fingierte Leuchter-Report? Das lässt sich alles relativ einfach mit dreimal Googlen entkräften.32 Einfach die Verschwörungstheorie.«
»Is det nich! Dit daaf man nich sagn!«
»Gut, die These eingeben und ›Psiram‹ dahinter. Das ist das frühere Esowatch.«
»Wenn alle so denken würden, wie wäre et bald zu Ende mit uns …«
»Wer ist denn uns? Die Arier? Ich bin Grieche.«
»Ah so? Sieht man ja nich.«
»Ich bin schon eine Weile ausgewandert. Seitdem das Attika an seiner Arroganz und seinem Ressourcenverbrauch zugrunde ging … Würde euch sicher nie passieren.«33
»Ah. Na, ick meen wir Deutschen.«
»Ach, und wer ist deutsch? Bin ich deutsch, wenn meine Mutter hier geboren ist, mein Vater aber nicht? Wenn ich aus Ostpreußen komme, aber fünfzig Jahre in Polen gelebt habe? Und kein Deutsch mehr kann? Wenn meine Familie seit drei Generationen hier ist, ich aber schwarz bin? Wenn ich ein ›linksgrünversiffter‹ Antideutscher bin und in einem besetzten Haus wohne?«
»Wer Doitschland nich liebt, soll Doitschland falassn! Und wa nich Doitsch kann, kann keen Doitscha sain!«
Kurzes Schweigen. Keine Einsicht. Längeres Schweigen. Ich knacke meine Finger. Er fegt.
»Verschwörungstheorien sind der Ausdruck einer Zeit, in der sich der Verstand mit Grausen abwendet. Einer Zeit, in der es durch das Internet mehr Informationen gibt, als unser auf Überleben in der Steppe getrimmtes Gehirn aufnehmen kann.«
»Als ick oofjewachsen bin, da jab et nur zwei Fernsehkanäle. Und aina davon wa vabooten!«
»Besonders als das Gehirn von Leuten aufnehmen kann, die noch zwei Fernsehkanäle, zwei Weltmächte und zwei Geschlechter gewohnt sind.«
»Oh nee, die mit die Transen und so, det jeht ja ja nich …So sterben wa aus.«
»Verschwörungstheorien sind der Ausdruck eines … deines verzweifelten Hasses, weil einen keiner beachtet. Weil man nicht mehr selbstwirksam ist. Egal ob tausend Twitter-Klicks, tausend Goldketten oder tausend Bier am Stammtisch. Die Welt dreht sich weiter und du bist ihr egal. Deine einzige Möglichkeit ist, im Einkaufszentrum tausend Tote mit der Uzi zu hinterlassen. Aber dafür hast du nicht den Arsch in der Hose. Und deswegen erzählst du lieber moderne Märchen.«
»Wat? Nee, ick bin doch keen Unmensch. Ick sach doch, ick bin keen Nazi, aber …«
»Reicht schon danke. Weißt du, mein Mitleid mit euch Verschwörungstheoretikern ist gelinde gesagt stark strapaziert. Ihr hinterlasst mental nichts als verbrannte Erde. Ihr geht unter und wollt, dass alle mit ihnen untergehen. Genau deswegen kann ich das Geheimnis der Unsterblichkeit noch nicht verraten. Ihr seid FUBAR: Fucked Up Everything Beyond All Repair. Und das ist an einem guten Tag.«
»Unsteablichkeit? Man is noch nicht jestorben, solange sich wer an dich erinnert!«
»Nach der gleichen Logik leben Jesus, Schneewittchen und der Attentäter von Columbine auch noch. Leben ist die aktive Bewusstseinsillusion, nichts anderes.«
»Na, und wie looft et in dea Zukunft?« Er findet sich lustig.
»Wie soll ich das wissen, ich war ja noch nicht da.«
»Und janz früher?«
»Beschissen. Wer hat schon Lust, an einem Splitter zu verrecken oder Zähne ohne Betäubung gezogen zu bekommen? Außer Hippiekriten natürlich. Aber ich schätze mal, wir werden in der Zukunft biologische Verjüngungskur für das Gehirn haben oder es gleich hochladen und optimieren. Aber bis es soweit ist, will ich meine Zeit nicht mit euch verbringen. So traurig es ist, Fortschritt kam bisher nur durch den Tod von Idioten in Machtpositionen. Nur so treten Diktatoren, Könige und Bundeskanzler ab.«
»Die Volksfarräterin!«
»Alter ist das Einzige, was man nicht mit der erlaubten Korruption namens Lobby und der erlaubten Propaganda namens Werbung wegwurschteln kann.«
»Die Judenmafia!«
»Vorsicht! Sonst holt die dich gleich ab!«
Er blickt sich nervös um.
