dieser Nacht hätte Napoleon Bonaparte eine der reizendsten und liebenswertesten Frauen der Erde besitzen können. Er hatte darauf verzichtet und für das versäumte Vergnügen das Höchste eingetauscht, was einem Manne, und wäre er der Herr der Welt, geschehen kann:
Er wurde geliebt.
4.
Napoleon war in dieser Zeit mehr beschäftigt denn je. Es galt, von Warschau aus Paris in Aufregung zu erhalten. Sein unermessliches Reich musste immer und überall eine nimmermüde Hand verspüren, und keinen Augenblick durfte die Kraft nachlassen, die alles zusammenhielt:
Spanien unter der Militärgewalt, England in Schrecken und Aergernis, die Rheinbundfürsten im Bündnis, Preussen in Angst, Oesterreich in Sorge, Russland im Ungewissen.
Breslau hatte kapituliert. Napoleon erfuhr es in den ersten Tagen des Januar. Ein württembergisches Armeekorps hatte die Festung Glogau genommen. Der Kaiser ordnete an, dass ein Teil der Siegesbeute an Standarten dem Könige von Württemberg übersandt werden sollte, dazu zehn Kreuze der Ehrenlegion, um sie unter den Tapfersten zur Verteilung zu bringen. So hielt der Kaiser den Ehrgeiz der Rheinbundfürsten rege.
Am frühen Morgen traf eine Estaffette von Bernadotte ein. Er trieb das Kriegshandwerk damals noch nicht wie ein spitzfindiger Advokat den Prozess seines Gegners. Er war einer der Helden der Schlacht von Austerlitz gewesen und hatte im Juni des vergangenen Jahres das Fürstentum von Pontecorvo zur Marschallswürde erhalten. Im selben Jahre hatte er mit dem ersten Armeekorps den General Tauentzien von der preussischen Hauptarmee abgedrängt und am 15. Oktober den Prinzen von Württemberg bei Halle geschlagen.
Erst ein Jahr später sollte dieser ehrloseste aller Marschälle Napoleons Kronprinz von Schweden werden. Er konnte nie vergessen, dass Bonaparte ihm am 18. Brumaire durch den Staatsstreich die erhoffte Diktatorwürde geraubt hatte.
Bernadotte also hatte bei Mohrungen die Generäle Pahlen und Galitzin geschlagen und etwa dreihundert Gefangene gemacht, über tausend Feinde auf der Walstatt gelassen.
Während der Kaiser die etwas phantastische Siegesschilderung dieses Marschalls las, diktierte er seinem Sekretär eine Botschaft an den Senat.
Er befand sich in bester Laune. Der Sultan hatte an Russland den Krieg erklärt, Persien bereitete Unruhen vor. Beides hatte der Kaiser seiner geschickten Politik und dem Wirken seiner Diplomaten, die durch seine schnellen Siege unterstützt wurden, zu verdanken.
„Schreiben Sie, Meneval:
An den Senat von Frankreich. Wer könnte die Dauer der Kriege, die Zahl der Feldzüge berechnen, um das Unglück wieder gut zu machen, das die Folge des Sturzes des türkischen Reiches zu Konstantinopel sein müsste? Wir würden in diesem Falle eine lange Erbschaft von Kriegen und von Unglück hinterlassen. Sollte die griechische Tiara wieder von der Ostsee bis zum Mittelmeer triumphierend aufgerichtet werden, so würden wir noch bei unseren Lebzeiten unsere Provinzen von einem Volk von Fanatikern und Barbaren angegriffen sehen ...“
Die Botschaft wies zum Schlusse das Verlangen des Senats, der Kaiser möchte in Bälde Frieden schliessen, energisch zurück. Nur auf die Erfolge der Waffen konnte sich der Friede mit den nordischen Völkern stützen, und dieser Zeitpunkt war wohl nahe, aber noch nicht gekommen.
Dann prüfte der Kaiser die eingelaufenen Bittschriften.
Eine davon lautete:
Sire! Mein Taufschein datiert vom Jahre 1690. Ich bin daher gegenwärtig 117 Jahre alt. Ich erinnere mich noch der Schlacht bei Wien und der Zeiten Sobieskis. Ich habe nicht erwartet, das Zeitalter Alexanders sich erneuern zu sehen. Ich nehme die Gnade des grossen Napoleon in Anspruch, da ich als mehr denn hundertjähriger Greis ausser Stande bin, zu arbeiten. Mögen Sie so lange als ich leben, Sire. Ihr Ruhm bedarf zwar dessen nicht, wohl aber das Glück des menschlichen Geschlechts. Narocki.
Der Kaiser befahl, dem Greis eine Jahrespension von hundert Napoleons’dor auszusetzen und ihm die erste Jahresrate gleich auszubezahlen.
