Mit Glück spekuliert, denn er zahlte fünfzehn, manchmal siebzehn Prozent, ja, er stellte mehr in Aussicht: Dass er nebenbei verlor, dass manche seiner Unternehmungen missglückten und dass die Kapitalien, aus denen er teilweise diese hohen Zinsen bezahlte, langsam dahinschwanden, darum wusste natürlich niemand.
Pastor Winkelmann hatte nicht einmal die Zinsen genommen. Er begnügte sich mit den Abrechnungen und schrieb jedes Jahr nach Berlin:
„Legen Sie die Zinsen zum Kapital.“
In ein paar Jahren würde sich das Geld verdoppelt haben. Dann konnte Hillmann schon mit Zwanzigtausend operieren. In Pastor Winkelmanns Phantasien wuchsen die Zahlen schneller noch als der gewagteste Zinsfuss sie vermehren konnte, und immer näher rückte die Erfüllung seines heissen Wunsches: die neue Kirche.
Da kam nun Harry Hillmann plötzlich ganz unangemeldet angereist. Gott sei Dank, es war also nichts zu befürchten! Denn heimlich fürchtete Pastor Winkelmann manchmal doch, es könnte mit den Abrechnungen Harry Hillmanns nicht ganz seine Richtigkeit haben. Nicht, dass er auf den Gedanken gekommen wäre, der Bankier könnte ihn absichtlich betrügen.
Aber er konnte sich doch täuschen! Es konnten Ereignisse eintreten, die stärker waren als er.
Harry Hillmann aber war in bester Laune. Er goss sich schon von der zweiten Flasche Wein ein.
Seit Gesicht war gerötet. Dass seine unruhigen Augen noch einen ruheloseren Ausdruck hatten als früher, entging Winkelmann.
„Wissen Sie, Pastor, dass wir über Nacht reich werden können?“
Seine Augen hatten einen fieberhaften Glanz.
Der Pfarrer lächelte.
„Wirklich?“
„Wirklich — — das sagen Sie, Pastor Winkelmann, als ob es sich rein um nichts handelte!“
„Was hätte ich davon, wenn ich reich wäre, Herr Hillmann? Meine Gemeinde würde mir dann eher misstrauen, als nach wie vor ihre Zuneigung bewahren. Ich vertrete Gott und bin bemüht, den göttlichen Gedanken meiner Gemeinde zu übermitteln, ihn wach zu halten Jahr um Jahr. Was sollte mir dabei der Reichtum?“
Harry, Hillmann blinzelte listig:
„Aber die Kirche, Herr Pastor!“
„Ja, die Kirche!“
Pastor Winkelmann legte die Hände ineinander, schloss ein wenig die Augen und lehnte sich in seinem Sessel zurück.
Die neue Kirche!
Harry Hillmann fuhr rasch fort:
„Hören Sie, lieber Pastor, ich habe Ihretwegen die Strapazen der Reise nicht gescheut und bin ohne weitere Veranlassung von Berlin nach F. gefahren. Das bedeutet doch immerhin etwas, nicht wahr? Dann der letzte Teil der Fahrt im Bummelzug und dann mit dem Wagen, das sind für einen Menschen, der gewohnt ist, täglich mit der Geschwindigkeit der Zeit in Wettbewerb zu treten, Opfer der Geduld.“
„Ich bin Ihnen auch sehr dankbar, Herr Hillmann“, entgegnete Winkelmann ehrlich. ,,Es muss Sie etwas ganz Besonderes hierher geführt haben . . .“
„Na freilich! Das ist es doch gerade! Haben Sie mich denn noch nicht verstanden, Pastor? Geld ist zu verdienen! Zu scheffeln ist das Geld! Zu verzehnfachen! Irgendwo da in Süddeutschland ist Kohle entdeckt worden. Ein Unternehmer hat begonnen, ein Bergwerk abzubauen, aber nicht das nötige Kapital zur Durchführung gehabt. Nun aber birgt das Bergwerk ungeheure Schätze. Heute sind die Kuxen billig zu kaufen! In acht Tagen, lieber Pastor, wenn erst die Grube richtig in Betrieb gesetzt wird und die Welt erfährt, welche Schätze da unten lagern, kosten sie doppelt so viel, und in vierzehn Tagen das Dreifache, ja, ich behaupte —“ hier schlug der Bankier mit der flachen Hand auf den Tisch, dass die Gläser zitterten, „ich behaupte, die Kuxen steigen auf das Vierfache ihres heutigen Wertes! Können Sie rechnen, Pastor Winkelmann, he? Begreifen Sie, wieviel man bei diesem Geschäft verdienen kann?“
„Ja, aber . . .“
„Kein Aber, lieber Pastor. Sie müssen Ihre Kirche bauen — entweder, oder. Trommeln Sie morgen Ihre Gemeinde zusammen, legen Sie ihr das Problem vor. Hillmann, derselbe, der lumpige zweitausend Mark gestiftet und so gerne mehr getan hätte, wenn die Zeiten nicht so schlecht wären, ist selber hier. Die Gemeinde soll das bis jetzt gesammelte Kapital in süddeutschen Kuxen anlegen. Ich werde die Sache vermitteln. Wieviel Kapital ist denn vorhanden, Herr Pastor?“
„Bis jetzt neunundachtzigtausend und etliche hundert Mark.“
„Wenig, wenig! Damit wollen Sie eine Kirche bauen? Wollen warten, bis das Geld auf den Schnekkenfüssen des heutigen Zinsfusses wächst? Darüber sinken Sie ins Grab, Pastor! Rechnen Sie sich doch aus, wieviel Sie in einigen Monaten verdienen könnten, wenn Sie meine Anregung befolgen!“
Pastor Winkelmann schwindelte es. Die Zahlen tanzten vor seinen Augen und nahmen rätselhafte Dimensionen an. Er schämte sich beinahe, Hillmann noch weiteren Widerstand entgegenzusetzen, der ihm als Starrsinn ausgelegt werden musste. Der Bankier hypnotisierte ihn förmlich. Es war auch zu verlockend . . . da würde man ja mit der Kirche schon bald beginnen können!
