Robert Heymann

Ein Liebestraum. Napoleon I. Gräfin von Walewska


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      „Ihre Patrioten haben die Zeit reichlich genützt, wie die Kämpfe der letzten Jahre beweisen.“

      „Aber es ist wenig oder nichts erreicht worden.“

      „Sie unterschätzen die gewonnenen Erfolge, Madame. Mit der Gewalt der Waffen lassen sich keine endgültigen Erfolge erzielen. Die Waffen sind nur die Unterstützung der Diplomatie. An einer solchen fehlt es aber den Polen. Man darf in der Politik den Bogen nicht überspannen. Sie haben unter den geistreichen und tapferen Männern, über welche Ihr Vaterland verfügt, sicherlich begabte Köpfe, die imstande wären, sich zu Politikern auszubilden. Es reicht nicht hin, Mut, Ehrgeiz und Vaterlandsliebe zu besitzen und sich für die Erde, die uns genährt hat, zu opfern. Man muss auch mit List, Schlauheit und gesunder Beurteilung der Schwäche des Feindes das festzuhalten wissen, was die Waffen errungen haben.“

      „Werden Sie, Sire, etwas für Polen tun, damit unsere Männer lernen, diese Weisheit zu nützen?“

      „Ich liebe Polen.“

      Mit diesen ausweichenden Worten, die eigentlich wenig oder nichts besagten, führte der Kaiser die Gräfin zu ihrem Bruder. Der Graf hatte sich bereits mit Rücksicht auf sein hohes Alter und seinen leidenden Zustand die Erlaubnis erwirkt, sich zurückziehen zu dürfen. Napoleon wandte sich den Staatsmännern zu. Der Abend verfloss in Unterhaltung und politischen Gesprächen. Doch mitten in der Diskussion mit Staatsmännern und Generälen hielt Bonaparte inne und wandte sich ab, um eine Weile einsam auf und niederzugehen. Man glaubte, neue Feldzugspläne beschäftigten ihn.

      Aber er dachte an die Gräfin Walewska.

      2.

      Am nächsten Morgen war Napoleon in einem Zustande sieberhafter Erregung. Er schellte, noch im Bette liegend, nach seinem Sekretär Meneval. Dieser, zuverlässiger als sein Vorgänger Bourienne, trat sofort ein. Er war gewohnt, bei Tag zu jeder Minute erscheinen zu müssen und bei Nacht aus dem Schlafe geholt zu werden.

      Napoleon diktierte Briefe. An Souveräne, Minister, Finanzmänner. Er verfügte über die Gelder des Hauses Hope in Amsterdam, damals neben Lasitte und Séguin das gewaltigste Bankhaus des Kontinents, als ob es seine eigenen gewesen wären. Diese grossen Häuser lebten in beständiger Angst und Sorge vor dem Kaiser, denn er duldete niemals, dass sich ein Finanzmann auf unrechtmässige Weise bereicherte. Geschah es, so traf plötzlich der Befehl ein, etliche Millionen an die Staatskasse abzuführen.

      Damals hatte der unfähige Maret noch nicht den Herzog von Cadore im Ministerium des Aeussern ersetzt. Maret war Chef im Kabinett und erschien, nachdem Meneval gegangen war. Mit ihm konferierte Napoleon eine Stunde. Er sagte niemals nein und führte, in seinem Privatleben ein ziemlich unzuverlässiger Mensch, Napoleons Befehle mit einer Gewissenhaftigkeit aus, die sich nur auf seine aufrichtige Zuneigung zu dem Kaiser zurückführen liess.

      Nun trat Constant, der langjährige Kammerdiener, ein. Die Pendule auf dem Kamin schlug acht. Dies war die Zeit, wo Napoleon aufzustehen pflegte. Sein zweiter Sekretär begleitete ihn ins Bad, und während der Kaiser da etwa zehn Minuten verblieb, las der Sekretär die wichtigsten Tageszeitungen vor.

      Aber Napoleon schien kaum hinzuhören. Er war wie geistesabwesend, sprang endlich auf und überliess sich nun Constant, der ihn von Kopf bis zu Füssen anzukleiden pflegte.

      Der Kaiser blieb keine Sekunde ruhig. Er ging im Zimmer auf und ab, warf Zeitungen und Briefe durcheinander und verriet eine Unruhe, die selbst den Kammerdiener in Erstaunen versetze. Erst frottierte er seinen Herrn. Aber Napoleon war mit der Kraftaufwendung Constants nicht zufrieden.

      „Derber, etwas stärker!“ rief er ihm zu und setzte gutgelaunt hinzu: „Nur nicht zimperlich, Constant. Reibe, als ob Du einen alten Esel unter den Händen hättest!“

      Der Kammerdiener verneigte sich schweigend und rieb weiter. Dann nahm er eine Flasche Eau de Cologne und goss sie dem Kaiser über den Körper. Hierauf folgte die Ankleidung. Napoleon trug auch hier in Warschau die grüne Jägeruniform, die er allen anderen vorzog. Täglich erhielt der Kaiser eine neue weisse Hose. Dies war nicht nur eine Formsache, denn er pflegte seine Schreibfedern an den Beinkleidern abzuwischen....

