Patriotismus, nachzugeben.
Es waren Mitglieder der provisorischen Regierung, die Maria Walewska schrieben:
Madame! Geringfügige Dinge bewirken oft Grosses. Die Frauen hatten von jeher einen grossen Einfluss auf die politischen Vorgänge in der Welt. Die Geschichte der entferntesten, gleichwie der allerneuesten Zeit bescheinigt diese Wahrheit. Solange Leidenschaften die Menschen beherrschen, werden diese, hochverehrte Dame, einer der bedeutendsten Faktoren der Macht sein.
Der Mann würde sein Leben hingeben für die gerechte Sache des Vaterlandes, die Frau kann dem Vaterlande nicht mit Waffen in der Hand dienen, ihre Natur widerstrebt dem.
Aber statt dessen gibt es Opfer, die sie bringen kann, ja bringen soll, selbst wenn sie ihr peinlich wären.
Glauben Sie, dass sich Esther dem Ahasver aus Liebe hingegeben hat? War der Schauder, der sie vor seinem Blick erfasste, so, dass sie in Ohnmacht fiel, nicht ein Beweis, dass die Zärtlichkeit keinen Teil an dieser Vereinigung hatte? Sie opferte sich, um ihr Volk zu retten und ihr wurde der Ruhm, es gerettet zu haben!
Möchten wir von Ihrem Ruhme und unserer Wohlfahrt dasselbe sagen können!
Sind Sie nicht Tochter, Mutter, Schwester, Gattin von begeisterten Polen, welche allesamt mit uns jenen nationalen Bund darstellen, welche keine Zahl mehr vergrössern, keine Einigkeit noch festigen kann? Hören Sie auf das, Madame, was ein berühmter Mann, ein Heiliger, ein frommer Diener der Kirche, was Fénélon sagt:
„Die Männer, welche in der Oeffentlichkeit alle Machtvollkommenheit besitzen, können doch durch ihre Beratung nichts wirkungsvoll Gutes schaffen, wenn ihnen die Frauen nicht dabei an die Hand gehen.“
Hören Sie auf diese Stimme, Madame, die sich mit der unsrigen vereint, damit Sie die Freude am Wohlergehen von 20 Millionen Menschen geniessen können! — — —
Da endlich brach der Widerstand der jungen Gräfin. Sie bat Gott um Vergebung für die Sünde, die sie begehen wollte, und empfahl ihren Gatten dem Trost der Patrioten. Sie nahm von ihren Freunden und Verwandten Abschied, als ginge sie dem Tode entgegen — und doch bewies gerade der Aufwand von Energie und Gefühlen, dass ihr Napoleon nicht gleichgiltig war, und dass sie dieses Abenteuer weit mehr fürchtete als etwa verabscheute.
Sie liess also Duroc einige Zeilen überreichen, in denen sie dem Kaiser versprach, Nachts zwischen 10 und 11 Uhr ins Schloss zu kommen.
Gegen Abend liessen sie alle, die ihr zugeredet hatten, allein, und Maria wurde das Opfer der heftigsten Gewissensbisse. Ihre Frauenwürde lehnte sich gegen die Schmach auf, die man ihr zumutete. Sie war nahe daran, dem Kaiser wieder abzuschreiben, aber sie fürchtete sich, nein, sie schämte sich, vor der ganzen Nation, vor sich selber, vor ihm.
Der Brief des polnischen Adels traf nicht das Richtige. Sie war nicht Esther, und Napoleon war nicht Ahasver.
Oder doch?
Sollte er der weichliche, nachgiebige Xerxes sein, der auf Esthers Anstiftung 75000 seiner Untertanen erwürgen liess? Nein, so sollte, so durfte er nicht sein, sonst würde sie nie verwinden können, ihm das höchste geopfert zu haben, worüber sie verfügte: Ihre Tugend.
3.
Bonaparte ging in grösster Unruhe auf