»Ich würde sie auch nicht drängen. Das Ganze ist ein Drahtseilakt. Wir müssen den Betroffenen klar machen, dass sie ihren Angehörigen verlieren, sollte er keine Spende bekommen, und die einzige mögliche Rettung, falls es keinen anderen Spender gibt, läuft auf die Gefährdung eines weiteren Angehörigen hinaus. So eine Entscheidung will man eigentlich niemandem zumuten.«
»Wir tun es aber.«
»Ich weiß«, sagte Sebastian nachdenklich.
»Könntet ihr euch mal für eine Weile von der Medizin lossagen und euch den Schönheiten der Natur oder der der Frauen widmen?«, mischte sich Olivia in das Gespräch der beiden ein.
»Eine wundervolle Idee«, stimmte ihr Anna sofort zu.
»Wir könnten zum Beispiel Tretboote mieten und ein bisschen auf dem See herumfahren«, schlug Ophelia vor, die sich umgedreht hatte, als sie den Vorschlag ihrer Mutter hörte.
»Das klingt gut«, sagte Anna.
»Es gibt aber nur Boote für höchstens vier Personen«, stellte Olivia fest, als sie zum Bootsverleih hinüberschaute, der nur ein paar Meter vom Biergarten entfernt war.
»Kein Problem, Emilia und ich nehmen sowieso ein Boot für uns allein.«
»Auf jeden Fall«, bekräftigte Emilia Ophelias Entschluss.
»Ja, in Ordnung, gehen wir«, sagte Sebastian, als Anna ihn auffordernd ansah. »Ihr übernehmt die Pedale? Du und Olivia?«, fragte er.
»Für dich, mein Schatz, mache ich alles, das weißt du«, erklärte Anna lächelnd und küsste Sebastian liebevoll auf die Wange.
Das ist nicht nur ein Spruch, dachte Olivia. So wie Anna und Sebastian sich ansahen, zweifelte sie nicht daran, dass sie sich aufrichtig liebten. Nachdem, was er durchgemacht hatte, hatte sie nicht erwartet, ihn jemals wieder so glücklich zu sehen. Als sie zu Danny schaute, der neben ihr saß, und sich ihre Blicke trafen, konnte sie erkennen, dass auch er sah, wie sehr die beiden sich liebten.
»Auch du kannst wieder glücklich werden«, raunte sie ihm zu.
»Das weiß ich«, sagte er und hielt ihren Blick fest.
*
Eine Viertelstunde später waren sie in ihren Tretbooten auf dem See unterwegs. Anna und Olivia saßen vorn in ihrem Boot, traten gleichmäßig die Pedale, während Sebastian und Danny sich auf den Sitzen hinter ihnen gemütlich zurücklehnten.
»Wir überlassen unseren Frauen gern das Steuer!«, rief Sebastian den beiden älteren Frauen zu, die ihr Tretboot von zwei Männern steuern ließen und ihn und Danny vorwurfsvoll ansahen.
»Oder die Arbeit«, antworteten die beiden Frauen gleichzeitig. Sie hielten die beigen Hütchen mit einer Hand fest, die sie beide zu ihren hellen Kostümen trugen und schüttelten missbilligend die Köpfe.
»Die Arbeit überlassen sie eigentlich sonst uns«, sagte Ophelia, die mit Emilia in dem Boot saß, das dem Boot mit ihren Eltern folgte.
»Wir sind diejenigen, die bedauert werden müssen«, seufzte Emilia und machte ein trauriges Gesicht.
»Ihr müsst…«
»Es ist gut, Marietta, die jungen Leute machen sich doch nur einen Spaß mit euch«, mischte sich der weißhaarige Mann mit der dicken Hornbrille ein, der vor Marietta saß.
»Aber die Mädchen, sie…«
»Machen einen ganz wunderbar selbstbewussten Eindruck«, unterbrach er Marietta erneut und winkte Emilia und Ophelia lachend zu.
»Wenn du meinst, Alois«, murrte Marietta.
»Ich meine das auch«, stimmte ihm der korpulente Mann in der knielangen Lederhose zu, der neben ihm saß.
»Wollen wir mal ausprobieren, wie schnell diese Boote sein können?«, wandte sich Ophelia Emilia zu.
»Ich bin dabei«, erklärte sich Emilia einverstanden.
»Das nennt man wohl abgehängt«, stellte Olivia fest, als die beiden Mädchen in ihrem Boot an ihnen vorbeifuhren und sich schnell entfernten.
