Isolde Kurz

Vanadis


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du dich auch fleißig unter den Kunstschätzen umgesehen? Kennst du das schöne Grabmal von Jacopo della Guercia im Dom?“

      Das Gesicht des Jungen blühte auf.

      „Das Grabmal des Jacopo della Guercia? Ob ich es kenne? O Herr, jede freie Stunde gehe ich hin es ansehen, es ist gewiß das schönste in der Welt, die liegende Frau mit dem Hündchen zu ihren Füßen und dem herrlichen fließenden Gewand. Wie schön der Kopf in dem Kissen liegt, das darüber von beiden Seiten aufschwillt, so natürlich und doch so – so –“, er suchte das Wort, „so ganz besonders.“

      „Und von dem Gesichte der Frau sagst du nichts?“

      „Oh, sie ist schön – und edel – eine wahre Gentildonna.“

      „Ja, das ist sie“, antwortete Egon, „die Mutter dieses jungen Fräuleins hat ihr geglichen.“

      „Und auch das Fräulein gleicht ihr und ist ebenso schön.“

      Die unbefangene Anmut des Knaben nahm den Frager ganz gefangen, und seine Begeisterung für das Grabmal des Jacopo della Guercia rückte ihn menschlich näher heran. Der wundervolle Sarkophag hing in einer großen Zeichnung zu Hause über seinem Schreibtisch; noch mehr als die hohe Kunst fesselte ihn daran die Ähnlichkeit der Liegenden mit Eugenie van der Mühlen. Da war das etwas kurze, aber unendlich reizvolle Näschen mit seinem so ganz persönlichen Abstand zur Oberlippe, worin die Ähnlichkeit lag. Sie war keine nachträglich eingebildete, sie war ihm schon damals aufgefallen, als er die beiden Gesichter zur Vergleichung nebeneinander hatte.

      „Was hast du denn hier in dem zweiten Korb unter dem Tuche?“

      „Das sind lauter Marmorsachen, Herr, Kunstwerke, die mein verstorbener Vater in seinen Mußestunden angefertigt hat. Er war kein gewöhnlicher Steinmetz, Herr, er war ein Künstler, nur daß die Mittel ihm nicht erlaubten, etwas Großes zu machen.“

      „Laß sehen.“ – Egon nahm eins ums andere der Figürchen auf und legte sie in den Korb zurück. Es waren plastische Spielereien, wie sie zu Hunderten in all den kleinen Bildhauerwerkstätten um Carrara her gefertigt werden.

      „Und dieses hier? Hat das auch dein Vater gemacht?“ Egon fragte es lächelnd, indem er ein Pferd von ganz unmöglichen Verhältnissen unter den anderen Stücken hervorzog.

      „Nein, das hat mein Vater nicht gemacht, ich weiß auch nicht, wie es hier hereinkam. Es ist ein Versuch von mir, und ich weiß wohl, daß er mißlungen ist.“

      „Das ist er freilich. Hast du dich noch mehr versucht? Was ist denn das hier?“

      Er zeigte auf ein anderes Stück, einen kleinen Jungen, der auf der Muschel blies. Der jugendliche Künstler reichte ihm das Ding in großen Ängsten:

      „Ich kann noch gar nichts, ich weiß es wohl, aber ich möchte gern etwas können.“

      „Treibst du diese Versuche schon lange?“

      „Herr, solange ich zurückdenken kann, knetete ich in Vaters Werkstatt Figürchen aus Ton und Wachs. Seit er tot ist, habe ich nichts mehr zu kneten, aber ein paar hübsche Stücke Marmor fanden sich noch vor und sein Handwerkszeug, das Mutter nicht verkaufen wollte.“

      „Und da schlugst du diese Sachen gleich aus dem Stein?“

      Der Junge nickte. Egon nahm die Stücke nebst ein paar anderen von der Hand des Jungen noch einmal auf und legte sie fein säuberlich wieder in den Korb.

      „Du hast recht, du kannst jetzt noch nichts, aber es kommt vielleicht eine Zeit, wo du etwas können wirst, wenn du zu einem guten Meister kommst, der dich anleitet.“

      Die Augen des Jungen glänzten. „Wenn ich die Mittel hätte, wäre ich längst in eine Bildhauerschule gegangen. Aber ich muß mit meinem Verkauf der Mutter aufhelfen, die nicht mehr so streng arbeiten kann.“

      Egon ließ sich seine Verhältnisse ganz genau auseinandersetzen und auch die Wohnung seiner Mutter nennen.

      „Geh jetzt und sieh, daß du deinen Gipskram verkaufst. Die Marmorsachen kannst du ja solange stehenlassen, die nimmt dir in hiesiger Gegend doch niemand ab. Dann komm noch einmal hierher, daß wir weiterreden.“

      „Pate, darf ich nicht den Knaben mit der Muschel behalten? Er gefällt mir“, sagte Vanadis.