Dem Marschall Bernadotte schrieb er, er sei hoch erfreut über das Vorrücken der Russen. Bernadotte möge scheinbar zurückgehen und die Moskowiter nach der niedern Weichsel locken.
Indessen war es elf geworden. Der Kaiser zog sich in sein Privatkabinett zurück und schrieb sogleich an Maria Walewska einen Brief, dessen Inhalt von der Aufregung zeugte, in der er sich befand.
Maria, meine süsse Maria, mein erster Gedanke gehört Dir! Mein erster Wunsch ist, Dich wiederzusehen! Nicht wahr, Du kommst wieder? Du hast es mir versprochen. Wenn nicht, dann fliegt der Adler zu Dir. Ich werde Dich zum Diner sehen. Nimm, ich bitte Dich flehentlich, diesen Strauss an: Er soll ein geheimer Vermittler unserer Gefühle inmitten der uns umgebenden Menge sein. Den Blicken der Menschen ausgesetzt, werden wir uns verständigen können. Wenn ich meine Hand auf mein Herz lege, dann weisst Du, dass es ganz mit Dir beschäftigt ist, und als Antwort drückst Du Deinen Blumenstrauss an Dich. Ach, liebe mich, meine reizende Maria! Möchte Deine Hand niemals das Bukett verlassen. Napoleon.
Der Kaiser klingelte.
Constant erschien in der Minute.
„Duroc möge kommen.“
Der Freund trat ein.
Napoleon übergab ihm den Brief, nachdem er ihn eigenhändig versiegelt hatte.
„Kaufen Sie in dem vornehmsten Juweliergeschäst den kostbarsten Schmuck, den Sie auftreiben können, Marschall. Ich verlasse mich auf Ihren vornehmen und geschulten Geschmack. Ueberbringen Sie ihn zugleich mit einem Strausse gezüchteter Rosen der Gräfin.“
Duroc ging. Napoleon ritt indessen nach dem Paradefeld, um die Revue über die junge Garde abzunehmen, die sich mit ihm in Warschau befand.
Als er ins Schloss zurückkehrte, wartete Duroc mit den erworbenen Diamanten.
„Sire, der Brief und die Blumen wurden angenommen. Der Schmuck wurde mir zurückgegeben.“
Der Kaiser lächelte:
„Daran erkenne ich sie ...
Aber am Abend erschien Maria, schön wie ein Gemälde des berühmten Malers Gerard (der sie später noch verewigen sollte) — doch ohne die Blumen. Sie ging nicht auf die durch Ungeduld und Sehnsucht diktierte Zeichensprache des Kaisers ein, und vergeblich suchte dieser nach den Vermittlern seiner Gefühle
Aber ein Blick in ihre Augen überzeugte ihn, dass seine Worte nicht ohne Eindruck geblieben waren. Noch zeigten diese klaren blauen Sterne die Spur vergossener Tränen. Aber ein süsses Lächeln um den Kindermund der zarten jungen Frau brachte dem Kaiser die Gewissheit ihrer Liebe, und die Wehmut, die über ihren Zügen lag, machte sie ihm nur noch teurer. Er fand keine Gelegenheit, mit ihr zu sprechen. Denn so gross und aufrichtig seine Gefühle für Maria Walewska auch waren, vermied er doch mit ebensoviel Takt wie Vorsicht, sie zu kompromittieren. Er wusste recht gut, dass ungezählte Späheraugen auf ihn gerichtet waren.
Was der Kaiser tat, wurde zehnfach gewertet.
Und niemand sollte ein Recht haben, auf Maria Walewska herabzusehen.
Aber doch wussten mehr um das Geheimnis, als Napoleon ahnte.
Ganz Polen wartete voll Spannung auf den Ausgang dieser Idylle, die über das Schicksal des Landes entscheiden sollte.
Maria bereute schon bitter, ihre Freundin Anna Potocka in des Vertrauen gezogen zu haben. Sie dachte an diesem Abend lange nicht so sehr an Polen als an ihn.
Sie musste sich gestehen, dass er nicht nur die Macht besass, dass er sie auch verkörperte. Dass er ebenso liebenswürdig wie stark, ebenso rücksichtsvoll wie unwiderstehlich war. Sie kämpfte vergeblich gegen eine Liebe, die ihr junges Herz ergriff. Da sie niemals vorher geliebt hatte und trotz ihrer Ehe wie eine Jungfrau empfand, so ergriff sie diese Leidenschaft mit doppelter Kraft und hielt sie vollständig gefangen. Sie sah nur ihn, sie dachte nur an ihn.
Und als das glänzende Diner zu Ende war, da eilte sie an das Portal des Gartens, der sich an ihr Palais schloss, und stieg, ohne zu zögern, in den Wagen,