»Es sind unsere Töchter, ihnen gönnen wir doch jeden Vorsprung.
»Damit hast du absolut recht«, stimmte Olivia Sebastian zu. »Was ist da los?«, fragte sie, als sie in diesem Moment einen Mann um Hilfe rufen hörten.
»Ich glaube, da ist jemand über Bord gegangen«, stellte Danny fest, als sie sich alle vier umdrehten.
Es war das Boot mit den beiden älteren Paaren, deren Frauen sich über Danny und Sebastian gewundert hatten. Der Platz, auf dem Marietta gesessen hatte, war leer. Ihre Begleiter schienen völlig verzweifelt, sahen sich in alle Richtungen hin um und riefen nach Marietta.
Danny und Sebastian sahen sich nur kurz an, zogen ihre Schuhe aus und sprangen, ohne zu zögern, ins Wasser. Die anderen Tretboote fuhren erst einmal weiter, so als ginge sie das alles nichts an. Sie blieben erst stehen, als Olivia und Anna sich in ihrem Boot aufrichteten und den anderen auf dem See zuriefen, die Rettungsaktion nicht zu gefährden.
Da die Frau nirgendwo zu sehen war, nur ihr Hut in der Nähe des Bootes auf dem Wasser herumtrieb, beschlossen Sebastian und Danny, unter Wasser nach ihr zu suchen. Der See mit dem türkisblauen klaren Wasser war nicht sehr tief, und sie hatten Marietta schnell gefunden. Sie steckte mit einem Fuß am Grunde des Sees zwischen zwei großen Steinen fest. Sie hatte bereits die Kontrolle über sich verloren, schlug verzweifelt um sich und schluckte Wasser.
Danny übernahm es, die Frau zu beruhigen, während Sebastian sie aus der Falle befreite. Er zog ihren Fuß aus dem klobigen Schuh und gab Danny das Zeichen, mit ihr aufzutauchen. Um sie besser versorgen zu können, brachten sie sie nicht zu einem Boot, sondern gleich an den kleinen Sandstrand, der nur einige Meter entfernt war. Dort wurden sie bereits von neugierigen Zuschauern erwartet, die einfach nur dastanden und abwarteten, was als nächstes passieren würde.
»Krankenwagen ist unterwegs!«, rief Olivia, die gemeinsam mit Anna ihr Boot auf das Ufer zubewegte.
Während Sebastian und Danny sich um Marietta bemühten, die, nachdem sie wieder zu sich kam, das Wasser aushustete, das sie geschluckt hatte, erreichte das Boot mit Emilia und Ophelia das Ufer.
»Soll ich Ihre Tasche aus dem Auto holen, Doc?«, fragte Ophelia.
»Ja, bitte«, antwortete Danny und warf ihr den Autoschlüssel zu.
»Ich komme mit«, sagte Emilia.
Nach den beiden Mädchen kam das Boot mit Olivia und Anna am Ufer an, und nach ihnen das mit Mariettas Begleitern. »Wie geht es meiner Frau?!«, rief Alois, der Mann mit der dicken Hornbrille.
»Sie kommt wieder in Ordnung«, versicherte ihm Danny.
»Danke«, flüsterte Marietta, die sich von ihrem heftigen Hustenanfall erholt hatte.
»Wie du siehst, hast du die beiden ganz falsch eingeschätzt, mein Schatz«, sagte Alois, der sich neben seine Frau in den Sand kniete und ihre Hand umfasste.
»Ja, habe ich. Ich entschuldige mich dafür«, sagte sie und sah zuerst Danny und danach Sebastian an.
»Du hast doppeltes Glück, der junge Mann ist auch noch Arzt«, stellte Alois fest, als Ophelia und Emilia mit Dannys Arzttasche zurückkamen.
»Sie haben sogar außergewöhnlich viel Glück. Wir sind beide Ärzte«, sagte Danny, der Mariettas Blutdruck überprüfte.
»Kein Scherz?«, fragte Alois.
»Nein, kein Scherz«, antwortete ihm Sebastian.
Als der Krankenwagen gleich darauf eintraf, ging es Marietta bereits wieder so gut, dass sie gar nicht mehr ins Krankenhaus wollte. Aber Danny und auch Sebastian bestanden darauf, dass sie sich in der Klinik untersuchen ließ.
»Wir kommen alle mit«, versicherte die andere Frau Marietta.
»Auf