      „Mir auch“, lächelte Egon. „Behalt ihn nur, ich werde den kleinen Künstler entschädigen.“

      Indessen legte er Wert darauf, auch die Meinung Folkwangs zu vernehmen. Sie betrachteten den Muschelbläser von allen Seiten und fanden von allen Seiten zu loben.

      „Es ist nichts Nachgemachtes dabei“, sagte Egon, „es ist alles selbst gesehen, auch das Pferd, so mißlungen es ist, hat eine Bewegung, die frisch aus der Natur geholt ist, nicht von einem Vorbild. Der Junge hat Augen im Kopf, aus dem kann etwas werden; man darf ihn nicht verkommen lassen. Und einen guten Charakter scheint er auch zu haben. Konnte nicht Gott mir einen solchen Sohn geben!“

      Als der Junge wiederkam, zitternd vor Verlangen nach seinem Schicksalsspruch, gab ihm Egon zunächst eine kleine Summe Geld, mit der solle er nach München fahren und sich dort mit einigen Zeilen von ihm bei einem angesehenen Künstler vorstellen, der eine Bildhauerschule leitete. Wenn dieser finde, daß sein Talent die Ausbildung verlohne, so solle er für ein paar Jahre eine kleine Unterstützung erhalten, die ihn bei sparsamem Leben über die Lehrzeit wegbringen werde, besonders wenn er sich noch gelegentlich durch Modellstehen etwas zu verdienen suche, da er ja gut gewachsen sei. Danach ermahnte er ihn streng zu Fleiß und Sparsamkeit, und daß ihm auch das Geld keineswegs geschenkt sei, daß er es vielmehr zurückerstatten müsse, sobald er etwas sei und habe, weil auch andere der Hilfe bedürftig seien.

      Die Freude des Jungen äußerte sich in leidenschaftlichen Dankesworten und wiederholten Handküssen, die nichts Sklavisches an sich hatten, weil sie unverkünstelt aus der glücklichen Art eines Volkes flossen, das jedes Gefühl äußern kann, ohne sich etwas zu vergeben. Man sah ihm an, daß Paradiese vor seinen Augen aufgingen.

      „Ich will mich fest zusammenhalten“, sagte er, „daß ich Ihrer Güte keine Schande mache. Denn ich will ein wirklicher und großer Künstler werden, größer als mein guter Vater war, und sehr, sehr reich.“

      Egon belustigte sich an diesem echt südländischen Gedankengang. „Was tust du denn, wenn du ein großer Künstler wirst und sehr reich?“

      „Dann will ich das Fräulein hier fragen, ob sie mich heiraten will“, sagte er sehr einfach und sehr kindlich. So begann die Laufbahn Giulio Goffredis.

      Herr Folkwang hatte weislich angeordnet, daß der Vorgang mit dem Lucchesen vor Roderich geheimzuhalten sei, aber Fannys Temperament übersprang das Schweigegebot. Daß ein Vater den Herzenswunsch des eigenen Sohnes abschlug, um ihn gleich darauf einem Wildfremden, nur eben des Weges Gekommenen, zu erfüllen, wollte ihr nicht hinunter, und was ihr nicht hinunter wollte, mußte alsobald heraus. Vermutlich hätte sich Egon, der gar nicht zu den Schnellentzündlichen gehörte, den Entschluß noch überlegt, wäre ihm nicht bei der Erinnerung an den Wall von Lucca und das Grabmal des Jacopo della Guercia das Herz mit einem Male durchgegangen und die Fremdheit zwischen ihm und dem Sohne des wilden Weibes, das damals seinem Glück im Wege gestanden, ihm noch schwerer auf die Seele gefallen. Denn diese würde im Fall seiner Verheiratung in der Öffentlichkeit ein lärmendes Ärgernis erregt haben, dem er nicht gewachsen war und das wohl auch die Eltern van der Mühlen zurückgeschreckt hätte. Daß er der niedrigen Weibsnatur dennoch aufs neue verfallen war und ihr Anlaß gegeben hatte, ihn für den Vater Roderichs zu erklären, war eine Schwäche, die er sich nie vergab. Er büßte sie mit freiwilliger Entsagung und asketischer Lebensführung, die allmählich das Wohlgefallen am andern Geschlecht in ihm abtötete, die es aber auch begreiflich machte, daß er dem aus solcher Verwirrung hervorgegangenen Sohn keine väterlichen Gefühle entgegenbrachte.

      Dieser rächte nun die vom Vater erfahrene Zurücksetzung an dem unglücklichen Lehrer, und war er zuvor unachtsam und abgeneigt gewesen, so setzte er jetzt dessen treuen Bemühungen einen stummen Hohn entgegen. Herr Wittich war schon