Robert Heymann

Ein Junge liebt ein Mädel: Annemarie Land


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Sie — bisher bin ich allein gegangen, immer geradeaus, ohne links und rechts zu sehen. Aber nun, seit ich Sie kennengelernt habe, Fräulein Lieselotte, erscheint es mir unmöglich, das Ziel, das ich mir gesteckt, allein zu erreichen, ohne die beseligende Kraft des Glaubens und der Liebe . . . und diese Kraft, Lieselotte, können nur Sie mit verleihen . . .“

      Lieselotte erwiderte nichts. Sie schritt die dunkle Strasse schweigend neben ihm hin, die Nacht war lind, die Stille nur von dem eintönigen Zirpen der Grillen unterbrochen.

      „Lieselotte!“ bat Gerhard, „wollen Sie mir nichts sagen? Haben Sie keine Antwort für mich?“

      „Ich muss zurückgehen — Sie können den Weg jetzt nicht mehr verfehlen!“ stiess sie hastig, bebend vor Erregung hervor. Sie blieb stehen, wollte umkehren — aber Gerhard hielt sie fest.

      „Nein, Lissy — ich lasse Sie nicht gehen, bevor ich nicht weiss — ach, Lissy, warum machen Sie es mir so schwer? Sollte ich mich so sehr geirrt haben? Empfinden Sie nichts, gar nichts für mich?“

      Sie standen mitten auf der finsteren Strasse. Weit und breit Stille, Einsamkeit. Gerhard trat ganz nahe zu ihr. Scheu, mit gesenkten Kopf stand sie vor ihm, er fühlte den Duft ihres Haares, seine Augen umfassten sehnsüchtig und zärtlich ihre zarte, schmiegsame Gestalt.

      Behutsam griff er nach ihrer Hand. Sie war kalt, leblos. Aber ihre Finger schlossen sich fest um die seinen, und plötzlich sah er in der Finsternis ihre Augen brennen, sah ihre roten Lippen leuchten — und da zog er sie an sich, mit einer stürmischen, leidenschaftlichen Bewegung und bedeckte ihr Haar, ihre Augen, ihren Mund mit den scheuen Küssen der ersten Liebe.

      Wortlos liess sie es geschehen, wortlos lag sie in seinem Arm. Trunken vor Glück fragte er:

      „Lissy — sag’ es mir: liebst du mich? Liebst du mich wirklich?“

      Da schlang sie beide Arme um seinen Hals und stammelte, während ihre Augen sich im Übermass des Glücks mit Tränen füllten:

      „Ja, Gerhard — ich liebe dich.“

      „O, Lissy — liebe, süsse Lissy — weisst du, wie masslos glücklich du mich machst? Ich könnte — ach, was könnte ich nicht alles für dich tun! Die Sterne möchte ich dir vom Himmel herunterholen — mein liebes, schönes Mädel — —“

      Ihre Augen strahlten ihn in unverhohlener Zärtlichkeit an. „Ich hab’ dich schon lange lieb, Gerhard — eigentlich, seit ich dich zum ersten Male sah — —“

      Eine Bank stand am Wege. Gerhard warf Lieselotte einen bittender Blick zu. „Wollen wir uns ein wenig setzen? Ich habe dir so viel zu erzählen, Liebste — —“

      „Ich müsste heim, Gerhard — Vater wird besorgt sein — —“

      „Nur ein Weilchen, Lissy — ich bringe dich nachher nach Hause — ich lasse dich jetzt in der Nacht nicht allein gehen!“

      „Und du, Gerhard? Du kennst ja den Weg nicht, du findest nicht ins Städtchen zurück!“

      Gerhard lachte übermütig. „Glaubst du das noch immer, Lissy? Weisst du nicht, dass ich nur eine List gebrauchte, um allein mit dir zu sein? Ich bin den Weg so oft gegangen, dass es unmöglich ist, ihn zu verfehlen.“

      Da musste auch Lissy lachen. Sie setzten sich auf die Bank. Gerhard war wie verwandelt, das Glück versetzte ihn in eine geradezu übermütige Stimmung.

