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Tatort Garten


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in Budapest promoviert, kurz nach dem Krieg. Danach lehrte er in Prag und London.«

      »Dieses blaublütige Adelsgesocks! Kein Wunder, dass die von so was Ahnung haben.«

      »Solche Unbotmäßigkeiten möchte ich ab jetzt nicht mehr hören«, entrüstete sich Brandeisen. »Mehr Contenance, bitte!«

      »Vor Einbruch der Nacht werden wir kaum zurück sein.«

      »Der Freiherr hat uns sogar angeboten, im Gästeflügel zu übernachten. Es gilt, das Verschwinden dreier Abiturienten und einer jungen Frau aufzuklären. Stellen Sie sich auf einen längeren Aufenthalt ein.«

      Küps schwieg und stierte aus dem Fenster. Verschwundene Schüler! Waren sie das Sozialamt oder was?

      Nach einer Kurve kam Schloss Fahlenstein in Sicht. Düster und bedrohlich stand es auf einem Hügel – der aus hellem Jurakalk bestand, daher der Name. Im Grunde sah es aus wie eine Burg mit einem mächtigen Turm in der Mitte, umgeben von einem quadratischen Palas. Die Anlage thronte auf steil abfallenden Felswänden.

      Brandeisen bog an einer Einmündung unvermittelt ab. Es gab weder Wegweiser noch irgendwelche Schilder, das Schloss war in keinem Reiseführer erwähnt. Anscheinend legte der Freiherr Wert auf Privatsphäre.

      »Vielleicht können wir die Gärten besichtigen.« Ein Versuch, den Kommissar aufzumuntern. »Dafür haben Sie doch ein Faible.«

      »Welche Gärten?«

      »Unser Gastgeber ist Hobbybotaniker. Am Telefon hat er mir von neuen Sorten und Züchtungen vorgeschwärmt.«

      Küps merkte auf. »Was wächst denn da oben?«

      »Jede Menge exotischer Gewürzpflanzen. Im Treibhaus, versteht sich.«

      »Aha.« Das Interesse des Kommissars war geweckt. Seit Jahren experimentierte er mit Kreuz- und Schwarzkümmel, um seinem selbst gebratenen Schäuferla eine besondere Note zu verleihen. Doch die Setzlinge waren kälteempfindlich und wollten nicht gedeihen.

      »Gleich treffen Sie einen Seelenverwandten.« Der Staatsanwalt wusste, dass ein »Aha« von Küps ein Höchstmaß an Neugier ausdrückte.

      Sie gelangten zu einer Zugbrücke. Die Kettenglieder der Vorrichtung waren mit Stacheln versehen. Brandeisen, seit jeher ein schwungvoller Fahrer, bretterte über die Brücke und schoss durch ein Tunnelgewölbe in den Innenhof. Er stellte den Wagen neben einer alten Kutsche mit Klappverdeck ab. Der Anblick des Gefährts entlockte ihm ein nostalgisches Lächeln.

      Langsam fuhr die Zugbrücke hoch.

      Die beiden Ermittler hatten sich in Schale geworfen. Küps trug seinen Beerdigungsanzug für alle Gelegenheiten, Brandeisen einen klassischen Smoking mit Kummerbund. Noch bevor er an die eisenbeschlagene Tür des Palas klopfen konnte, schwang sie geräuschlos auf.

      Ein Butler von erdgeschichtlichem Alter empfing sie.Offenbar war er stumm. Er nickte und geleitete die Ankömmlinge ins Innere.

      Brandeisen hatte schon viele Schlösser gesehen. Doch Fahlenstein setzte allen die Krone auf. In der Halle hingen Gobelins, kunstreich gewirkt und farbenprächtig wie am Tag ihres Entstehens. Komplette Ritterrüstungen zierten die Ecken, poliert und geölt, als stünde das nächste Turnier just bevor. Der Boden bestand aus schwarzem Marmor.

      Küps wollte gerade fragen, warum die Wandteppiche schauerliche Folterszenen zeigten. Und warum die Rüstungen große, klaffende Löcher in Brusthöhe aufwiesen – als er ein Geräusch wahrnahm.

      Eine Orgel.

      Der Butler hatte sich in Luft aufgelöst, also nahmen sie die einzige offen stehende Tür, gelangten in einen schmucklosen, klösterlich anmutenden Gang und folgten den Klängen. Es war das Via Crucis von Liszt, wie Brandeisen sogleich bemerkte, eine musikalische Meditation über die Stationen des Kreuzwegs. Die Halbtonwanderungen der Orgel wirkten einsam und verloren, zerrissen zwischen Kontemplation und dunkler Verzweiflung. Gleiches galt für den Bariton, der in klagendem Tonfall »Ave, ave, crux!« verkündete.