Winkelmanns Brust weitete sich und spannte sich vor tiefer Freude. Er sah das Gotteshaus wachsen und wachsen . . .
„Hier, meine Hand, Herr Hillmann. Die Gemeinde ist zwar vorsichtig — der Herr Bürgermeister wird wohl Unterlagen von Ihnen fordern —“
„Ist ja alles da. Ist ja da!“ Hillmann sah an dem Pfarrer vorbei. —
Am nächsten Tage trug Pastor Winkelmann in einer Versammlung des Gemeinderats das Projekt vor. Der Bürgermeister war auch nur ein einfacher Bauer. Aber so viel wusste er, dass dort oben in Berlin das Geld förmlich aus der Erde wuchs. Dass die Millionen kreisten und dass, wer es verstand, rechtzeitig aus diesem unversiegbaren, goldenen Brunnen zu schöpfen, märchenhaft reich werden konnte.
Schade, dass sein Kapital in Feldern und reichen Viehstand angelegt war! Spekuliert hätte er längst für sein Leben gern! Und was das auf der Deutschen Bank deponierte Geld für den Kirchenbau anbelangte — —
„Na,“ meinte er, mit seiner gewichtigen Stimme alle Bedenken übertönend, „na, wenn Herr Pastor Winkelmann die Sache für gut befindet, so ist gar nichts weiter dazu zu sagen. Der Herr Pastor hat doch sozusagen die Verantwortung, nicht wahr? Wir dürfen ihm getrost die richtige Beurteilung überlassen, er wird es wohl recht machen!“
Winkelmann wollte zwar einen Teil der schweren Bürde, die die Verantwortung auf ihn lud, noch abwälzen, denn so ganz sicher war er seiner Sache nicht, wenn er auch zu ehrenhaft dachte, um Hillmann zu misstrauen. Aber der Gemeinderat entschied einstimmig, dass man Bankier Hillmann das Geld anvertrauen wollte, weil Pastor Winkelmann es befürwortete.
So geschah es also. Hillmann reiste am selben Tag gegen Abend ab und hob die Summe von der Deutschen Bank ab.
Pastor Winkelmann hatte nun manche schlimme Stunde. Tage der Begeisterung und überströmenden Freude wechselten mit solchen tiefer Niedergeschlagen heit. Wenn das Gelb nun doch nicht ganz sicher angelegt wäre? Dann wären die unerhörten Anstrengungen der Gemeinde seit einem Jahrzehnt umsonst gewesen. Dann wäre das Geld der armen Leute, das sie, um Gott zu ehren, sich in harter Fron abgespart, durch seine Schuld verloren!
Aber nein! Hillmann sandte glänzende Berichte. Alles ging gut, die Papiere stiegen, die Verzinsung war vorzüglich. Wenn dann die Kirche einmal gebaut war, dann durfte Pastor Winkelmann auch daran denken, sein eigenes Kapital etwas zu vergrössern, um Lieselotte mehr zu hinterlassen, wenn er erst einmal das Zeitliche segnete. Denn das Kind war doch ganz hilflos, wenn er es einmal verlassen musste — aller Reichtum an Zärtlichkeit und Liebe, den Pastor Winkelmann besass, galt seiner Tochter, ihre Zukunft zu sichern, war sein sehnlichster Wunsch.
6
Gerhard Brausewetter hatte seiner Mutter nichts von seinem Erlebnis erzählt. Reifer war er zurückgekehrt, stiller, zielbewusster, froh und stolz.
Auch seinem besten Freunde