Josephin Lorenz

Anders ist eine Variation von richtig


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für eigene Bedeutsamkeit stärken

      •individuelle Kompetenzen erweitern

      •Potenziale entwickeln

      •Selbstwertgefühl und Lebenszufriedenheit stärken

       Anliegen und Auftrag klären

      Wenn Klienten sich therapeutische Hilfe wünschen, ist es immer wieder hilfreich, genau zu klären, welche Erwartungen an die Unterstützung sie formulieren. Erwachsene Klienten können ihre Wünsche bezüglich einer therapeutischen Begleitung meist klar äußern. In der therapeutischen Begleitung von Kindern und Jugendlichen hingegen merke ich bei der Auftragsklärung immer wieder, dass ganz unterschiedliche Erwartungen formuliert werden – je nachdem, wen ich frage.

       Anliegen der Eltern

      Die Eltern kommen in der Regel zu mir, weil das Kind in Kindergarten oder Schule solche Probleme hat, dass Eltern und das pädagogische Fachpersonal an ihre Grenzen stoßen. Sie sind besorgt, weil sie spüren, dass ihr Kind überfordert ist und unter der Situation leidet. Sie kommen aber auch, weil sie selbst mit diesen Problemen überlastet sind und nicht mehr wissen, wie sie mit dem Kind umgehen sollen. Sie verstehen das Verhalten des Kindes oftmals nicht und erhoffen sich Unterstützung. Ihre Vorstellung, wie sich das Problem auflösen könnte, ist häufig: Das Kind muss lernen, sich anders zu verhalten.

      Von den Institutionen wie Kindergarten oder Schule erwarten sie, dass diese mit den Besonderheiten ihres Kindes besser umgehen können. Dagegen gehen die Institutionen oft davon aus, dass das Kind »nur« falsch erzogen ist, und erwarten, dass Eltern konsequentere Erziehungsarbeit leisten. Dort vertritt man die Ansicht, dass sich das Kind/der Jugendliche in die »Norm« einzufügen hat und sich mit Spaß und Freude an den Gruppenaktivitäten beteiligt oder sich zumindest ruhig und angepasst verhält. Bei Kindern aus dem Autismus-Spektrum wird schnell klar, dass das Kind diese Erwartung nicht erfüllt. Das Kind sondert sich ab, spielt im besten Fall für sich alleine oder zeigt vielleicht aggressives Verhalten gegenüber Gleichaltrigen oder sogar gegenüber den Erwachsenen. Das Kind »stört« also den gewünschten Tagesablauf, und dieser »Fehler« müsse behoben werden. In der Folge erleben die Eltern häufig ein Gefühl von Ohnmacht gegenüber den Institutionen.

      Diese Vorstellungen und Erwartungen helfen nur leider in der Regel nicht weiter, um Probleme, mit denen ein autistisches Kind konfrontiert ist, zu lösen. Also gilt es, schon bei der Auftragsklärung mit den Eltern zu besprechen, welche Anliegen sie an die Unterstützung haben.

       Anliegen der Familie können sein:

      •Informationen über die Diagnose Autismus

      •Analyse des individuellen Unterstützungsbedarfs

      •autismusspezifisches, alltagsorientiertes Elterncoaching

      •Unterstützung in Erziehungsfragen

      •Stärkung von Handlungskompetenzen in Konflikt- und Krisensituationen

      •Begleitung bei der Auswahl und Installation geeigneter Hilfen

      •Teilhabemöglichkeiten für die ganze Familie

      Manche Eltern sind über meine Fragen nach Ressourcen und Fähigkeiten ihres Sohns/ihrer Tochter verwundert, aber meistens können alle Eltern auch von Dingen berichten, die richtig gut gelaufen sind. Eine hilfreiche Orientierung bei der Suche nach weiteren Fragen und Lösungen sind für mich die drei Leitsätze, die Insoo Kim Berg und Steve de Shazer in ihrem Konzept der lösungsfokussierten Kurzzeittherapie entwickelt haben:

      1) Repariere nicht, was nicht kaputt ist!

      2) Wenn etwas funktioniert, mache mehr davon!

      3) Wenn etwas nicht funktioniert, wiederhole es nicht. Mach etwas anderes!