      „Ich könnte die ganze Welt umarmen, Lissy —“ er schlang den Arm um sie, und sie schmiegte sich zärtlich an ihn. „Weisst du, als ich in F. ankam, hatte ich schon eine Art Vorgefühl, dass mich hier etwas ganz besonders Schönes erwartet. Sag’ es mir noch einmal, Lissy, sonst kann ich es nicht glauben du hast mich wirklich lieb?“

      „Über alle Massen lieb, Gerhard — —“ sagte sie leise.

      Und wieder küsste er sie, selig, überglücklich.

      Schweigend sassen sie dann nebeneinander, Gerhard hatte den Arm um die Schulter der Geliebten gelegt, ihr Kopf ruhte an seiner Brust.

      Da fing Gerhard plötzlich an, leise vor sich hinzusingen, nach einer alten Melodie sang er ein Lied, dessen Worte ihm in den letzten Tagen immer wieder in den Sinn gekommen waren:

      Ein Junge liebt’ ein Mädel

      Ein Junge liebt’ ein Mädel,

      Ein Mädel, ach, so sehr!

      So’n Mädel ist im Städtel

      Strassauf, strassab nicht mehr!

      Es geht mit stolzen Mienen,

      Die Beinchen schlank, die Waden rund,

      Die Augen blank und rot der Mund.

      Das Köpfchen voll Rosinen!

      Ein Mädel liebť nen Jungen,

      So’n rechten Sausewind.

      Wenn der kommt angesprungen,

      Hab’ acht, mein blondes Kind!

      Er kommt mit stolzen Mienen,

      Und wie er geht und wie er steht,

      Hat er das Köpfchen ihr verdreht,

      Das Köpfchen voll Rosinen!

      Ein Junge liebt’ ein Mädel,

      Ein Mädel, ach, so sehr!

      So’n Liebe, gibt’s im Städtel

      Strassauf, strassab nicht mehr!

      Sie geh’n mit stolzen Mienen

      Stets Arm in Arm und Tritt an Tritt,

      Das hält hübsch warm und schadet nit

      Den Köpfchen voll Rosinen!

      4

      Lieselotte hatte mit schalkhaftem Lächeln gelauscht. Jetzt hob sie das Köpfchen.

      „Ein hübsches Lied!“ sagte sie. „Die Melodie kenne ich, aber den Text — —“

      „Den hat ein Freund von mir verfasst“, fiel Gerhard lächelnd ein. „Ich hab’ das Lied oft gedankenlos im Kreise meiner Kameraden mitgesungen. Jetzt sind die Worte Wahrheit geworden — ich kann’s immer noch nicht fassen, dass du mich Sausewind liebst!“

      Sie erhob sich und strich ihm leicht über das Haar.

      „Du wirst dich langsam daran gewöhnen müssen, du lieber Sausewind, du!“ meinte sie lachend. Aber nun komm, wir müssen gehen.“

      Arm in Arm gingen sie den Weg zurück, den sie eben gekommen waren. Sie sprachen jetzt kaum von ihrer Liebe — sie war ihnen etwas so Grosses, Schönes, dass sie vielleicht beide fürchteten, durch allzu viele Worte die Empfindungen ihrer Herzen zu stören.

      Gerhard sprach von der kurzen Spanne Zeit, die ihn noch vom Abitur trennte.

      „Wenn ich das Examen gemacht habe, Lissy, werden wir heiraten.“

      Sie schmiegte sich eng an ihn und sagte schelmisch lächelnd:

      „Dann bist du ja erst Student . . . dann dauert es noch einmal Jahre, bis du deinen Doktor gemacht hast. Vielleicht trittst du als Student in ein Korps ein — — das wäre ja zu komisch: ein verheirateter Fuchs!“ Sie lachte hell auf.

      „So werden wir eben so lange warten, bis ich mir eine Lebensstellung errungen habe“, entgegnete er. „Was tut das, ein paar Jahre früher oder später? Ich habe jetzt ein Ziel im Leben — keine Stunde werde ich in Zukunft verlieren — nur arbeiten, vorwärtsstreben, um dich, mein köstlichstes Gut, sobald als möglich zu gewinnen!“

      Hand in Hand gingen Sie die Dorfstrasse entlang.

      „Fällt es dir schwer, Gerhard, das alles in dich aufzunehmen? Ich denke mit das schrecklich, tote Bücher zu studieren, all diese lederne Gelehrsamkeit behalten zu müssen!“

      Gerhard