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Tatort Garten


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Schnauben. »Du hast Angst, dass ich dich aus deiner Hütte jage, alte Hexe.« Rogier nickte. Dann lehnte auch er sich zurück. »Also, lass mal hören.«

      So begann ich meine Erzählung. Begann mit meiner Mutter, in den Jahren während des Krieges, die, schwanger geworden von einem Mann, der auf Urlaub von der Ostfront nur für wenige Tage da war, ihr Kind abtrieb. Damit ihr die anderen, die schon da waren, nicht verhungerten. Pfingstrose nimmt man dafür. Von ihr habe ich es gelernt. Half später so einer jungen Nichte, half mir selber. Alfons war untröstlich, als das Kind abging. Geschah ihm nur recht. Einem, der mich schlug, dem trug ich kein Kind aus.

      »Die Reste sind alle im Garten begraben«, sagte ich. Sagte nicht, dass ich sie manchmal sah, mein Schwesterchen mit den Riemchenschuhen, die statt ihrer ich auftrug in den Vierzigern und Fünfzigern. Margits Kleines, deren Geschwister später, als die Zeit für Kinder reif war, Holzclogs trugen und durch meinen Garten tobten. Und mein eigenes Kind. Seltsam, so habe ich eigentlich nie an den Fötus gedacht. Es war immer Alfons’ Junge, sein Stammhalter, für den er schon im zweiten Monat Fußballschuhe gekauft hatte. Aus den Augenwinkeln schaute ich in die leere Ecke am Regal, da konnte ich sie sehen, verdreckt, zerknautscht, mit geknotetem Schnürsenkel, darüber die grün verschmierten kleinen Schienbeine.

      »Und der Bürgermeister?«, hakte er nach.

      »Der Bürgermeister?« Ich blinzelte einen Moment.

      »Der vorige, der Blut im Urin hatte.«

      »Ach ja«, ich musste kichern. »Bis die Sache mit der Umgehungsstraße vom Tisch war, die über dein und mein Grundstück gegangen wäre.«

      »Über meine Grundstücke«, verbesserte Rogier mich.

      Ich hörte zu lächeln auf. »Buschanemone. Aber danach ging es ihm wieder prächtig.«

      »Du weißt dir zu helfen«, sagte er verbissen. »Und du hast einer Menge anderer Leute geholfen, nicht wahr?«

      »Ja«, gab ich zu. »Lass es nicht so sarkastisch klingen, mein Lieber.«

      »Der Alte vom Wagner-Hof?«, fragte Rogier statt einer Antwort und starrte auf seine Liste.

      »Seine Tochter bat mich, weil sie es nicht mehr mit ansehen konnte.«

      »Natürlich, reine Nächstenliebe.«

      »Fingerhut.«

      »Sehr klug, er hatte es ja mit dem Herzen. Ich fasse es nicht.«

      Ich beschloss, das Ganze zu beschleunigen. »Anneliese vom Metzger, die war ganz verkrebst, wollte noch einmal Urlaub machen und dann sterben, ohne ›in Windeln zu scheißen‹, wie sie sich ausdrückte. Du weißt, sie war immer sehr direkt.«

      Er hob die Hand, als wolle er mir dies zumindest zugestehen. »Georg Häberlein?«

      »Rogier, ich …«

      »Gunda Söllner?«

      »Bitte, du musst …«

      Er wurde laut. »Ist hier im Dorf überhaupt ein alter Mensch ohne deine Hilfe zu Tode gekommen?«

      »Rogier. Sie kommen zu mir und bitten mich, wenn es keinen Ausweg mehr gibt. Das ist nur …«

      »Was?«, herrschte er mich an.

      »Ein Akt der Demut?«

      Er sah aus, als wollte er sich auf mich stürzen.

      Ich hob die Hände. »Rogier, ich will ja gar nichts vor dir verbergen. Ich will auch nichts beschönigen. Alles, was ich möchte, ist …«

      »Du möchtest, dass ich gnädig bin und dich in deinem Häuschen sterben lasse. Aber da hast du dich geschnitten, alte Hexe. Ich bringe das hier«, er nahm den Ordner und klatschte ihn auf sein Knie, »nur deshalb nicht zur Polizei, weil ich weiß, was die schlimmere Strafe für dich ist.« Er machte eine Pause. Wir schauten uns an. »Wenn Margit dich aus deiner Höhle holt und dich in dieses Altersheim bringt, wo du langsam verrecken wirst. Ohne deine Rosen. Und ohne hilfreiche Kräuterchen.«

      Was für ein netter Junge war er doch früher gewesen. Und jetzt: Welche Sprache führte er, welch unschöne Absichten er damit zum Ausdruck brachte. Mein schlechtes Gewissen ihm gegenüber verging.

