Robert Heymann

Ein Junge liebt ein Mädel: Annemarie Land


Скачать книгу

unabhängiges Auftreten verliehen hatte.

      Er errang sich ein günstiges Abgangszeugnis aus der Unterprima. Nun zeigten sich aber doch die Folgen der Überanstrengung. Er bedurfte dringend der Erholung, um so mehr, als er sich ja auch gleichzeitig von neuem für die Oberprima vorbereiten musste, wenn sein sehnsüchtiger Wunsch, ohne weiteren Zeitverlust das Abitur zu bestehen, in Erfüllung gehen sollte.

      Friedrich Sturm, der Kaufherr, war ihm wieder behilflich. Er hatte sich eines alten Freundes aus der Zeit, da er selbst das Gymnasium besucht, erinnert, des Pastors Winkelmann in F., mit dem er stets in Verbindung geblieben war. Mit diesem hatte er wegen Gerhard Brausewetter mehrere Briefe getauscht. Der Pastor erklärte sich mit Vergnügen bereit, die Vorbereitung des jungen Mannes für die Oberprima zu übernehmen, und da die Gegend, in ihrer Stille und Schönheit vollauf Gelegenheit zur Erholung und Zurückgezogenheit bot, so war Gerhard Brausewetter mit seiner Mutter und dem Kaufherrn übereingekommen, die Ferien dort zu verbringen.

      So war er dann bei Pastor Winkelmann gelandet!

      3

      Die Sonne stand hoch, in dem weichen Gras lagen die Strahlen wie geschliffene Diamanten. Die Bäume warfen dichte; schwere Schatten.

      Gerhard Brausewetter trat in den Garten des Pfarrhauses, um Kühlung zu suchen. Er erging sich eine Weile unter den alten Nussbäumen, als ein leichter Schritt, das Klappern einer Giesskanne seine Aufmerksamkeit nach den Blumenbeeten lenkte.

      Lieselotte stand zwischen den Blumen und begoss sie. Sie trug einen grossen breitrandigen Gartenhut, der bei jeder Bewegung über ihrem Kopfe zitterte. Wie sie so halb über die Rosen geneigt stand, ohne ihn zu bemerken, klopfte sein Herz höher beim Anblick ihrer jugendfrischen, liebreizenden Gestalt.

      Er verharrte eine Weile schweigend, in Nachdenken und Betrachtung. Dann trat er näher.

      Sie hob den Kopf und sah ihm entgegen. Der Schatten, den der Gartenhut über ihre Züge warf, hinderte ihn, die brennende Röte zu bemerken, die ihre Wangen überflutete.

      „Sie sind schon hier, Herr Brausewetter?“ fragte sie lächelnd und fuhr fort, die Blumen zu begiessen. „Ich hatte Sie gar nicht bemerkt.“

      „Ich sehe Ihnen schon eine Weile zu, Fräulein Winkelmann“, entgegnete er. Ein warmer Ton von Zärtlichkeit klang durch seine Stimme

      Sie beugte sich wieder tiefer über die Giesskanne. „Warum nennen Sie mich Fräulein Winkelmann? Sagen Sie doch einfach Fräulein Lieselotte!“

      „Das wagte ich nicht . . .“

      „Warum nicht? Man nennt mich hier allgemein so.“

      „Das mag sein. Aber für mich hat die Anrede doch besondere Bedeutung. Ihr Name besonderen Klang. Ich danke Ihnen, dass Sie mir gestatten, ihn immer auszusprechen, . . . ich möchte ihn immer hören, an nichts anderes denken . . .“

      Sie schwieg eine Weile verwirrt, dann schlug sie die Augen, in denen ein Flimmern war, zu ihm auf:

      „Ich glaube, mein Vater erwartet Sie, Herr Brausewetter —“, und indem sie rasch dem Hause zuging, schien sie der Unterhaltung ein Ende bereiten zu wollen.

      Er folgte ihr.

      „Fräulein Lieselotte — habe ich Sie aus dem Garten verjagt! Ist Ihnen meine Gegenwart lästig?“

      Erschrocken blieb sie stehen, die braunen Augen sahen ihn vorwurfsvoll an: „Wie können Sie nur so etwas denken!“

      „So betrachten Sie mich also nicht als Eindringling? Fräulein Lieselotte — bitte, sagen Sie mir: ich bin für Sie nicht nur ein Fremder, den das Geschick zufällig in das Pfarrhaus von F. verschlagen hat?“

      Sie schüttelte hastig den Kopf, nahm die Giesskanne vom Boden auf und trat ins Haus, ohne ihm zu antworten.

