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Tatort Garten


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lebe hinter einem Rosenwall / und brauche ihre Namen nicht bemühen.

      Die beiden letzten hat Rogier mir geschenkt. Er liebt alles Französische, wegen seines Vaters, der aus Dijon stammte. Er hat seine Mutter immer »ma chère« genannt, wenn er kam, um sie zur Begrüßung auf die Stirn zu küssen. Für ihn hat sie gelächelt. Bis er wieder aus dem Zimmer war und wir alleine zurückblieben mit dem Geruch nach Medikamenten und ihrer Angst. Ich war für ihn »la dame des roses«, ehe ich zur »dame blanche« wurde, zur Hexe, die den Tod bringt. Wie gerne würde ich ihn mir selber gönnen. Ein einfacher Absud von der Tollkirsche, die hinten im Garten neben der Wäscheleine wächst, berankt von der zärtlichen »Ghislaine de Féligonde«, ein furchtbarer Name für eine so fragile Rose von fast durchsichtigem Orange mit einer sehnsüchtig cremefarbenen Mitte. Ach, sterben und von ihren Wurzeln sanft umfasst und gehalten werden.

      Ruhig sterb ich so mit dir,

      Rose, bald bald droht auch mir

      Die Verwesung. Meine Glieder

      Geb ich froh der Erde wieder,

      Ruhig sterb ich so mit dir.

      So wäre es gut. Aber das geht nicht. Tot würden sie mich für immer von meinen geliebten Rosen trennen. Also stehe ich weiter jeden Morgen auf und trete meinen Gang an, der mich noch vor dem Tee hinausführt in meinen Garten. Längs des Weges habe ich »Canary Bird« gepflanzt, die sieht bescheiden aus und rustikal, und sie blüht als eine der ersten im Jahr. Ich liebe ihr Gelb in der Morgensonne, wenn ich zum Briefkasten gehe, ganz langsam, als genösse ich einfach nur den beginnenden Tag, dabei weniger werdend mit jedem unsicheren Schritt, wie die sterbende Katze, die mir vom Fenster aus nachschaut. Um mich herum aber ist alles unbändig am Leben. Manchmal kann ich nicht anders, ich tauche mein altes, hutzeliges Gesicht in die süße Fülle. Nur für einen Moment. Die klare frische Rosenblüte streichelt / mein geschlossenes Auge leicht, / als legte sie noch tausend kühle Lider, / eines auf das andere, über / mein heißes Lid ...

      Für den Vorgarten, der einmal sogar für ein Gartenmagazin fotografiert wurde, kann ich nicht mehr viel tun, der Rasenmäher ist mir zu schwer geworden, und die stachligen Kissen der bodendeckenden »Heidetraum« wuchern inzwischen wild über das hinweg, was einmal Beete waren, mit Storchenschnabel, Horn- und Bilsenkraut, mit Zierlauch und Lavendel, dazu Ziest, Kaiserkronen, Fingerhut, allen Arten von Anemonen, mit Schneeglöckchen und dem Knoblauch, den ich einst als Schutz gegen Mehltau zu meinen Lieblingen setzte.

      Dazwischen leuchten die blauen Scherben des Topfes hervor, den ich zerbrach, damals, nach Mutters Tod. Sehr malerisch, ein Effekt, den andere mit viel Mühe künstlich erzielen. Die Leute zeigen es sich gegenseitig mit den Fingern. Sie bewundern den Verfall. Sie interessiert nicht, dass der Efeu, der sich um alle Fenster windet, die Dachziegel anhebt, sodass es auf dem Dachboden schon ganz feucht ist und der Schimmel langsam in die Wände kriecht. Ein Umstand, gegen den ich nichts mehr unternehmen kann, da es mir unmöglich ist, die Leiter noch herumzuheben. Und sie sehen auch nicht, dass die Rosen ebenfalls nicht mehr sind, was sie einmal waren. Als fühlten sie, wie es mir geht.

      Das Stecklingsbeet hinten ist verwaist, ich bemühe mich nicht mehr darum. Ich hacke nicht mehr, ich mulche nicht mehr, und ich bete darum, dass der nächste Frühling regenreich wird, denn wer soll meine Kinderchen sonst regelmäßig gießen?

      An der »Westerland« habe ich einige Wildtriebe entdeckt. Das ist etwas, worum ich mich noch immer kümmere, wenn ich es sehe. Dann ziehe ich meine geliebten Bradley’s an, das sind Gartenhandschuhe mit Lederstulpen – noch etwas, was die Touristen lieben, so britisch, dabei ist es einfaches Handwerkszeug, praktisch und mit viel Geschichte. So viele Gärtnerinnen vor mir sind in diese Handschuhe geschlüpft und haben, voll Gottesglauben oder auch einfach nur aus Liebe zur Schönheit, ihre Rosen gepflegt und vermehrt. Ich ziehe also die Handschuhe an und greife zu meiner Schere. Sie muss scharf sein und nach jedem Schnitt mit Brennspiritus gereinigt werden, verstehen Sie? Damit keine Krankheiten von einer auf eine andere Pflanze übergreifen. Früher hielt ich die Klinge über eine Flamme, aber meine Finger können das Feuerzeug nicht mehr bedienen. Wie viele habe ich nicht fallen lassen; ihre hässlichen Plastikhüllen sind zum Glück verborgen unter Gras und Blüten. Und jetzt, im Herbst, bläst der Wind mir die Kerzen aus.

