Carmen von Lindenau

Die neue Praxis Dr. Norden Box 2 – Arztserie


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ihrer Sprechstunde begann, weil sie einer ihrer Patienten, der am Vormittag ein wichtiges Meeting psychisch gefestigt durchstehen wollte, um diesen Termin gebeten hatte. Und irgendwie war er selbst auch müde.

      Als er eine halbe Stunde später im Bett lag, dachte er wieder daran, was Olivia ihm von Sebastians Trauer um seine Frau erzählt hatte. In diesem Moment wurde ihm klar, wie viel Zeit er inzwischen in Sachen Liebe vergeudet hatte. Nur der Tod war mächtig genug, um diesen Schmerz hervorzurufen. Was er empfand war Enttäuschung und verletzter Stolz, aber damit war es jetzt vorbei.

      *

      Als Danny am nächsten Morgen in die Praxis kam, teilte ihm Lydia mit, dass Marga Eberholz schon zweimal angerufen hatte. Er wusste gleich, dass das nichts Gutes bedeutete. Er ging in sein Sprechzimmer und rief Marga an.

      »Doktor Norden, danke, dass Sie zurückrufen«, sagte sie.

      »Was kann ich für Sie tun, Frau Eberholz?«, fragte er.

      »Reinholds Geschwister kommen als Spender nicht infrage, Doktor Norden. Die Ärzte in der Klinik haben mir nicht viel Hoffnung gemacht, dass sich noch ein Spender finden wird. Falls kein Wunder passiert, wird mein Reinhold sterben«, seufzte sie und er hörte, wie sie weinte.

      »Weiß Ihr Sohn, wie krank sein Vater ist?«

      »Mein Sohn?«, stammelte sie.

      »Frau Eberholz, ich weiß das von Ihrem Mann und Ihrem Sohn«, gab Danny zu. Er wollte sie zumindest darauf hinweisen, dass ihr Mann möglicherweise doch noch gerettet werden konnte.

      »Ich wage es nicht, meinen Sohn um Hilfe zu bitten. Mein Mann hat sich ihm gegenüber mehr als ungerecht verhalten, und ich war nahe daran, ihn auch zu verlassen, aber ich habe es dann doch nicht fertiggebracht. Ich liebe meinen Mann, und ich liebe meinen Sohn. Er hat jetzt seine eigene Familie, und er ist glücklich. Er ist uns nicht schuldig.«

      »Das ist richtig, Frau Eberholz. Aber vielleicht sollten Sie Ihren Sohn selbst entscheiden lassen, ob er seinem Vater helfen will. Was wollen Sie ihm sagen, wenn er vom Tod seines Vaters erfährt?«

      »Sie sind also auch der Meinung, dass mein Reinhold sterben wird?«

      »Frau Eberholz, ich werde jetzt erst einmal mit der Klinik telefonieren. Ich rufe Sie dann wieder an«, sagte er. Er musste wissen, wie groß Reinholds Chance auf Rettung wirklich war. Zehn Minuten später wusste er, dass Reinhold nur noch ein paar Tage blieben, bis seine Leber endgültig versagte. Er rief Marga wieder an und musste ihr zustimmen. Reinhold würde wohl nicht überleben.

      »Doktor Norden, ich habe gerade mit meinem Sohn telefoniert. Wir würden gern erst einmal mit Ihnen sprechen. Geht das?«, fragte sie.

      »Natürlich geht das, kommen Sie einfach vorbei. Ich sage Bescheid, dass Sie nicht warten müssen.«

      »Vielen Dank, Herr Doktor«, sagte Marga und beendete das Gespräch.

      Bevor Danny mit der Sprechstunde begann, gab er Lydia und Sophia Bescheid, dass sie Marga und ihren Sohn gleich zu ihm schicken sollten, sobald sie kamen. Kurz vor Ende der Sprechstunde betraten sie die Praxis.

      Severin war ein zarter junger Mann, feingliedrig mit schulterlangen blonden Locken und sanften dunklen Augen. Er und seine Mutter nahmen auf den beiden Stühlen vor seinem Schreibtisch Platz, und Severin ließ sich von ihm über die Risiken einer Leberspende aufklären.

      »Die Risiken für mich wären also überschaubar, und meine Leber wächst wieder nach?«

      »Die Leber wächst nach, das ist richtig, aber die Risiken einer Operation sind nicht wegzudiskutieren. Das muss Ihnen bewusst sein, bevor Sie eine Entscheidung treffen.«

      »Ich werde mit meiner Frau darüber sprechen.«

      »Das sollten Sie auch unbedingt tun.«

      »Schatz, ich will dich aber zu nichts drängen«, wandte sich Marga ihrem Sohn zu.

