Das junge Mädchen schüttelte ein wenig ängstlich das Köpfchen.
„Ich fürchte, Tante Adele, mein Haar wird sehr auffallend sein und meine ganze Erscheinung recht ungewöhnlich machen!“
„Schadet das etwas?“
„Du weisst, dass es mir jetzt schon sehr peinlich war, so viel angestarrt zu werden!“
„Was hätte manch andere darum gegeben!“
„Ich bin so anders geartet als ‚manche andere!‘“
Frau von Welten lächelte. „Gottlob, dass es so ist, sonst hätten wir dich wohl die längste Zeit im Hause gehabt. Weisst du, Lobelia, auf was ich sehr gespannt bin?“
„Nun, Tantchen?“
„Auf den Mann, der einmal als der rechte kommt, dein bisher so unberührtes Herzchen zu eigen zu nehmen!“
Lobelia lachte. „Auf keinen Fall darf er fernab von euch wohnen. Es ist mir ein so unsympathischer Gedanke, mich von euch und Mahrendorffs trennen zu müssen!“
„Schade, schade, dass wir nur diese eine verheiratete Tochter und nicht noch einen heiratslustigen Sohn haben!“
„Er fürchtete vielleicht dieses Attentat auf seine Freiheit, darum erschien er gar nicht erst! — Aber weisst du“ — die Sprecherin blickte schalkhaft empor —, „ich hätte gut zu einer Pharaonentochter gepasst! Die Glücklichen konnten so im engsten Familienkreis heiraten!“
„Nur ihren Bruder!“
„Gerade das deucht mir zu schön! So ein und dasselbe Elternpaar besitzen ...“
„Aha! Umgehung der Schwiegermutter!“
„Wirklich, Tantel, vor der hätte ich auch Angst! Und dann womöglich so weit weg von daheim — und sie zuvor kaum kennenlernen ....“
„Nun — soviel weiss ich: Dein glühender Verehrer aus Kroatien hat keine Chancen.“
Sie lachte und steckte noch einen sehr hübschen Zierkamm in das hochgewellte Haar.
Ein altes, auffallend geformtes Stück, das Lobelia als Andenken an die Mutter fast ständig trug.
Es bestand aus ziseliertem Gold, in das Edelsteine eingelegt waren, und hatte die Form eines hochstehenden Krönchens, wie die Königinnen und Prinzessinnen in Märchenbüchern solch einen spitzzackigen Schmuck tragen.
„Der Kroate!“ Lobelia machte ein ganz entsetztes Gesichtchen. „Solch einem unheimlichen Menschen in die Bergwildnis seiner Heimat folgen, wäre ja für mich Selbstmord!“
„Ja, unheimlich; du hast recht. Woran es eigentlich liegt, weiss ich nicht. Sein Gesicht kann bei aller Derbheit etwas Gutmütiges haben!“
„Niemals, Tante! Brutal, gewalttätig! Gerade dieser sinnliche Ausdruck, dieser auf jeden materiellen Genuss lüsterne, lässt mich schuckern! — Dumm sieht er nebenbei auch aus — und jedes Gesicht, das Ähnlichkeit mit einem Tier hat, wie bei ihm, ist mir bis auf den Grund der Seele zuwider!“
„Du bist zu künstlerisch und selber viel zu schöngeistig veranlagt, um die brutale Leidenschaft ertragen zu können!“
„Das ist’s, Tante Adele! Siehst du, ich will einmal ganz ehrlich sein. Wenn ich mich einmal verliebe, so muss es ein sehr geistreicher Mann sein! — Ein Auge, aus dem ein Stück Gottheit leuchtet!“
„Lobelia! Welch ein Ansinnen!“
„Warum? Der Geist wird nicht nach Mass verliehen, — und: Gott ist Geist. — Die buddhistische Religion lehrt ja geradezu, dass alle Dichter und Denker, die Gelehrten und Künstler summa summarum, dem Himmel schon hier auf Erden um viele Stufen näherstehen als andere Sterbliche. Und mein Entzücken sind interessante, geistreiche Menschen!“