      Ich schneide einen Stiel der »Westerland«, einen Büschel voll kupferfarbener Blüten. Dann fällt mein Blick auf die unglaublich große, prall gefüllte Blüte der »Auguste Renoir«, vom letzten Regenschauer schon etwas angegriffen, doch schön noch im Verfall. Ich kann nicht widerstehen, schneide auch sie, trage die Sterbende sanft ins Haus und arrangiere sie mit einigen Blüten der »Leonardo da Vinci« in einem Porzellankörbchen. Allein der Anblick stimmt glücklich, reine Glückseligkeit. Für einen Moment, während ich sie zurechtrücke, vergesse ich sogar meine Schmerzen. Das Körbchen werde ich auf das Fensterbrett stellen. Dort wird er sie als Erstes sehen, wenn er kommt. Und vielleicht ihre Botschaft verstehen. Jetzt bleibt mir nur noch, zu warten.

      Rosen hab ich aus dem Garten

      In das Zimmer auf den Tisch gestellt,

      Und ich spüre das Erwarten

      Wenn ein Blütenblatt sich löst und fällt.

      Ich setze mich, um zu essen, ich muss essen, sagt der Arzt, aber ich mag nicht. Es geht nichts mehr hinunter, als hätte ich mit meiner scharfen Schere auch diesen Weg gekappt. Genauso, wie schlafen kein Vergnügen mehr ist. Den ganzen Tag schmerzen die Knochen, und man sehnt sich nach der Erlösung, die es bedeutet, in die Kissen zu sinken, nachzugeben. Dabei lauert im Liegen nur der noch größere Schmerz und dazu die Angst vor dem Ersticken. Früher träumte ich Rosen beschatten alle Hänge, doch nicht länger rieselt traumlos der Schlaf von ihren bebenden Blättern. Kälte durchrieselt mich allein. Es ist mir wenig geblieben.

      Statt des Zwiebacks und der Milch nehme ich noch einmal Margits Brief zur Hand. Es ist, wie ich mich erinnerte. Wie es mich seit Wochen quält. Da steht es noch immer: Das deutsche Gesetz erlaubt es nicht, die Körper Verstorbener außerhalb von Friedhöfen oder neuerdings Friedwäldern beizusetzen. Aber was soll ich da, in einem Garten aus geschmacklosen Steinen oder in irgendeinem Wald?

      Diesen Boden hier habe ich mit meinen eigenen Händen bearbeitet, ich habe ihn bepflanzt und gedüngt, habe jeden Baum gesetzt, jeden Rosenstrauch. Ihn kenne ich zu jeder Jahreszeit, bei jedem Licht. Ich weiß, wie der Raureif an den letzten Hagebutten glitzert an manchen Januarmorgen. Ich kann den Duft der Gallica-Rosen an den langsam sich verdunkelnden Sommerabenden riechen. Eigenhändig habe ich den Sand hergeschleppt für die »Rosa rugosa«, die von den sandigen Küsten Japans kommt, ich habe die Pergolen gebaut und die sternförmige, schlichte Clematis so gesetzt, dass sie die runde, üppige Form der gestreiften Bourbonenrosen betont. Ich … ach, lassen wir das.

      Ich habe jedenfalls eine Landschaft geschaffen, die mich lange überleben wird. Sie gehört mir, in mehr als einem Sinne. Und ich soll nicht ein Teil von ihr werden dürfen?

      Margit erinnert mich außerdem daran, dass mir im rechtlichen Sinne nicht einmal das Grundstück gehört. Ich habe die Pacht nicht gezahlt, schreibt sie. Ich hätte den Gerichtsvollzieher nicht wegjagen sollen mit meiner Rosenschere. Ich müsse fort von hier, dürfe nicht einmal mehr die wenigen Monate, die mir vermutlich noch bleiben, beim Anblick meiner Rosen genießen. Und dann dieser Prospekt. Haus Alpenrose, das Elend im Gewand der Geschmacklosigkeit.

      Dahinter steckt Rogier, ich weiß es. Früher hat er sich nie um die Pacht geschert. Früher hieß es: »Dame des roses, du schaffst ein Paradies, das ist Geschenk genug.« Vorbei. Auf das Grab seiner Mutter hat er Nelken gepflanzt. Dabei hat auch sie die Rosen so geliebt.

      Ob er sich daran erinnern wird? Die Standuhr schlägt vier. Er müsste bald hier sein.

      Noch einmal quäle ich mich aus meinem Stuhl, um Teewasser aufzusetzen. Ich wähle das Service mit dem Hundsrosenmuster. Englischer Schwarztee mit Rosenaroma, natürlich. Er schmeckt stark und duftet betäubend. An der Wand über dem Tisch ein Rosen-Aquarell von Maria Sibylla Merian und das Fragment eines Wandfrieses aus Knossos, das eine Rose zeigt. Wussten Sie, dass schon die alten Ägypter Rosen züchteten? In meinem Regal finden Sie alle Bücher