Nataly von Eschstruth

Die Roggenmuhme


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in das ‚Blaue Schiff‘ gehen wollte —“

      „Armer Witwer!!“ —

      „Und drunten an der Wegbiegung dem Harms begegnete! Er sah so erschreckend bleich und starräugig aus, dass ich glaubte, er sei krank. — Ich redete ihn darum an und fragte, wie es um ihn stünde! Er hemmte momentan den Schritt und schaute mich mit verglasten Augen an wie ein Mondsüchtiger. —

      ‚Ach Herr Lehrer ...‘ stammelte er, ‚dat wird nun woll mit mi tau Enne gahn!‘ —

      Ich erschrak. ‚Bist du toll, Harms? Ein so junger, kerngesunder Mensch wie du! Wo fehlt es denn, hast du Schmerzen?‘ —

      ‚Nee, Herr Lehrer, dat woll ganz und gor nich, — ä weess ... een’ Grugel hevv ick all kregen ...‘

      ‚Ein Grausen ist dich angekommen? — Gott erbarme sich! Es ist doch kein Verbrechen geschehn?‘

      Harms rang mühsam nach Atem und wischte sich den kalten Schweiss von der Stirn. Er trat noch einen Schritt näher und flüsterte mit scheuem Umblick: Wenns ean’ daudslahn hätten — dat wier noch nich so slimm, as so’n gräsigen Speuk! ...‘

      ‚Ein Spuk? — jetzt am hellichten Tag? Bist du von Sinnen, Harms?‘

      Der Bursch nickte fast ungestüm. ‚Grad darum! — Herr Lehrer —‘ er fasste mich mit zitternder Hand fest am Rockärmel und stöhnte leise auf. ‚Für’n oll dösigen Snack hevv ick’t immer estemirt, bis ick’t nau sülm to seihn’ kreeg’! Die Roggenmuhme, Herr Lehrer! — Dor hünnen im Feld ... ick hevv de Roggenmuhme begegnet!‘

      ‚Der Roggenmuhme! Da hat sich wohl eine von den lustigen kleinen Dirns einen Scherz mit dir gemacht!‘ versuchte ich den jungen Menschen, der noch an allen Gliedern bebte, zu beruhigen, obwohl mir gerade Harms Klüssen der letzte deuchte, mit dessen Bärenfäusten jemand Händel suchen würde!

      Er schüttelte abermals mit fast wilder Erregung den flachsblonden Kopf: ‚Ganz un’ gor nich, Herr Lehrer! Ick hevv mit de Forken dreinslahn, dat keen Düwel dat hätt uthalen könn’.‘

      ‚So so! — Na, dann komm mal, Harms, und setz dich zu mir auf die Bank dort! Da erzähl, was du mit der Roggenmuhme erlebt hast!‘

      Der Knecht setzte sich zu mir unter die Haselstauden und erzählte in fieberhafter Aufregung ungefähr folgendes.

      Er hatte das Heu auf der Waldwiese gewendet und war, um ein Stück Weg abzuschneiden, durch die kleine Tannenschonung und dann quer durch die Roggenfelder gegangen, um rechtzeitig zum Essen auf dem Gutshof zu sein. — Es war gerade in der Mittagszeit, von dem Kirchturm herüber klangen zwölf Glockenschläge. Die Hitze war fast unerträglich; die Heugabel über der Schulter schritt Harms langsam durch die sengende Glut. — Plötzlich geht es wie ein scharfer, sausender Windstoss durch das Korn. Es wogt und wallt wie ein stürmendes Meer, und jählings vor dem entsetzten Bursch steigt eine leuchtende, überirdisch schöne Frauengestalt aus den goldenen Halmen empor. — Harms steht wie gebannt und starrt das Unglaubliche an. Er sieht, wie die Gestalt ihm lächelnd zunickt, einen grossen Brief mit grauem Umschlag emporhält und ihn ein wenig schüttelt. — Da fällt hell klingend ein Regen von Geldstücken heraus. Harms springt zu und rafft eine Handvoll empor, starrt darauf nieder ... es ist fremdländisches Geld, — lauter Dollars, wie er sie öfter bei Matrosen gesehen; — er will sprechen — fragen ... da zerrinnt die Frauengestalt vor ihm wie ein Dunstgebilde ... der Brief, die Dollars desgleichen und Harms Klüssen, der in seiner Aufregung nicht weiss, was er tut, schlägt wild mit der Heugabel drein —! Das Eisen zischt durch die Luft, ihm ist’s, als höre er noch ein leises Lachen ... ein Singen und Klingen wie ein Lied ... und da erst fährt es ihm wie ein eiskalter Schauer durch alle Glieder: das Lied der Roggenmuhme! — Es ist kein Märchen, er hat sie selber geschaut, die schöne Huldin!“ —

