Paul Oskar Höcker

Der Preisgekrönte


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sie geniesst es, ohne auch nur eine Sekunde an die Zukunft zu denken.

      Doch merkt sie in ihrem überschwenglichen Glück gar nicht, dass sie bei Herrn von Glüher nun wirklich tief in Ungnade gefallen ist — und dass ihre Kolleginnen sich einstimmig darüber freuen.

      Einmal kommt der Botenmeister ins Kontor und spricht mit ihr. Sie solle sich sogleich ins Besuchszimmer begeben, fangen die andern auf. Vielleicht gibt es schon jetzt eine kleine Katastrophe?

      Auch Dodo ist im ersten Augenblick ein bisschen erschrocken. Aber was kann denn weiter sein? Sie wirft einen Blick in den Spiegel, streift die Überärmel rasch herunter und folgt dem Botenmeister.

      Im Besuchszimmer mit den mächtigen Klubsesseln, den beiden Marmortischen und den zahlreichen Aschbechern sitzt ein Herr mit lederfarbenem Gesicht, schräg aufgesetztem goldenen Kneifer und mächtiger Glatze. Er hat helle Gamaschen über den auf Rand genähten Promenadenstiefeln und steckt in einem eleganten Masspaletot. Hut und Handschuhe liegen auf dem Stuhl neben ihm, den Ebenholzstock mit der goldenen Krücke dreht er zwischen den Fingern.

      „Das ist der Mann, dem ich am Eck der Grossen Bleichen den Schubs gegeben habe!“ ist Dodos erste Feststellung. Ihre zweite: „Es ist auch der Zeitungstiger von neulich aus dem Alsterpavillon!“

      „Mein Name ist Erb. Doch der tut hier nichts zur Sache. Ich komme, um mich bei Ihnen zu bedanken, Fräulein.“

      „Ja, woher wissen Sie denn —?“

      „Ich habe für meine Unvorsichtigkeit Polizeistrafe zahlen müssen. Lassen wir dahingestellt, ob die Erhebung zu Recht besteht. Ich bin sehr kurzsichtig, ohne Kneifer hilflos. Aber ich will mich hier in Deutschland nicht mehr herumzanken. Ich fahre nach Südafrika, komme nach Europa kaum wieder zurück. Nun haben der Schutzmann, der Lastwagenführer und der Motorradfahrer, die nach der Unfallstation mitgekommen sind, übereinstimmend bestätigt, dass nur Ihre Geistesgegenwart mich — nun, mindestens vor einem grösseren Unfall bewahrt hat.“

      „Sie sind aber doch verletzt worden?“

      „Ich trage die Schulter noch bandagiert. Es ist nicht schlimm. Aber Sie haben dabei Ihre Kleider verdorben, liebes Fräulein. Ich möchte Ihnen nicht nur für Ihre Hilfe danken, sondern Ihnen auch Schadenersatz leisten.“

      „Die Schäden waren rasch repariert, Herr Erb. Badewanne und Waschzuber haben ausgereicht, Kosten sind nicht entstanden.“

      „Aber Sie gestatten, dass ich Ihnen eine kleine Aufmerksamkeit erweise. Ich möchte Ihnen — nun, sagen wir etwa eine hübsche Armbanduhr ... Freilich bemerke ich soeben, dass Sie damit schon versehen sind. Äussern Sie doch, bitte, einen Wunsch, liebes Fräulein.“

      „Wirklich, es wäre mir nur peinlich, Herr Erb, ein Geschenk anzunehmen. Ich wüsste auch gar nicht, was ich mir im Augenblick wünschen sollte.“

      „Vielleicht wissen Sie’s in ein paar Wochen, und dann bin ich schon drüben im Oranjefreistaat. Ich habe die Berufung als Syndikus an die Assekuranz-Gesellschaft Barnes u. Co. Und als Jurist will man keinerlei Verbindlichkeiten hinter sich lassen. Bitte, nehmen Sie.“ Er will ihr einen Briefumschlag zustecken, auf dem mit Blaustift die Summe 300 RM notiert ist.“

      „Nein, ich nehme keine Bezahlung, Herr Erb. Oder muss man Ihnen einen hohen Beamtentitel geben, da Sie juristisch so überpenibel sind?“

      Noch ein-, zweimal spielt er mit dem Geldkuvert, dann lässt er’s achselzuckend in seiner Paletottasche verschwinden. „Ich war nie Beamter, Fräulein. Ich habe es nicht über den Referendar hinausgebracht. Nicht wegen Dummheit, das können Sie mir glauben. Ich hatte einen strengen Vater, der mir die Studentenzeit zur Hölle machte. Ich bin ihm als Achtzehnjähriger ausgerissen. Erst war ich bei der Bühne. Jawohl. Nicht gerade der Romeo, wie Sie sich ihn vorstellen, wie? Nun, später wurde ich Rechtskonsulent. Die Hamburger Herren Juristen nennen das hochmütig: Winkeladvokat. Sie hassen unsereinen. Ich bin lange Zeit herumgehetzt worden, aber ich wusste mich zu wehren. Jetzt stehe ich da, wohin ich wollte. Jeder Landgerichtspräsident kann mich um mein Einkommen beneiden. Und man tut viel Gutes: die wirklich Bedrückten, die kommen zu unsereinem.“

      Dodo will die Besuchszeit nicht übermässig ausdehnen, aber Herr Erb zündet sich eine Zigarette an.

