Dietrich Schulze-Marmeling

Neuer


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in Bochum hat er Geschichte und Religion studiert. Ein Fußballer ist er nicht: „Das Potenzial ist da arg beschränkt.“ In der E-Jugend spielte er noch für Schalke, aber „ich konnte die technischen Defizite durch Training nicht mehr ausgleichen“. Der Fußballer Marcel Neuer porträtiert sich selbst als „technisch schlecht, kämpferisch aber nicht aufgebend“. Freunde schenkten ihm mal zum Geburtstag ein Schalke-Trikot, auf dessen Rückseite „Wemser“ geflockt ist. Marcel Neuer: „So viel zu meiner Spielweise…“ Zum „Wemser“ passt auch seine äußerliche Erscheinung: Marcel Neuer ist kleiner als der berühmte Bruder, dafür aber kompakter gebaut.

      Der „Wemser“ hat trotzdem seinen Weg in den höherklassigen Fußball gefunden: Marcel Neuer gehört zum Schiedsrichter-Kontingent von Schalke 04. Hier hat er es auf ein beachtliches Niveau gebracht. Der 30-Jährige darf in der höchsten Amateurliga und der Junioren-Bundesliga pfeifen. In der Regionalliga assistiert er regelmäßig an der Außenlinie. Marcel Neuer sieht eine gewisse Verwandtschaft zwischen seinem Job im Fußball und dem seines Bruders: „Wir mögen beide eben das Besondere, lieben Entscheidungsfreudigkeit. Feldspieler stehen 20 an der Zahl auf dem Platz. Aber es gibt eben nur einen Schiedsrichter und zwei Torhüter.“

      Manuel Neuers Halbbruder Stefan ist an Fußball nicht sonderlich interessiert. Er studierte Biologie und Sozialwissenschaften und ist Lehrer an einem angesehenen Gymnasium in Gelsenkirchen. Schüler seiner Biologiekurse nehmen regelmäßig am landesweiten Wettbewerb „bio-logisch!“ teil. Halbschwester Stefanie hat auf einer der Rennbahnen des Ruhrgebiets den Beruf einer Pferdewirtin gelernt. Sie lebt bereits seit 13 Jahren in einer Kleinstadt in der Toskana. Keiner der Geschwister macht irgendein Aufheben darum, dass ihr Bruder dieser Manuel Neuer ist.

       Erfolg auf Ameland

      Die niederländische Nordseeinsel Ameland ist ein Mekka für Jugendgruppen. Wenn in Nordrhein-Westfalen Oster- oder Sommerferien sind, veranstalten zahlreiche Kirchengruppen und Sportvereine aus dem Münsterland und dem Ruhrgebiet ihre Jugendfreizeiten auf dieser gut erreichbaren Insel. Einschließlich der Überfahrt mit der Fähre sind es maximal viereinhalb Stunden von Gelsenkirchen bis auf die Insel.

      Als Quartier dienen den Kindern und Jugendlichen zu Gruppenunterkünften umgebaute Gehöfte, die nun zur Ferienzeit mit einem provisorischen Fußballplatz versehen werden. Wer in diesen Wochen über die Insel radelt, sieht alle Nase lang bolzende Kinder und Jugendliche und abgesteckte Felder mit Fünf-Meter-Toren.

      Auch die katholische St.-Urbanus-Gemeinde aus Buer veranstaltet alljährlich Ferienfreizeiten auf Ameland. Die Familie Neuer gehört dieser Gemeinde an, daher sind Manuel und sein Bruder Marcel regelmäßig im Ameland-Lager dabei. Dort beziehen sie Quartier in der Gruppenunterkunft „Duinzicht“ am Hoofdweg 3 in Buren. Manuel Neuer: „Wir hatten jedes Mal eine tolle Zeit.“ Die drei Wochen an der niederländischen Nordseeküste seien das schönste Erlebnis seiner Kindheit gewesen. Ameland ist auch der Schauplatz seines ersten Kusses: „Es passierte auf einem Anhänger, der auf einer Wiese stand.“

      Auf Ameland feiern Manuel und Marcel Neuer ihren größten gemeinsamen fußballerischen Erfolg, als sie mit ihren Kumpels den „Insel-Cup“ gewinnen. Manuel steht im Tor. Noch Jahre später ist er auf Ameland dabei – nun als Betreuer der Jugendfreizeiten von St. Urbanus.

       Auf Asche

      Als Neuer acht Jahre alt ist, spielt er in der dritten Mannschaft seiner Altersgruppe, der „E3“. Die Mannschaft trainiert an der alten Glück-aufkampfbahn im Stadtteil Schalke – auf Asche.

      Dass er eines Tages mal ein ganz Großer werden würde, ist noch nicht zu erkennen. Nur dass er ehrgeizig ist und am liebsten an jedem Tag auf dem Fußballplatz herumtobt. Auch Kopfschmerzen und andere Wehwehchen, die Kinder seines Alters plagen (oder vermeintlich plagen), können ihn nicht vom Training abhalten. Und obwohl er für sein Alter alles andere als groß gewachsen ist, will er beim Training immer ins große Tor anstatt in den Fünf-Meter-Kasten, der seinerzeit bis zur D-Jugend die Regel ist.