      „Unglaublich!“ —

      „Er hat geträumt!“

      „Sicherlich! Die Hitze hat ihn ermüdet; er ist im Korn eingeschlafen!“

      „Oder er hatte einen Sonnenstich!“

      „Ward er hinterher krank?“

      „Ahnte er, was der Brief bedeuten sollte?“

      „Oder das amerikanische Geld?“

      „Wie endete nun das Märchen?“

      „Der Baron wollte ihn als Lügenmaul wegjagen!“

      „Ganz recht, — bis eben die seltsame, unerklärliche Fortsetzung des Märchens kam! — Harms hatte weder geschlafen noch geträumt, er ward auch nachher nicht krank, aber drei Tage später ereignete sich etwas noch Unerklärlicheres als die Erscheinung der Roggenmuhme. Just um die zwölfte Stunde kam der Postbote und brachte einen grossen grauen Brief aus Amerika an ‚Marie Johanne Klüssen oder deren Erben‘. — Ihr einziger Sohn und Erbe war Harms.“

      „Ah! — Das ist in der Tat merkwürdig!“

      „Und was stand in dem Brief?“

      „Bekam er Geld geschickt?“

      „Der ältere Bruder der Marie Johanne war als halbwüchsiger Bursche als Schiffsjunge ausser Landes gegangen. Nachricht hatte er nur einmal nach fünf Jahren geschickt, dass er unter die Goldgräber gehen wolle. Es sei freilich eine riskierte Sache, die Gegend ungesund und mehr denn wild, die Männer, welche dort ihr Glück suchen wollten, schlimme Gesellen, die sich zumeist eines Verbrechens wegen aus der Heimat geflüchtet hätten. Aber das Gold läge tatsächlich dort blank auf der Erde, und er wolle auf seinen Schutzengel vertrauen und einmal probieren, ob nicht auch ein ehrliches junges Blut sein Glück dort machen könne!“

      „Potz Wetter! und er machte es?“

      „Ja —; er fand wenigstens das viele Gold, das er suchte. In die Heimat gelangte freilich keine Nachricht mehr von ihm, denn Marie Johanne starb als junge Frau bei der Geburt des Harms, und da sonst keine Anverwandten mehr im Dorf waren, sorgte der Pfarrer dafür, dass Harms in ein Waisenhaus kam, bis er später als Knecht auf dem Gutshof untergebracht wurde. — Ob der amerikanische Bruder seiner Mutter in jener Zeit noch einen unbestellbaren Brief an die Marie Johanne geschrieben, weiss man nicht, ja der Harms hatte nicht einmal eine Ahnung von seiner Existenz!“

      „Und nun schreibt der Onkel einen Brief?“

      „Und was für einen! Er erkundigt sich nach der Schwester und deren Kindern. Er teilt mit, dass ihm vor etlichen Wochen der vierte und letzte Sohn durch einen Unglücksfall jählings entrissen wurde, dass er als alter, kranker Mann nun ganz allein in der Welt stehe und sich danach sehne, die einzigen Anverwandten, welche er besitze, bei sich zu haben. Not sollten sie nicht bei ihm leiden, denn er sei nach langen Jahren schweren Kampfes doch noch ein reicher Mann geworden, dem drei grosse Häuser in New York zu eigen gehörten. Ausserdem habe er Landbesitz und ein Barvermögen von rund einer halben Million. Dies alles wolle er der einzigen Schwester und deren Kindern vermachen, wenn sie sobald wie möglich zu ihm kommen und ihn liebevoll pflegen wollten. Er selber könne nicht mehr reisen. Er sei allzusehr Amerikaner geworden und passe in keine engen Verhältnisse mehr! — Die Bank in Hamburg sei angewiesen, Marie Johanne und ihren Kindern eine Summe von viertausend Dollar auszuzahlen, damit sie davon die Reise bestreiten und eine schöne, bequeme Überfahrt haben möchten!“

      „Mensch! Soltmann! und diese Geschichte ist eine verbürgte Tatsache?!“ —

      „So wahr, wie ich hier zwischen Ihnen am Tisch sitze!“

      „Na, der Aufstand im ganzen Dorfe!“ nickte der Praktikant lachend, „ich weiss noch, wie der Harms dasass und immer nur sagte: nee, nee! ick glöv dat nich.“ —

      „Aber nachher glaubte er es doch?“

      „Und wie gern! Der Herr Baron nahm die ganze Sache in die Hand, erkundigte sich beim Konsulat und bekam die Bestätigung, dass der Brief auf voller Wahrheit beruhe. Na, da klirrte ein gewaltiger Dollarregen über den Harms, und er ist wie ein Trunkener in das Roggenfeld gelaufen und hat sich den Hals nach der lieben, guten Roggenmuhme ausgeschrien. Als er abreiste,