Marian, dem polnischen Schwarzarbeiter, der für den Milchhof arbeitet. Er reiste heute heim und würde erst im Frühjahr zurück sein. Drüben in Kattowitz würde er kaum etwas von meinem Verschwinden erfahren. Und bis er wiederkäme, wäre ich Geschichte und er hätte die Grube längst vergessen.
»So, hier.« Ich stellte die Kekse hin, harmlose Kokosmakronen. Das Gift war in der Tasse. In der, die jetzt auf meinem Platz stand. Ich konnte es riechen, durch das Rosenaroma hindurch, ich konnte es sehen. Ich trank es in einem Schluck. Aaaah. Ich lächelte Rogier an, der blass und angespannt auf seinem Stuhl saß. Der Arme, aber es war notwendig gewesen.
Selbst durfte ich mich nicht töten. Sie hätten mich abgeholt und auf den Kirchhof gelegt. Aber nun, da Rogier dachte, er hätte mich ermordet, musste er meine Leiche auch verschwinden lassen. Ich hatte ihm ein wenig dabei geholfen und ein Gift gewählt, das deutliche Spuren hinterließ. Der Anblick war nicht schön, würde aber helfen, ihn zu motivieren.
Gleich werde ich Ausschlag bekommen, Schaum vor dem Mund, Krämpfe. Ich werde aufstehen und mit dem Finger auf ihn weisen, werde »Du« keuchen, um ihm den Entschluss leichter zu machen. Ich sehe schon jetzt die Panik in seinen Augen und bin froh. Er ist das nicht gewohnt, das Töten. Er wird nicht die Ruhe bewahren, mir die Decke über die Knie ziehen und einfach gehen. Nein, er wird in Hektik verfallen, ich sehe die roten Flecken auf seinen Wangen. Obwohl er mich hasst, leidet er mit mir. Aber er will davonkommen. Schon schaut er sich um, seine Fingerabdrücke fallen ihm ein. Ein kluger Junge. Das hat Rita auch immer gesagt. Klug, mit leidenschaftlichen Aufwallungen hie und da, aber im Grunde seiner Seele ein Pragmatiker. Sie hatte recht behalten.
Er wischt an den Tassen herum, er trägt sie in die Küche, sehr gut, denke ich, während ich zu Boden gleite. Das schmutzige Geschirr hätte nicht zu der Geschichte gepasst, dass ich ausgegangen bin.
Ich möchte schreien, es brennt so, es brennt. Ach Gott, die Schmerzen. Ich bekomme keine Luft. Und doch: Ich spüre Rogiers Hände, die sich um meine Fußknöchel schließen. Er schleift mich, ich spüre den Teppich unter meinem Rücken, spüre ihn trotz der Krämpfe, fühle die Türschwelle, die Kälte des Steins draußen auf dem Weg. Da ist die »Canary Bird«. Sie blüht nicht mehr. Am Zaun welkt »Robin Hood«. Ich liege im Gras, starre in den Himmel. Ein paar Zweige kann ich erkennen, das muss die »Dorothy Perkins« sein.
Es hat, du holde Wunderblume,
Mein Herz voll süßen Bebens
dich mir gemalt zum Eigenthume
ins Tiefste meines Lebens.
Gemalt? Eingebrannt! Mit dem Brandeisen eingeglüht. Und ich verbrenne, Blut läuft mir aus dem Hals und kühlt doch nicht. Es ist schlimmer, als ich dachte. Oh bitte …
Wo bleibt er nur? Was tut er jetzt? Da: Er holt eine Schaufel, stolpert über die Katze, brüllt vor Zorn. Er erschlägt sie. Schneeweiß, es tut mir so leid. Warum erschlägt er nicht mich?
Lautloses Gebrüll verzerrt meinen Mund, meine Hände greifen um sich, rupfen Halme, mein Brustkorb schwillt, birst. Dann endlich, der Fall. Erde. Wurzeln. Wurzelkinder. Rosenkinder. Sie werden mich halten, mich verschlingen, um mich wachsen, an mir, in mir. Wir werden eins sein. Die Knospen, die im nächsten Jahr aufgehen, über der Katze und mir, rot und weiß, sie werden alle mein Gesicht tragen. Meinen Rosentod.
Wer hat dieser letzten Rose
Ihren letzten Duft verliehn?
