Nataly von Eschstruth

Die Roggenmuhme


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hat Sie überrascht? Eigentlich müsste ich wohl gepfändet werden, weil ich ohne Erlaubnis in das Kornfeld eingedrungen bin? — Vergeben Sie! Der rote Mohn trägt die Schuld, ich liebe ihn so sehr und werde um seinetwillen sogar zur Feldfrevlerin!“

      Sie weist auf den grossen Strauss von Blüten und Ähren, der ihr im Arme liegt. Laurit starrt sie noch immer an wie eine Vision.

      „Wohl, wohl! — wie aber kommen Sie hierher, meine Gnädigste? —

      Sie hebt abermals die kleine Hand und deutet nach der nahen Chaussee.

      „Unser Auto steht dort hinter der Wegbiegung im Waldesschatten!“ lächelt sie, dass die weissen Zähnchen im Sonnenlicht blinken: „Wir haben uns verfahren, weil Onkel eine falsche Karte eingesteckt hatte, und nun wollen wir unfreiwillige Rast halten und erst frühstücken, ehe wir die dreissig Kilometer zurückfahren!“ —

      „Ein Automobil! Ah ... das ist ja höchst interessant! Nun fange ich an zu begreifen! ... Sie sind irregefahren — gewiss! Wie käme sonst auch ein Auto in dieses weltentlegene Dörfchen, wo die Kultur und die Landstrasse wie in einer Sackgasse aufhören!“

      Ihr Blick schweift in entzücktem Schauen über die Landschaft.

      „Von schwindender Kultur merke ich nichts, und mit der Sackgasse bin ich sehr einverstanden, ohne sie hätten wir dieses reizende Idyll niemals kennen gelernt! — Wie schön ist es hier! Wie wundervoll schaut es sich über das Meer! Tausendmal natürlicher und malerischer als von dem Strand der Seebäder, wo Strandkörbe und geputzte Menschen jeden Hauch von Poesie morden!“

      Jähe Röte der Freude steigt in seine gebräunten Wangen, — ein aufleuchtender Blick dankt ihr für das Lob, das sie seiner Heimat spendet.

      Plötzlich blickt er auf den Ring nieder, den er noch immer in der Hand hält.

      „Sie gaben mir einen Ring, mein gnädiges Fräulein, was bedeutet das?“

      Sie neigt das Köpfchen näher und blickt auf den schmalen Silberreif nieder.

      „Ich fand ihn just in dem Augenblick, als Sie mir begegneten!“ sagt sie harmlos. „Hier an dem dürren Schlehdornästchen hing er, und da dachte ich, Sie hätten ihn verloren, weil Sie so suchend umher schauten!“

      Voll graziöser Anmut wendet sie sich um nach dem schmalen Wegrain, an dem ein kleines Dornbüschchen seine Ranken über den Erdboden kriechen lässt.

      Wieder schlägt Laurits Herz hoch auf in heissem Entzücken. Ja, er hat suchend umher geschaut, suchend nach dem Glück ..., suchend nach einem so wunderholden blonden Weib, das jählings wie die Verkörperung seiner kühnsten Träume vor ihm steht. —

      Liest sie das etwa in seinem Blick?

      Er wendet mit unsicheren Fingern den Ring hin und her.

      „Nein, mir gehört dieser Reifen nicht!“ sagt er kopfschüttelnd. „Es scheint einer jener einfachen Trauringe zu sein, wie ihn die armen Fischer hier zumeist tragen! — Richtig! er trägt ja eine Inschrift: ‚Harms, 2. 6. 1885‘ buchstabiert er — und dann blickt er voll Überraschung auf und ruft: „Sicherlich der Trauring der Marie-Johanne! Ihr Mann hiess ebenfalls Harms wie der einzige Sohn, und Klüssen trug ihn wohl zur Erinnerung an die Mutter!“

      Mit schnellem Blick überschaut er den Platz, an dem der Schlehdorn steht.

      Fraglos! Der Ring flog dem jungen Burschen vom Finger, als er mit der Heugabel auf die Erscheinung der Roggenmuhme einschlug. — Es muss dieselbe Stelle hier im Korn gewesen sein. — Seltsam, sehr seltsam! —

      Der laute Ton einer Hupe schallt von der nahen Waldecke herüber, und die junge Dame wendet sich hastig zum Gehen.