      Von nun an traf er sie fast täglich im Garten. Es war stillschweigendes Übereinkommen zwischen ihnen, und bald wurde aus den ersten, scheu geführten Gesprächen eine vertrauliche Unterhaltung. Sie fühlten beide, dass sie sich liebten — Gerhard wagte jedoch nicht, dies zu gestehen, noch weniger Lieselokke, es sich anmerken zu lassen.

      An einem Abend blieb Gerhard viel länger als sonst im Pastorhause. Die Dunkelheit war bereits eingebrochen, Lieselotte drehte das Licht an. Der Pastor war in ein so angeregtes Gespräch mit seinem Schüler vertieft, dass er erst, als die Kuckucksuhr zehnmal schlug, erstaunt den Kopf hob und darauf aufmerksam wurde, dass er seinen Gast weit über die festgesetzte Zeit hinaus zurückgehalten hatte.

      „Nun müssen Sie aber gleich nach Hause“, sagte er. „Ich mache mir wirklich Vorwürfe; Sie so lange aufgehalten zu haben! Werden Sie denn in der Finsternis den Weg ins Städtchen zurückfinden?“

      „Warum denn nicht?“ gab Gerhard Brausewetter lächelnd zurück.

      „Es ist kein Stern am Himmel, und die Landstrasse ist nicht beleuchtet. Wenn man nicht bestimmte Anhaltspunkte hat, geht man irre und gerät in die Felder oder in einen Graben.“

      Da war nun allerdings guter Rat teuer. Zwar kannte Gerhard den Weg sehr gut, er hätte ihn bestimmt auch gefunden. Aber da Lieselotte ihm in den letzten Tagen ausgewichen war, hielt er sich für berechtigt, eine List anzuwenden.

      „Ich fürchte allerdings, Herr Pastor, ich verfehle das Feldkreuz, wo die Landstrasse abbiegt. Ich kenne die Gegend doch zu wenig.“

      „Nun, wenn Sie denken, kann Sie ja meine Tochter bis zum Kreuz begleiten . . . Lissy!“ rief er in den Gang hinaus.

      „Ja, Väterchen!“

      „Begleite Herrn Brausewetter bis zu dem Kreuz, wo der Feldweg beginnt, damit er den Weg ins Städtchen findet.“

      Sie antwortete nicht.

      „Lissy!“

      Keine Antwort.

      „Lissy! Kind!“

      Alles blieb still.

      „Sie ist etwas schüchtern“, meinte der Pastor lächelnd. „Sie müssen sie schon entschuldigen.“

      „O,“ antwortete Gerhard gekränkt, „ich werde den Weg wohl allein finden; so schlimm ist das nicht, und schliesslich habe ich doch gute Augen.“

      Er sagte das möglichst laut, damit Lieselotte, die sich gewiss im dunklen Nebenzimmer aufhielt, ihn hörte.

      „Na, dann gute Nacht, Herr Brausewetter.“

      „Gute Nacht, Herr Pastor . . .“

      Draussen war alles still. Die Berge standen wie eiserne Recken, still und stumm.

      Gerhard ging langsam durchs Dorf und liess den kühlen Nachtwind seine Stirne umfächeln.

      Das tat gut.

      Ihm war heiss vor Erregung, und quälende Mutlosigkeit befiel ihn.

      „Habe ich sie gekränkt?“ dachte er, „oder spielt sie mit mir? Aber das sieht ihr so gar nicht ähnlich . . .“

      Als er um die Ecke bog, wo als letztes das weisse Häuschen des Krämers lag und die Felder begannen, löste sich eine helle Gestalt aus der Nacht.

      Ohne ein Wort ging sie neben ihm her.

      „Fräulein Lieselotte!“ stiess er in freudigster Überraschung hervor. „Sie sind doch gekommen? Sie wollen mich begleiten?“

      „Muss ich nicht?“ erwiderte sie mit verschleierter Stimme. „Sie werden ja sonst den Weg verfehlen.“

      „Den Weg verfehlen — — ja, das wäre wohl möglich. Man ist so allein hier, weit und breit niemand zu sehen — eine solche Einsamkeit, eine solche Stille — — Fräulein Lieselotte — nur Sie und ich — und Sie sind mir nicht böse, nicht wahr? Sie haben mich in den letzten Tagen nicht gemieden, weil ich Sie irgendwie verletzt habe?“ Und als sie wortlos den Kopf schüttelte: „Fräulein Lieselotte — Lissy — ich habe mich so sehr danach gesehnt, Ihnen zu sagen — —“