Frau von Welten umschloss die zierliche Gestalt der Nichte: „Also sehr kluge, lebhafte Augen muss dein Zukünftiger einmal haben.“
„Ein feines, durchgeistetes Gesicht —“
„Von des Gedankens Blässe angekränkelt?“
„Das ist nicht nötig!“
„Manch geistreicher Stratege ist sehr wetterfest — vom lichten Flunderbraun bis zum gebrannten Mokka nuanciert!“
Wieder leises Lachen. „Und gar die Diplomaten! Von des Südens heisser Sonne abschattiert —“
„Oder vom Nordlicht angesengelt —“
„Weltregierendes Wissen im Blick!“
„Die Stirn erscheint geradezu transparent.“
„Ohne Fürstenkrone dennoch ‚dorchleuchting‘!“
„Tanting — das war des Wortes verwegenster Sinn.“
„Auf jeden Fall das Gegenteil von Herrn Gaj Gyurkovics. Heisst er nicht so?“
„Die Visitenkarte an seinem Blumenstrauss verriet es uns. Eine Vorstellung am Heustadel fand, soviel ich mich entsinne, nicht statt.“
„Hast du dich eigentlich schon dafür bedankt, dass er sich so teilnehmend nach deinem Befinden erkundigte?“
„Um alles nicht! Onkel wollte es für mich abmachen — der Grund, dass ich mich aus Gesundheitsrücksichten zur Zeit von allem zurückziehe, ist ja stichhaltig genug!“
„Da du in nächster Zeit wohl nur hier in dem Hotelgarten — und das auch nur in unsrer Begleitung — promenierst, so ist ja eine Begegnung mit ihm ausgeschlossen oder doch sehr gleichgültig.“
„Sehr nett und überraschend manierlich war die wundervoll bunte Ansichtskarte von Schloss Tirol, die der junge Löselbub Vinzenz am Tag nach dem Bärenrenkontre an den Onkel und mich schrieb! Er fragte, wie das Befinden von der Gnädigen sei!“
„Und stellte in Aussicht, dass er bald ‚fein selber zurückkäm‘, sein Versprechen zu halten! Was meint er damit?“
„Ich ahne es nicht, Tante; ich war an jenem Morgen so elend, dass ich kaum noch weiss, was gesprochen wurde.“
„Seiner ‚Muatter‘ müsste er nur erst seinen Verbleib melden!“
„Er scheint wieder herkommen zu wollen?“
„Wenn er als Rekrut ausgehoben ist, muss er sich vielleicht bald stellen?“
„Darüber weiss ja Onkel Bescheid.“
„Jedenfalls haben wir dem braven Burschen viel, sehr viel zu danken.“
„Bis halbwegs Meran sind sie ja dem Wagen entgegengelaufen!“
„Vor Schönna haben sie zufällig noch einen Fiaker, der Fremde nach dort gebracht, erwischt, sonst hätten wir noch stundenlang in dem Wald, auf dem schrecklich harten, unbequemen Baumstumpf warten müssen! Aber doch tausendmal besser, als in der feuchten, eiskellerigen Sennhütte, unter den so entsetzlich, unerträglich mich anstierenden Augen des kroatischen Bärenjägers!“
„Hoffentlich verschont er uns mit einem Besuch.“
„Ich bin nie für ihn zu sprechen, Tante, das habt ihr mir ja schon versprochen.“
Sechstes Kapitel
Es klopfte.
Vroni trat ein.
Während der Tage, an denen Lobelia so viel allein und still auf ihrem Diwan lag, hatte Vroni sie während des Aufräumens und Reinemachens des Zimmers aufs beste unterhalten.
Ihr treuherziges Wesen gefiel der jungen Dame.
Lobelia erfuhr, dass sie beim Sandhof, hinter Tirol, an der Passer gelegen, daheim sei.
Ihr Vater hatte ein kleines, freilich nur sehr kleines Anwesen, droben in einem Alptal gelegen, wo sie gerade ein wenig Vieh für das Nötigste halten konnten.