      Sie betraten die Kapelle derer zu Fahlenstein. Der Raum besaß nur ein paar schießschartengleiche Fenster knapp unter der Decke und lag im Zwielicht des scheidenden Tages. Kirchlichen Zwecken diente er wohl nicht mehr, da Kreuze und andere christliche Symbole fehlten. Brandeisen bewunderte das gotische Maßwerk, während Küps an seine Ministrantenzeit denken musste und an die Tracht Prügel, als er beim Messweinsüffeln erwischt worden war.

      Der Freiherr spielte das Stück zu Ende. Dann stieg er über eine verborgene Treppe von der Orgelempore herab und begrüßte seine Gäste. »Die Herren Gesetzeshüter. Willkommen in meinem Reich!«

      Auch er trug einen Smoking. Unter der schwarzen Fliege glänzte ein sternförmiger Orden. Ebenso groß an Wuchs wie der Staatsanwalt wirkte er erstaunlich jung, obwohl er an die neunzig Lenze zählen durfte. Seine Augen waren wach und forschend, die Züge scharf geschnitten. In dem schwarzen, mit Brillantine nach hinten gekämmten Haar zeigten sich allerdings graue Strähnen. Und sein Teint passte zum Familiennamen: fahl wie das Pferd des vierten apokalyptischen Reiters, dem bekanntermaßen die Unterwelt hinterherzieht.

      »Welch expressiver Vortrag!« Brandeisen machte einen Bückling. »Liszt ist immer ein faszinierendes Hörerlebnis. Doch kommen die Nuancen des Orgelparts nur durch einen begnadeten Interpreten und ein gutes Instrument voll zur Geltung.«

      »Ah, ein Freund der Musik.« Zu Fahlenstein deutete eine Verbeugung an. »Und ein Meister des Kompliments.«

      »Gestatten, Brandeisen. Haben Sie Dank, dass Sie uns Ihre wertvolle Zeit schenken.«

      Der Freiherr winkte ab. »Die Zeit ist ein endloses Meer. Leider leben nur wenige an ihrem Ufer.« Damit wandte er sich Küps zu. »Dann müssen Sie der Kommissar mit dem grünen Daumen sein.«

      »Entschuldigung?«

      »Ich weiß alles über Sie, Ihr Ruf eilt Ihnen voraus. Ein Polizist mit Sinn für das Füllhorn der Natur, das ist etwas Besonderes.«

      »Na ja …«

      »Ich bin gespannt, was ein Fachmann wie Sie zu meinem Mitternachtsgarten sagt.« Mit einer einladenden Geste forderte er die beiden Ermittler auf, die Kapelle zu verlassen. »Das Diner beginnt in einer Stunde. Begleiten Sie mich bis dahin auf einen kleinen Rundgang. Wir haben hier selten Besucher.«

      Brandeisen und Küps kamen aus dem Staunen nicht heraus. Das Schloss war wie ein Gemälde, eine dunkle Schönheit, ebenmäßig und elegant, die Handwerksarbeit exquisit. Beim Betreten der einzelnen Räume hatte man den Eindruck, als würden sie nach langem Schlaf zum Leben erwachen und nur zögerlich ihre Kostbarkeiten preisgeben: der Salon mit Louis-XV.-Möbeln, ein Porzellankabinett, das Billardzimmer, die Säbel- und Pistolenreihen der Waffenkammer, eine mit schweren Stoffbahnen verschattete Galerie. Doch im Schein des flackernden Gaslichts war kein Staubkorn oder gar eine Spinnwebe zu entdecken.

      »Ist es nicht furchtbar aufwendig, das alles instand zu halten?«, wollte Brandeisen wissen.

      »Nicht der Rede wert«, entgegnete der Freiherr. »Heißt es nicht: Tradition verpflichtet?« Er öffnete eine mit Intarsien verzierte Flügeltür und führte seine Gäste in die Bibliothek.

      Der Staatsanwalt schnappte schier über. In endlos hohen Zedernholzregalen war hier ein Eldorado des Wissens und der Künste versammelt. Schon ein flüchtiger Blick auf die Buchrücken, etwa auf eine fränkische Rechtsgeschichte des Mittelalters, als Körperstrafen noch eine bewährte, judizielle Praxis gewesen waren, sagte ihm: Wo du bist, will ich bleiben. Und lagen in den Schaukästen nicht Original-Partituren von E. T. A. Hoffmann?

      »Möchten Sie ein wenig stöbern?«, fragte zu Fahlenstein.

      »Mit dem größten Vergnügen!«

      »Dann lassen wir Sie allein. Aber bedenken Sie: Nicht alles, was geschrieben steht, ist für die Augen Sterblicher bestimmt.«

      Der Freiherr beschleunigte seinen Schritt, der mehr ein lautloses Dahingleiten war, und brachte Küps zum Wintergarten.

      Der Kommissar hatte