      Besonders die Fragen nach dem, was schon funktioniert, oder besser, wann etwas funktioniert hat, sind hilfreich, um zu erforschen, mit welchen Problemen das Kind und seine Eltern zu kämpfen haben. Immer wieder suche ich daher in Beratungen mit Eltern nach Ansätzen, wo etwas schon gut geklappt hat. Das gleicht manchmal einer Detektivarbeit. Geeignet sind Fragen wie:

      •Was läuft vielleicht trotz aller Probleme gut?

      •Wann war es gut?

      •Was war davor?

      •Wie sah es dort aus?

      •Wie war die Geräuschkulisse?

      •Wer war dort?

      Die Fragen scheinen manchmal banal, können jedoch Aufschluss darüber geben, wo das eigentliche Problem liegt. So rief mich eine Lehrerin nach den Herbstferien verzweifelt an und berichtete, dass mein Therapiemädchen plötzlich ständig den Unterricht stören würde. Gemeinsam fanden wir im Gespräch heraus, dass das Mädchen wohl durch den Ton der Neonbeleuchtung, die nach den Herbstferien morgens eingeschaltet werden musste, deutlich abgelenkt war. Da das Mädchen eine Schulbegleitung hatte, wurde verabredet, dass die beiden bei Bedarf das Klassenzimmer verlassen können.

       Anliegen der Kinder und Jugendlichen

      Eltern bzw. Sorgeberechtigte und das soziale Umfeld formulieren ihre Erwartungen, dass sich das Kind/der Jugendliche ändern soll. Interessanterweise haben die meisten Kinder ähnliche Wünsche. Die Erwachsenen sollen sich ändern, und dann sei alles ganz einfach!

      Die Lösung für dieses Dilemma sollte nicht darin liegen, dass die Erwachsenen die jungen Klienten übergehen und nur selbst die Ziele definieren, die das Kind erreichen soll. Sie sind ebenso in der Verantwortung, eigene Wünsche und Erwartungen zu reflektieren, um so zu überprüfen, welche Handlungsmöglichkeiten sich in der Gemeinschaft auch für ein autistisches Kind eröffnen können. Und es gilt herauszufinden, was den Kindern und Jugendlichen wichtig ist, und sie mit ihrer Sicht der Dinge und ihren Anliegen dem jeweiligen Alter angemessen an diesem Prozess zu beteiligen.

      Was will der junge Klient? Was genau soll sich verbessern? Denn darum »muss« das Kind ja zu mir kommen – weil sich etwas verbessern soll. Die Frage ist nur, wer oder was sich verbessern kann! Kann ein Kind sich vorstellen, was es sich von einer therapeutischen Begleitung wünscht? Kann es das schon in Worte fassen? Je nach Alter und Fähigkeit, sich mit Worten ausdrücken zu können, kann man diese Frage direkt stellen oder im Kontakt über nonverbale Ausdrucksformen (wie zum Beispiel im Spiel, beim Gestalten) klären.

      Manchen Kindern fällt es sehr leicht, auf diese Fragen zu antworten. Sie sprudeln dann nur so vor Wünschen, was sich alles ändern soll. In ihren Augen sind es meistens die anderen Menschen, die sich ihnen gegenüber ungerecht verhalten. Sie können sich dann sehr ereifern, wie blöd, gemein und unmöglich diese Menschen sind. Sie fühlen sich unverstanden und wollen, dass sich das ändert. Aus ihrer Sicht müssen sich dazu natürlich die anderen ändern. Es gibt auch immer wieder Kinder, die sich wünschen, dass in der Schule weniger Anforderungen an sie gestellt würden. Und dann gibt es die, denen die Schule zu langweilig ist und die nach mehr intellektuellen Herausforderungen verlangen.

      Und es gibt immer wieder junge Klienten, die ihre Wünsche nach Freundschaften oder im Jugendalter nach Partnerschaft und Liebe thematisieren. Die allgemeine Vorstellung, Autisten interessierten sich nur für Gegenstände und deren Eigenschaften und seien nicht an anderen Menschen und sozialem Miteinander interessiert, entspricht also nicht der Realität von Menschen aus dem Autismus-Spektrum. Sicher gibt es viele dieser »Einzelgänger«, aber gerade Jugendliche aus diesem Spektrum thematisieren ihre Suche nach einem Partner/einer Partnerin. Sie wissen schon selbst, dass sie zu schnell zu sozialem Rückzug neigen oder Situationen vermeiden, in denen eine Kontaktaufnahme zu Gleichaltrigen möglich wäre. Sie wünschen sich Unterstützung dabei, wie sie mit der Überforderung und dem Stress umgehen können, der durch ihre