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Das Anthropozän lernen und lehren


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Namenforschung (Regensburg 27./28. Februar 2004) (= Regensburger Studien zur Namenforschung, herausgegeben von Wolfgang Janka und Michael Prinz, Band 1), Regensburg 2005, 95–109: 104–105, nachgedruckt in: Georg Holzer, Namenkundliche Aufsätze, 199–218: 211.

      Alexandra Meyer

      Das Anthropozän: Perspektiven aus der Kultur- und Sozialanthropologie und ein Fallbeispiel aus der hohen Arktis

      Einleitung

      Der Begriff Anthropozän stammt aus der Geologie und wurde vorgeschlagen, um das derzeitige geologische Zeitalter zu benennen, in dem der Mensch eine die Welt grundlegend verändernde Kraft geworden ist: „Considering [the] growing impacts of human activities on earth and atmosphere, and at all, including global, scales, it seems to us more than appropriate to emphasize the central role of mankind in geology and ecology by proposing to use the term ‘anthropocene’ for the current geological epoch” (Crutzen & Stoermer 2000: 17). Um diese Epoche und seine besonderen Herausforderungen zu verstehen, benötigt es daher ein Verständnis des Menschen, Anthropos, als soziales und kulturelles Wesen. Dies ist der Forschungsgegenstand der Kultur- und Sozialanthropologie, die in Diskussionen um das Anthropozän an Relevanz gewinnt.

      Eine der deutlichen Auswirkungen der Menschen auf die Geologie und Ökologie ist das durch menschliche CO2-Emissionen veränderte Klima (Crutzen & Stoermer 2000), und der Klimawandel ist in vieler Hinsicht der Inbegriff des Anthropozäns (Rudiak-Gould 2015). Menschliche Aktivität verändert die Atmosphäre, was vielseitige Auswirkungen auf die Umwelt hat und so wiederum die Menschen in diesen Umwelten beeinflusst. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Auswirkungen von und Auffassungen des Klimawandels, insbesondere des Schmelzens bzw. Auftauens der Kryosphäre – Wasser in seinen unterschiedlichen gefrorenen Zuständen.

      Klimawandel in der Arktis

      Die Kryosphäre bezeichnet Gletscher, Meereseis und Eisschilde auf Land, Schnee und Permafrost (gefrorener Boden). Sie ist das Ergebnis langfristiger, kalter Klimabedingungen und reagiert besonders empfindlich auf Temperaturveränderungen (Bartsch & Meyer 2017: 21). Die Kryosphäre ist eine definierende Charakteristik der arktischen Umwelt. Die Arktis ist gleichzeitig der Ort, an dem der Klimawandel am schnellsten voranschreitet: Hier steigen die Temperaturen derzeit doppelt so schnell wie in den niederen Breiten (Serreze & Barry 2011), und bis 2100 wird eine Erhöhung der Durchschnittstemperatur von bis acht Grad Celsius erwartet (IPCC 2014). Die durch den Klimawandel verursachten Veränderungen der Kryosphäre sind in der Arktis besonders ausgeprägt und miteinander verwoben, und haben vielfältige Auswirkungen auf arktische Gesellschaften (Bartsch & Meyer 2017). Aufgrund der Klimaveränderungen gehen arktische Eisschilde und Gletscher sowie das Meereis zurück, was wiederum das Meer und die Temperaturen auf Land zusätzlich erwärmt (AMAP 2012). Die Temperatur arktischer Permafrostböden ist in den letzten Jahren erheblich gestiegen (Romanovsky et al. 2010). Die Emissionen, welche die Temperaturen in der Arktis steigen lassen, sind nicht lokal, sondern stammen aus aller Welt. Gleichzeitig beeinflussen die lokalen arktischen Umweltveränderungen das globale Klima, etwa indem auftauender Permafrost massiv Karbondioxid freisetzt (Schuur et al. 2009). So verdeutlichen die Veränderungen der arktischen Kryosphäre die Verwobenheit von Mensch und Natur, lokal und global.