      „Sie gestatten doch. Ja, ich nahm sofort an, dass Sie nicht rauchen. — Ich sah Sie doch schon neulich im Café, nicht? — Fräulein, Geld lehnen Sie ab, jedes Geschenk auch, aber vielleicht kann ich Ihnen meinen Dank abstatten, indem ich Sie irgendwie berate?“

      Dodo lächelt. „Ich führe keine Prozesse, Herr Erb.“

      „Aber Sie wollen sich verheiraten.“

      „Ja, das kann schon stimmen.“

      „Sie könnten auf irgendeine Heiratsannonce hereinfallen. Ich habe Sie neulich beobachtet.“

      Nun lacht ihn Dodo ganz ungeniert aus. „Oh, da haben Sie sich aber verhauen. Nein, nein, ich bin schon in ganz festen Händen, ich habe den liebsten, besten, klügsten, hübschesten und ritterlichsten Mann auf der ganzen Welt.“

      „Also wünsche ich Ihnen Glück.“ Er klopft die Zigarettenasche ab, um sich zu erheben. „Es wäre eine dumme Phrase, wenn ich jetzt sagte: Wenn Sie je einmal in eine schwierige Situation kommen sollten, dann könnten Sie auf mich rechnen. Denn ich hocke dann weit vom Schuss, werde Sie kaum Wiedersehen.“

      Eine kleine Pause. Dann sagt Dodo: „Ja, wenn ich da nun also sogleich die Gelegenheit beim Schopf fassen soll, Herr Erb —?“

      „Bitte.“ Er setzt sich wieder in den Klubsessel.

      „Aber, es ist nur so eine Art Doktorfrage, mehr akademisch konstruiert.“

      Erb lächelt fast unmerklich. „Es handelt sich um eine Freundin. Nehmen wir einmal an.“

      „Oder um einen Bekannten.“

      „Schön. Um einen Bekannten.“

      „Da war nämlich ein Preisausschreiben, das steht im Mittelpunkt.“

      „Kreuzworträtsel?“

      „Ach nein. Gut, also sagen wir, es handelt sich um einen Plan für ein grosses Bauwerk. In einer grossen Stadt. Alle deutschen diplomierten Architekten konnten sich an dem Wettbewerb beteiligen. Auch mein Bekannter hat einen Plan dafür ausgearbeitet. Aber eingereicht hat ihn ein anderer, der denselben Namen führt.“

      „Mit Einverständnis von A.? Warum hat B. ihn statt seiner eingereicht?“

      „B. hat den Titel Regierungsbaumeister. A. dagegen hat keinerlei Examina gemacht. Er ist Autodidakt. Ja, bei ihm war es der Krieg, wissen Sie, er hat vier Jahre in Gefangenschaft gelegen. Aber B. sagte: A. könne alles, was er für seinen Beruf braucht, er sei ein Genie, und auch seine Preisarbeit sei genial. Nun ist B. gestorben, und A. erhält die Nachricht, dass seine Arbeit preisgekrönt worden ist. Was soll A. tun?“

      „Das Geld einstecken, selbstverständlich.“

      „Müsste er dem Prüfungsausschuss nicht erklären, wie das alles zusammenhängt?“

      „Das würde nur bedeuten, dass das Komitee an die Stelle des Preisempfängers den Verfasser der nächstbesten Arbeit als Ersatzmann rücken lassen würde. Todsicher scheidet ein Bewerber, der nicht mehr am Leben ist, bei einer solchen Aufgabe aus. Denn er würde doch, angenommen, dass die Arbeit zur Ausführung bestimmt wird, die Ausführung nicht mehr leiten können. Bei jeder Bauausführung gibt es aber doch nachträglich Änderungen, die der Prämiierte im Geist seiner Lösung durchführen müsste. Ist Ihnen das klar?“

      „Ja, das ist mir klar.“

      „Sind die beiden Herren Brüder?“

      „Nein, nur Namensvettern. Aber sie waren gute Freunde. Sie haben zufällig auch Vornamen mit demselben Anfangsbuchstaben. Mit dem haben sie beide immer gezeichnet.“

      „Hat B. Erben hinterlassen, die eingeweiht sind und dem Glücklichen den Preis streitig machen könnten?“

      „Nein,