      O wie blühest du so schön

      Aber bald wirst du vergehn –

      Auch nur flüchtige Secunden,

      Und dein Rot ist hingeschwunden,

      Und da blühst du nicht mehr schön.

      Ich stand auf. »Ich hole uns einen Tee«, sagte ich.

      »Und vielleicht«, rief er mir hinterher, »vielleicht tue ich es ja doch noch.«

      Die Küchentür schlug zu.

      Als ich wiederkam, balancierte ich zwei Tassen mit dampfendem Tee, eine Zuckerdose und ein Milchkännchen auf dem Tablett, dazu Silberlöffel und Stoffservietten.

      Misstrauisch starrte Rogier auf das Arrangement. Er wusste es noch nicht, aber er vermisste die Kanne. Ich gedachte nicht, ihm auf die Sprünge zu helfen.

      »Soll ich dir von deiner Maman erzählen?«, fragte ich.

      »Untersteh dich, ihren Namen noch einmal in den Mund zu nehmen«, sagte er, ein wenig zerstreut. Noch immer grübelte er darüber nach, was an dem Tablett nicht stimmte. Ich musste ihn ablenken.

      »Sie hat es so gewollt, Rogier.«

      Er hieb auf den Tisch. »Und wag es nicht, ihren guten Ruf in den Dreck zu ziehen. Sie liegt auf dem Kirchhof, und da liegt sie zu Recht. Sie ist keine Selbstmörderin.«

      Nein, stimmte ich ihm im Geiste zu, das war sie nicht. Das war ihr wichtig gewesen, meiner armen, katholischen Rita. Fast so wichtig wie das Seelenheil ihres geliebten Sohnes.

      »Dann wirst du mir die Pacht nicht erlassen?«, fragte ich.

      Rogier schüttelte angewidert den Kopf. »Nur darum geht es dir, nicht wahr? Nur um dich und deine beschissenen Rosen.«

      Das war nicht wahr. Um mich war es nur einmal gegangen, in all der Zeit. Bei Alfons. Ob ich betteln sollte? Ihn anflehen? Tu mir das nicht an. Das Altersheim wäre schlimmer als der Tod.

      »Ich dachte es mir schon«, sagte ich nur.

      »Ich werd dich fertigmachen.«

      »Vielleicht«, sagte ich. Dann war das also vorbei. Dann musste es jetzt sein. Ich holte tief Luft. »Nimm dir doch Tee.«

      Unser Blick fiel zur selben Zeit auf seine Tasse, die unschuldig vor sich hin dampfte. Es war ganz still im Zimmer, nur die Standuhr tickte. Und doch war es, als wäre ein Stein ins Wasser geworfen worden, ein schwerer Schlag verhallt. Rogier starrte mich an.

      Ich wich seinem Blick aus. Mühsam hievte ich mich noch einmal aus dem Sessel. »Ich habe die Kekse vergessen«, sagte ich. »Trink nur. Sonst wird er kalt.«

      Der Weg in die Küche war so lang wie niemals zuvor. Meine Gelenke schmerzten bei jeder Bewegung. Und doch, und doch … Ich öffnete die Tür, ich schlüpfte hindurch, ich lehnte sie an, so weit, dass ich noch ein Auge gegen den Schlitz pressen konnte. Und was ich sah, das machte mich glücklich. Glücklich wie das Leuchten der »Westerland«, glücklich wie der Duft der Damaszenerrosen, wie ein Morgen an der Hecke, die sich schäumend wieder und wieder ergießt. Ich sah meinen Garten.

      Ich sah, wie Rogier überlegte, dann die Tassen nahm und möglichst lautlos vertauschte, wie er am Tischtuch zupfte, um die Falten zu verbergen, die sein Manöver verursacht hatte. Nun war alles gut. Ich griff nach dem Teller und ging wieder hinein. Ich sehnte mich nach Tee, ich konnte es kaum erwarten.

      Im Geiste ging ich noch einmal alle Vorbereitungen durch. Die Grube im Garten hatte ich seitlich vom Haus anlegen lassen, Rogier musste sie einfach gesehen haben, als er kam. Meine Handtasche mit allen Papieren lag schon darin, die Schuhe und ein leichter Mantel, versteckt unter einer ersten Schicht Erde. Es sollte alles so aussehen, als