      Zum Frühstück wurde Duroc befohlen.

      Der getreue Freund und Ratgeber traf den Kaiser in einer unbeschreiblichen Aufregung.

      Napoleon nahm schnell eine Tasse Schokolade, dann rief er dem Herzog von Friaul zu:

      „Sie müssen Rat schaffen, lieber Marschall. Ich halte es nicht aus. Ich habe gestern während des Balles keine Minute Ruhe gehabt. Haben Sie sie gesehen?“

      Duroc, der auch den verflossenen Abend in der Umgebung des Kaisers gewesen war und seinen Gebieter sehr gut kannte, erwiderte, ohne eine Miene zu verziehen, mit der Haltung eines vollkommenen Gentlemans:

      „„Die Gräfin Walewska, Sire?“ “

      „Dieselbe. Hat man uns beobachtet, Duroc?“

      „Vielleicht, Majestät.“

      „Sollen sie. Was gehen sie mich an? Nur um die Frau dreht es sich jetzt. Gehen Sie zu ihr, Duroc. Als Oberhofmeister sind Sie der richtige Sendbote. Sie werden verstehen, ihr näher zu kommen. Ueberbringen Sie ihr einen Brief. Warten Sie!“

      Duroc verneigte sich ein wenig. Er war ein ruhiger, schöner, nicht mehr ganz junger, aber durchaus achtungswürdiger Mann. Er kannte den Menschen in Napoleon, aber verriet ihn niemals.

      Der Kaiser warf in fieberhafter Eile einige Zeilen aufs Papier.....

      „Ich habe nur Sie gesehen, Sie bewundert, nur Sie begehrt, schönste Frau! Ich befinde mich in einem Zustande der Exaltation, der durch nichts beendet werden kann. Sie halten mein Schicksal in Ihren Händen. Geben Sie mir schnell eine Antwort, anbetungswürdige Frau, die das Feuer zu beruhigen vermag, das mich verzehrt.“

      Duroc begab sich gemäss den Weisungen des Kaisers in den Palast, den Maria Walewska mit ihrem Gatten bewohnte.

      Sein Auftrag enthielt nicht eben etwas Ungewöhnliches. Napoleon wies das Glück niemals von sich, in welcher Gestalt es sich ihm auch immer bot. Er nahm die Frauen, wie er alle Situationen und Dinge nahm: Ohne lange Ueberlegung, ohne romantische Erwägungen. Dieser Mann, welcher ein ungeheuerliches Arbeitspensum bewältigte, der oft Wochen hindurch von seinem Reisewagen aus Europa regierte und Tage lang nicht aus dem Sattel kam, hatte nicht Zeit, sich den Praeliminarien der Liebe zu widmen.

      Duroc kannte diese Art Liebesspiele und nahm sie so gleichmütig wie irgend ein nebensächliches Tagesereignis. Seine Stellung als Palastmarschall war schwierig, denn in Paris stand er zwischen den Launen des Kaisers und der Eifersucht der Kaiserin, stand zwischen den Intriguen der weitverzweigten kaiserlichen Familie und aller Grosswürdenträger des Reiches.

      Aber er vertrat einzig und allein die Interessen des Kaisers, den er schon als Adjutant in den italienischen Feldzug begleitet und an dessen Seite er seit den Tagen von Aegypten ununterbrochen gekämpft hatte.

      Duroc erlebte eine grosse Ueberraschung.

      Als er sein Schreiben dem Hofmeister der Gräfin übergeben hatte, wurde er alsbald in einen einfachen Empfangsraum geführt — nicht in jenen, der für solch hohe Abgesandte vorgesehen war — und sah sich alsbald der Gräfin selbst gegenüber.

      „Mein Herr,“ sagte die schöne junge Frau, die in diesem Augenblick nichts von der Verwirrung an sich hatte, die ihr so reizend stand, „ich hielt es zwar für meine Pflicht, einen Mann von Ihren Verdiensten persönlich zu empfangen. Aber ich halte es unter meiner Würde, den Brief Ihres Kaisers zu beantworten.“

      „Frau Gräfin“ stammelte Duroc, dem diese Antwort ganz unbegreiflich war, „Frau Gräfin, ich bitte Sie, zu bedenken, dass es der Kaiser ist, der mich mit dieser Mission beauftragt hat...“

      „Sehr wohl. Antworten Sie dem Kaiser, die Gräfin Walewska habe keine Ursache, mit Bonaparte zu korrespondieren. Aber Napoleon lasse sie ihre tiefste Ergebenheit und aufrichtige Zuneigung übermitteln.“

      Damit war dieser merkwürdigste