      Mensch-Umwelt-Beziehungen und das Anthropozän in der Anthropologie

      Die Wechselbeziehungen zwischen dem Menschen und der natürlichen Umwelt ist seit der Herausbildung der Anthropologie eines der Kernthemen des Faches (Dove & Carpenter 2009). Die Debatte über die Rolle der physischen und sozialen Dimensionen in der conditio humana zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Anthropologie. Während umweltanthropologische Analysen lange mit den Kategorien Mensch/Umwelt, Kultur/Natur operierten, wurden sie und ihre Gegenüberstellung im Zuge postmoderner und konstruktivistischer Kritik der 1980/1990er-Jahre hinterfragt (Descola & Pálsson 1996). Die akademische Kategorie einer objektiv erfassbaren, vom Menschen getrennten Umwelt wurde „entnaturalisiert“ und als ein kulturelles Konstrukt westlichen Denkens dekonstruiert (Milton 1996): „what we consider to be truth about the natural world is not inherently found in nature, but is a product of our own cultural frameworks” (Gibson & Venkanteswar 2015: 8). Ethnographische Forschung zeigte auf, dass das Verständnis von Natur und Gesellschaft als zwei ontologisch unterschiedliche Bereiche nicht universell ist, sondern historisch und bestimmten Gesellschaften entsprungen ist (Descola & Pálsson 1996). Diese Kritik der Natur-Kultur-Dichotomie hatte jedoch nur begrenzten Einfluss auf die Naturwissenschaften und verblieb weitgehend eine interne Debatte der Geistes- und Sozialwissenschaften.

      Diese Diskussion gewinnt nun mit dem Begriff Anthropozän an Relevanz und wird aktualisiert, auch außerhalb der Geistes- und Sozialwissenschaften. Aus der Sicht der Anthropologie ist das Anthropozän nicht (nur) eine geologische Tatsache, sondern auch ein Konzept, das unser Verständnis von Natur und Gesellschaft und deren Verhältnis sowohl reflektiert als auch beeinflusst (Kersten 2013). Als solches stellt das Anthropozän einerseits eine „opportunity to break down Westernized dichotomies of culture/nature“ dar (Gibson & Venkateswar 2015: 11). Die theoretische Konsequenz der Benennung der derzeitigen geologischen Epoche als „Anthropozän“ ist die Anerkennung, dass Natur nicht mehr ohne den Menschen verstanden werden kann: „In the Anthropocene, nature is no longer what conventional science imagined it to be” (Haraway et al. 2016: 535). Den Menschen als die unsere Epoche definierende „Naturgewalt“ anzuerkennen, impliziert die Verwischung der Grenzen zwischen Natur und Gesellschaft (Chua & Fair 2019).

      Andererseits kann das Konzept Anthropozän durch den Fokus auf Anthropos auch ebendiese Dichotomie verfestigen: „The underlying implications of the name ‘Anthropocene’ is reflective of the self-appointed dominant place humans hold above all other life on Earth” (Gibson & Venkateswar 2015: 6). Das Konzept Anthropozän situiert den Menschen als die definierende Kraft dieser geologischen Epoche: „the very idea of the Anthropocene places the ‘human agency’ […] smack in the center of attention“ (Latour 2017: 37). Ein einseitiger Fokus auf Anthropos läuft jedoch die Gefahr, andere Spezien und deren Rolle in der Gestaltung der Erde zu ignorieren (Haraway et al. 2016: 539). In der Anthropologie inspiriert die kritische Auseinandersetzung mit dem Anthropozän unter anderem sogenannte „more-than-human“ und „multispecies“ Ethnographien, die versuchen, nicht-menschliche Entitäten in die Studie des menschlichen Handelns miteinzubeziehen (Kirksey & Helmreich 2010). AnthropologInnen betonen des Weiteren dass menschliches Handeln nicht undifferenziert und universell ist. Unterschiedliche Lebensformen bringen unterschiedliche Mensch-Umwelt-Beziehungen hervor. Die „Naturgewalt“ Anthropos ist demnach keine einheitliche Entität, sondern bestimmte menschliche Konfigurationen tragen die Verantwortlichkeit für die ökologischen Krisen des Anthropozäns. Dies wirft die Frage