      „Ah ... der Onkel hat Hunger und ruft zum Frühstück! — Schade, dass der Ring nicht Ihr Eigentum ist, — ich hätte mich dadurch so schön vor der Pfändung schützen können!“

      „Davor kann Sie nichts schützen, mein gnädiges Fräulein!“ lachte Laurit, zog den Hut und klappte mit ritterlicher Verneigung die Hacken zusammen; „gestatten Sie, dass ich mich als Eigentümer des so total abgeplünderten Feldes vorstelle: Stormy, Leutnant der Reserve — und dass ich hiermit feierlich konstatiere: die geräuberten Feldblumen wiegen ein paar Liter Benzin reichlich auf!“

      Die junge Dame ging heiter auf seinen scherzenden Ton ein, während er an ihrer Seite der Chaussee entgegenschritt: „Also mit Benzin muss ich mich freikaufen! Das ist praktisch! Nun fragt es sich aber, ob Ihr Wagen besser auf Stellin oder Dapolin läuft? Wir führen nur die erstere Sorte mit uns!“

      „Dank für Ihre besorgte Nachfrage! mein Wagen läuft vorläufig noch am besten auf Heu und Hafer und hat nur zwei PS, aber ich hoffe es noch im Lauf des Herbstes auf eine Maschine zu bringen, und darum interessiere ich mich schon jetzt lebhaft für Autos! Glauben Sie, dass Ihr Herr Onkel mir eine Besichtigung des seinen gestattet?“

      „Aber selbstverständlich! Wie alle Autler ist er blind entzückt von seinem „Schnauferl“, und wenn Sie dieses benzinfressende Ungeheuer schön, praktisch, tadellos finden, so ist er stolz wie ein Vater, dessen Kind man als einen Wunderknaben lobt!“ —

      „Zum zweitenmal Dank für diesen liebenswürdigen avis au lecteur! — Ist Ihr Herr Onkel Soldat?“

      Das junge Mädchen schob den langen, weissen Autoschleier, den ihr der Wind über die Schulter wehte, zurück. „Nein, mein Onkel ist der Kommerzienrat Cattenstedt, seine Frau die Schwester meines Vaters, des Oberst a. D. Velan, ich heisse Hanna Velan und begleite nebst meinem Vater das Ehepaar Cattenstedt auf einem Ausflug nach dem Seebad M.“

      „Ah! Da haben Sie sich allerdings gründlich verfahren!“ Laurit hatte den Hut gezogen und sich bei Nennung des Namens abermals höflich verbeugt; jetzt blieb er stehn und bot der jungen Dame ritterlich die Hand, um sie den steil abschüssigen Grasrain, der den Fahrweg säumte, hinabzugeleiten.

      Hanna legte ihre kleinen, schlanken Finger harmlos in die seinen. „Sehen Sie, da steht unser Landaulet! und Papa und der Chauffeur sind von jenen Häusern an dem Feld drüben, wo sie sich des näheren über den Namen des Dorfs und eventuellen Zustreckeweg erkundigen wollten, zurückgekommen!“

      Sie hob die Hand und winkte, munter auf der Chaussee ausschreitend, den Herren zu, die erstaunt den Nahenden entgegenschauten. —

      „Ich bin beim Blumenstehlen abgefasst!“ rief sie lachend, „kostet zehn Liter Benzin, Onkelchen! Hier, Herr Stormy nimmt es für seinen künftigen Wagen schon jetzt in Empfang!“

      Eine schnelle, launige Begrüssung der Herren. Der Kommerzienrat schob seine korpulente kleine Gestalt näher und streckte, sich vorstellend, dem jungen Mann die Hand entgegen.

      „Wollen auch unter die Autler gehn? Famos, ist auch das Gescheiteste, was ein Mensch heutzutage tun kann! So einem Wagen hat man viel zu danken! Er macht energisch, kühn ... stählt Haut und Nerven —“

      „Namentlich die der Riechorgane!“ nickte der Oberst voll grimmen Humors, „und wenn der Mensch nicht zu Migräne neigt, wie meine Schwester, macht so eine kleine Komödie der Irrungen auf wegweiserlosem Terrain auch unempfindlich gegen dreissig Grad im Schatten!“

      „Mensch, dafür gibt’s Waldesschatten und Frühstückskörbe!“ lachte der Kommerzienrat, trat an das offene Landaulet heran, in dem eine blasse, schlanke Dame mit halbgeschlossenen Augen lehnte, und sagte: „Gestatte Klärchen, dass ich dir Herrn Stormy vorstelle! Der Beherrscher dieses unbekannten Reichs ist dir gewiss als Schutzengel geschickt und verrät uns irgendeinen kleinen Badeort in der Nähe, wo es Hotels und kühle, dunkle Zimmer gibt!“

      Frau Cattenstedt reichte dem jungen Mann mit wahrem Dulderlächeln die Hand, und Laurit zog diese sehr liebenswürdig an die Lippen. „Wenn Sie sich in dieser Beziehung meiner Fürsorge überlassen wollen, gnädigste Frau, so werde ich unbedingt für alles Gewünschte sorgen, — wie aufrichtig bedauere ich es, dass Sie sich gerade heute, auf einer so heissen Tour, derart unwohl fühlen!“

      „Siehst du, Klärchen! Ich sage es ja immer, die Betrunkenen und die Autler