      „Manu fiel schon damals durch seinen enormen Ehrgeiz auf. Ich kann mich nicht erinnern, dass er auch nur bei einem Training gefehlt hat.“ Der das sagt, ist Siegbert „Siggi“ Hüneborn, Manuel Neuers erster Torwarttrainer. Der heute 68-Jährige unterrichtete damals an der Gesamtschule Buer-Mitte Sport, Erdkunde, Geschichte und Politik. Heute widmet er sich an der Universität Münster einem „Studium im Alter“ und arbeitet ehrenamtlich für die Manuel Neuer Kids Foundation, der Stiftung des Welttorhüters.

      Als aktiver Fußballer hatte der Torwart Hüneborn nur im Amateurbereich gespielt, u. a. beim TuS Altenberge 09 in der Nähe von Münster. Des Weiteren in der Fußballmannschaft der Universität Münster – gemeinsam mit Heribert Bruchhagen, dem späteren Vorstandschef von Eintracht Frankfurt, und Bernd Wehmeyer, der 1983 mit dem Hamburger SV den Europapokal der Landesmeister gewann. Hüneborn trainiert „auf Schalke“ zunächst von 1987 bis 1989 die B2-Junioren; 1995 übernimmt er die E3, in der auch Manuel Neuer spielt.

      Dass der heute weltbeste Keeper seinerzeit nur in der 3. Mannschaft seiner Altersklasse steht, hat keine Bedeutung. Hüneborn: „Damals gab es noch keine Strukturen wie heute. Beim Spiel sah man Trainer mit der Bierflasche in der Parkatasche und einer Zigarette in der Hand.“ Viele von ihnen besitzen überhaupt keinen Trainerschein.

       Der Reformer: Bodo Menze

      Dass im Nachwuchsbereich eines Bundesligisten derartige Zustände herrschen, war damals nicht außergewöhnlich. Schalke war kein Einzelfall. Viele Profivereine kümmerten sich kaum um die Ausbildung junger Talente. Nicht selten waren die Trainingsbedingungen schlechter als bei vielen Amateurvereinen. Ob als Spieler oder Trainer – zumindest in den unteren Jahrgängen konnte so ziemlich jeder mitmachen, wenn er nur wollte. Dies änderte sich nur langsam, doch spätestens seit der Errichtung von Leistungszentren sind diese Zustände endgültig Vergangenheit.

      Als Manuel Neuer zehn Jahre alt ist, befürchtet Peter Neuer, dass sein Sohn unter den Bedingungen „auf Schalke“ nicht richtig vorankommt, weshalb er einen Übungsleiterkurs absolviert. Doch der Vater muss nicht selber ran, denn die Verhältnisse ändern sich, und qualifizierte Kräfte übernehmen das Training.

      Bodo Menze heißt der Mann, unter dem es nun schrittweise besser wird. Menze, Jahrgang 1953, ist ein waschechter Schalker, sein Elternhaus stand im Stadtteil Schalke, die alte Glückauf-Kampfbahn war in Sichtweite. Menze ist seit seinem elften Lebensjahr Mitglied des Vereins und spielte dort in mehreren Jugendmannschaften. Anschließend studierte er Französisch und Sport und absolvierte an der Sporthochschule in Köln eine Ausbildung zum Fußballlehrer. Er wurde Trainer beim Fußballverband Niederrhein, doch 1991 holt ihn der damalige Schalker Präsident Günter Eichberg zurück in die Heimat. Fortan professionalisiert Menze die Strukturen der Schalker Nachwuchsarbeit und verpflichtet hauptamtliche Trainer: ehemalige königsblaue Profis wie Manfred Dubski und Norbert Elgert und den ehemaligen Herner Zweitligatorwart Lothar Matuschak, der nun die jungen Keeper der Königsblauen ausbildet. Menze ist auch einer der beiden Väter der Kooperation zwischen dem Verein und der Gesamtschule „Berger Feld“; der zweite ist deren Schulleiter Georg Altenkamp. Er leitet bis zum Januar 2014 das später etablierte Nachwuchsleistungszentrum des Vereins, das seit 2012 unter dem Namen „Knappenschmiede“ firmiert. Dass Schalke 04 heute in puncto Ausbildung zu den führenden Klubs in Deutschland gehört, ist ganz wesentlich das Verdienst von Bodo Menze.

       „Trainer, lass mich auch mal vorne spielen“

      Es gibt Kinder, die wollen nur im Tor stehen. Die wollen gar nicht im Feld spielen und hinter dem Ball herlaufen. Noch heute sind es manchmal die Großen und die Dicken, die schon im frühesten Alter im Tor landen. Und dann auch dort bleiben. Wenn sie mal mitspielen wollen, lassen die Trainer dies nicht zu.

      Leider kann man dies auch noch heute beobachten. Ein Samstagmorgen irgendwo im Münsterland. Auf einem gediegenen Rasenplatz stehen sich zwei U9-Mannschaften gegenüber. Die Sonne scheint, die Temperatur