Tritt hinaus ins Sonnenlose,
Atme ihn und spüre ihn.
Wie er rot im Offenbaren
Und verschwebender wie Wein
Wesen kündet, die nie waren
Und die hier nie werden sein.
Georg von der Vring
Im Text sind – kursiv gedruckt – einige Zitate verborgen, ohne dass der Autor genannt worden wäre. Sie alle stammen aus Gedichten, die sich auf die eine oder andere Weise der Rose widmen. Hier sind die Nachweise:
Ein neues Leben wird den Geist beschwingen …
Aus: »Aus dem Buchstaben Lam«, von Dschalal ad-Din Muhammad Rumi (1207–1273)
Ruhig sterb ich so mit dir ...
Aus: »An ein Röschen«, als Autorin angegeben: Fräulein von X. Das Gedicht stammt aus der romantischen Volksliedersammlung Des Knaben Wunderhorn von Clemens Brentano und Achim von Armin, veröffentlicht 1805–1808.
Ich lebe hinter einem Rosenwall, und brauche ihre Namen nicht bemühen.
Aus: »Rosenzauber«, von Karl Krolow (1915–1999)
Die klare frische Rosenblüte streichelt …
Aus einem Gedicht im Rosen-Zyklus von Rainer Maria Rilke (1875–1926)
Rosen hab ich aus dem Garten …
Hermann Kasack (1896–1966)
Rosen beschatten alle Hänge ...
Sappho aus Lesbos (* zw. 630 und 612 v. Chr., † um 570 v. Chr.)
Content in a garden, von Candace Wheeler (1827–1923)
Atme von mir den Balsam der Erinnerungen …
Aus: »Die Rosen von Saadi«, von Marceline Desbordes-Valmore (1786–1859)
Gleich der Rose welkt sie hin …
Eigentlich Gleich der Rose welk’ ich hin …, ebenfalls aus: »An ein Röschen«, von Fräulein von X, in Des Knaben Wunderhorn
Wir prangten in Schönheit und wußten es nicht.
Aus: »Rosenlied«, von Anna Ritter (1865–1921)
Oh, wie blühest du so schön …
Aus: »An ein Röschen«, von Fräulein von X, in Des Knaben Wunderhorn
Es hat, du holde Wunderblume …
Aus: »An meine Rose«, von Nikolaus Lenau (1802–1850)
Thomas Kastura – Vollmond über Schloss Fahlenstein
Ein kalter Herbstwind strich durchs Gras. Schroff stachen die Felsen empor und hoben sich in bizarren Linien vom Himmel ab. Wolkenfetzen schoben sich über die blasse Scheibe des Mondes. Für Sekunden wurde es so dunkel, dass Brandeisen gezwungen war, das Licht einzuschalten.
Sie befanden sich tief in der Fränkischen Schweiz. Der Staatsanwalt steuerte seinen schwarzen Citroën XM durch ein verschwiegenes Tal, fernab der Touristenrouten. Die Straße war nur ein schmales Band, beschattet von uralten Bäumen. Hin und wieder erglühte ihr Laub scharlachrot.
Es war ein Abend, wie er ihn schon häufig erlebt hatte. Trotzdem war irgendetwas anders als sonst …
Küps saß auf dem Beifahrersitz und motzte seit der Abfahrt. Erst klagte er über seine zahlreichen Zipperlein – zu hoher Blutdruck, schlechte Zucker- und Cholesterinwerte, die Gicht. Dann verhöhnte er französische Automarken und fingerte mit den Worten »saumäßige Verarbeitung« an den XM-Armaturen herum. Inzwischen machte er sich Sorgen um seine Proteinzufuhr.
»Hoffentlich gibt’s was Gescheites zu essen«, sagte der Kommissar. »Ich hab einen Bärenhunger.«
»Sie werden schon nicht vom Fleisch fallen.«
»Hätten wir den Mann nicht einfach auf die Wache bestellen können? Warum kriegt der eine Sonderbehandlung?«
»Freiherr Ludovic zu Fahlenstein ist nicht irgendwer. Den pfeift man nicht herbei wie einen kleinen Famulus.« Brandeisen schüttelte missbilligend den Kopf. »Ich habe ihn um seine Expertenmeinung gebeten. Und er ist so freundlich, uns auf seinem Familiensitz zu empfangen.«
»Kennt