»Alter ist auch der Motor für Verschwörungstheorien. Mit über fünfzig verkalkt das Gehirn nicht nur, es ist auch einer Folge aus kleinen Schlaganfällen ausgesetzt, besonders wenn man Fleisch und Zucker in sich rein stopft.«34
»Dit mit die Ahnärunk ändert sich doch alle paar Jahre!«
»Ja, wenn man glaubt, was die Boulevardzeitungen und GMX versprühen. Wissenschaftler studieren aber zum Beispiel Veganismus seit über hundert Jahren und da verfestigen sich die Ergebnisse seit Langem. Es passt den Leuten eben nur nicht, Vollkorn und Gemüse zu essen. Jede noch so wahnsinnige Theorie nehmen sie mit Kusshand an, nur um weiter Dreck fressen zu können.«
»Aber et schmeckt auch bessa!«
»Alles eine Sache der Gewöhnung. Iss mal drei Monate kein Fleisch, danach merkst du, dass das Leiche ist. Und dass Wildtiere zum Bewundern, Haustiere zum Streicheln und Nutztiere zum Töten da sind, kommt dir dann so absurd vor, wie es ist. Du siehst die geometrischen Formen im Supermarkt, dann als das, was sie sind: Leichenteile.«
»Dit sagt man doch so nich.«
»Genau, weil es ein Tabu ist. Weil töten und genießen schwer zusammengeht. Weil Tiere bei den meisten nur knapp über Negern stehen.«
»Auf jeden Fall Doitschland zuerst! Man muss ja nich alle töten, ick bin ja keen Unmensch. Aber Doitsche sollten schon mea Kinda kriegn.«
»Apropos Kinder: Die, die keine Süßigkeiten im Haus hatten, haben später kein Verlangen danach.«
»Aber dit is doch in den Jenen, Kinda mögn ebn Süßes.«
»Kinder in Thailand essen auch Heuschrecken gerne. Ist das bei denen in den Genen?«
»Weeß ick nich …«
»Und außerdem werden Kinder ohne Zucker und Fleisch nicht so schnell alt – auch im Kopf. Das wirkliche Problem ist, dass Altern bei uns zwangsweise Verdummen heißt.«
»Ick bin noch superfit!«
»Wie alt bist du … fünfzig?«
Damit bin ich noch schmeichelhaft. Aus seiner zerfurchten Haut triefen Talgrinnsale. Die Tränensäcke sind prall gefüllt von Dekaden Pegelsaufen. Seine Hautfarbe ist so gespenstisch, dass selbst die schwarze Tonne neben ihm wie Ricky Martin daherkommt.
»Zweiundvierzig.«
»Ah. Naja, es ist kein Wunder, dass auf Chemtrail-Demos und Messen für alternative Heilung grau die Haarfarbe der Wahl ist.«
»Und bei AfD-Parteiversammlungen!«
»Da besonders. Die meisten – gefühlten – Rentner verhalten sich so, als würde Grau sich nicht darum kümmern, ob du lebst oder stirbst. Als würden sie ein letztes Mal einen Gedanken ausbrüten, aus dem ein Kind schlüpft, dass sie ›Hoffnung‹ nennen und dann töten. Vorbei ist die Zeit, als alte Leute das Rückgrat der Gesellschaft waren. Jetzt sind sie deren Geißel. Zumindest die neunzig Prozent, die sich aufgegeben haben. Die jetzt nichts anderes möchten, als das alles so bleibt, wie es ist. Und verschwörungstheoretische Märchen beschwören, damit es so bleibt.«
»Aber früher war et ja bessa!«
»Welches Früher? Das von Hänsel und Gretel, des neuen sozialistischen Menschen oder der blühenden Landschaften?«
»Na, die kamen ja ooch nich …«
»Na klar, weil die Westtreuhand euch mit Ansage ausgeraubt hat. Niemand bei Verstand sagt, dass das fair oder auch nur geschäftlich vorausschauend war. Wie bei den Verschwörungstheorien, es gibt immer Quacksalber. Fitzek, Icke und Stibal verdienen sich dumm und dämlich an noch und Dumm- und Dämlicheren.«
»Dit