      »Du kannst mich nicht drängen, niemand wird mich drängen. Es ist mein Körper, und ich entscheide. Du musst kein schlechtes Gewissen haben«, beruhigte Severin sie. »Wie viel Zeit bleibt mir für meine Entscheidung?«, wandte er sich an Danny.

      »Eigentlich geht es um Stunden«, antwortete Danny ehrlich.

      »Gut, dann fahre ich jetzt nach Hause, und melde mich dann in der Klinik, sollte ich mich für meinen Vater entscheiden. Ich will aber auf keinen Fall, dass er erfährt, dass ich der Spender bin. Können Sie mir versprechen, dass die Klinik ihn nicht darüber informiert?«, wollte er von Danny wissen.

      »Unter Verwandten ist das eher ungewöhnlich, aber ich spreche mit der Klinik.«

      »Ich werde mich nicht zur Verfügung stellen, sollte er davon erfahren.«

      »Warum soll er es nicht wissen?«, fragte Marga.

      »Weil ich nichts mehr mit ihm zu tun haben will. Er hat mir vor Jahren erklärt, dass ich nicht mehr sein Sohn bin, sollte ich mich für die Musik entscheiden. Demzufolge hat er keinen Sohn mehr. Falls ich ihm helfe, wird es ein Fremder sein, dem er sein Leben verdankt.«

      »Severin, es tut mir so leid«, ­sagte Marga mit Tränen in den Augen.

      »Lass es gut sein, Mutter. Und ehe du noch auf die Idee kommst, dass es falsch war, mir von Vaters Zustand zu erzählen, versichere ich dir, dass es absolut richtig war.«

      »Ich gebe zu, ich war zunächst nicht sicher, ob ich dir etwas sagen sollte«, entgegnete Marga und sah kurz zu Danny, der sich aber nichts anmerken ließ, dass er ihr zur Wahrheit geraten hatte.

      »Gut, dass du es getan hast. Auch wenn wir inzwischen wie Fremde sind, es gab auch andere Zeiten, und an die erinnere ich mich gern. Es ist gut, dass du mir die Möglichkeit eröffnet hast, darüber nachzudenken, ob ich ihm helfen will. Und Ihnen auch vielen Dank, Doktor Norden, dass Sie meine Fragen beantwortet haben.«

      »Lassen Sie mich wissen, wie Sie sich entscheiden?«

      »Das mache ich«, sagte Severin.

      »Ich bedanke mich auch recht herzlich, Doktor Norden«, bedankte sich auch Marga bei ihm.

      Danach verabschiedeten sich die beiden.

      Danny war froh, dass er Severin gerade als selbstbewussten jungen Mann kennengelernt hatte, der sich nicht so einfach beeinflussen ließ. Er konnte beruhigt davon ausgehen, dass er seine Entscheidung für oder gegen seinen Vater mit sich selbst ausmachte.

      Nach der Mittagspause war Mia, Pauls Frau, seine erste Patientin. Wie er schon vermutet hatte, litt sie zusätzlich zu ihrer Schilddrüsenunterfunktion an einer Schwächung der Nebennieren.

      »Das heißt, ich muss jetzt dieses Hydrocortisol nehmen?«, fragte Mia, die in ihrem hübschen Sommerkleid, das sie an diesem Nachmittag trug, nicht mehr ganz so traurig auf ihn wirkte, wie bei ihrem ersten Besuch bei ihm.

      »Ich denke, es wird Ihnen helfen. Wir fangen mit einer kleinen Dosis an und überprüfen in drei Wochen, ob und was es gebracht hat. Das weitere Vorgehen richtet sich danach, wie es Ihnen dann geht.«

      »Es wäre zu schön, wenn es mir endlich besser ging«, seufzte Mia.

      »Das wird es. Wir werden Ihnen beim nächsten Mal noch einmal Blut abnehmen und im Labor einen Hormonstatus erstellen lassen. Sollten die Nebennieren sich erholt haben, werden sie ausreichend Hormone bilden, was sie bis dahin auch spüren werden. Falls nicht, erweitern wir die Therapie.«

      »Haben diese Tabletten denn Nebenwirkungen?«

      »Wer einen empfindlichen Magen hat, sollte sie nicht nüchtern einnehmen, ansonsten, wenn Sie bei der von mir empfohlenen Dosis bleiben, sind keine Nebenwirkungen zu erwarten. Sollte Ihnen aber irgendetwas merkwürdig vorkommen, melden Sie sich«, bat Danny sie. Menschen waren keine genormten Roboter, was der eine vertrug, konnte einem anderen durchaus Probleme bereiten.

      Nachdem sich Mia verabschiedet hatte, kam Lydia zu ihm ins Sprechzimmer und erzählte ihm, dass sie gerade mit Thomas telefoniert hatte. Er hatte von Severin gehört, dass er darüber nachdachte,