Nataly von Eschstruth

Die Roggenmuhme


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      „Hier auf das scharfe Steinicht ist er aufgeschlagen, über dem Knöchel blutet er!“

      Störmy untersuchte den Schaden. „Es ist nichts von Bedeutung, aber ich möchte ihn trotzdem schonen und werde zu Fuss nach Hause gehen!“

      „Dierk kann ihn führen, Herr Leutnant. Der Weg durch den Wald hier ist gar nicht weit, wenn der gnädige Herre durch das Korn gehn, schneiden Sie ein tüchtiges Stück ab.“

      Laurit hob jählings das Haupt. Durch das Korn! War dies nicht derselbe Weg, den ehemals Harms Klüssen gegangen war, als er von der Heuernte auf der Waldwiese zum Essen ging?“ —

      Er lachte. Seltsam. Bei Mondschein in des Matthis Holunderlaube hatte ihm ein Abenteuer mit der Roggenmuhme so poetisch gedeucht, dass er ernstlich beabsichtigte, dem holden Spuk zu Gefallen zu gehn; bei hellem Tageslicht aber kamen ihm solche Ammenmärchen doch zu töricht vor, um sich ihretwegen womöglich zum Gespött der Dörfler zu machen!

      Er vermied es direkt, in der Mittagszeit auf die Felder zu gehen, und nun ereignet sich plötzlich ganz unerwartet ein kleiner Unfall, welcher ihn direkt zwingt, in das Gebiet der Roggenmuhme einzudringen!

      Lächelnd schiebt er den leichten Strohhut aus der Stirn zurück und atmet tief auf.

      „Der Weg ist nicht zu verfehlen, Inspektor?“

      „Unmöglich, Herr Leutnant! Hier dicht an dem Waldrand beginnt der Roggenschlag, der sich bis hinab an die Chaussee zieht. Wenn Sie quer durch das Feld gehn, erreichen Sie diese in ein paar Minuten, und dann ist’s ja der gerade Weg bis zum Schlosshof.“

      „Danke Ihnen, Inspektor. Dierk soll bestellen, dass der Fuss des Rappen sofort gekühlt wird!“

      „Sehr wohl, Herr Leutnant!“ —

      Laurit wandte sich nach freundlichem Gruss ab und schritt in den Wald hinein.

      Die Sonne glühte auf den Kiefern; — ein fast berauschender Duft lag schwül unter den lichtdurchflimmerten Baumkronen.

      Ab und zu schoben sich ein paar Buchen mit frisch-grünem Gezweig dazwischen. Der Boden war mit glatten Nadeln besät, zwischen denen hellgrünes Heidelbeerkraut und hohe, graziöse Farren ein entzückendes Teppichmuster woben, hie und da noch bereichert durch die verschiedenen Schwämme, gelbe Pfefferlinge und prahlende Fliegenpilze mit roten, weissgetupften Kappen, als seien lustige Heinzelmännchen vor Schreck über den fremden Wanderer in dem Boden festgewachsen.

      Tiefe, feierliche Stille.

      Fern nur gurren ein paar Waldtauben, und an einem Buchenstamme huscht mit leisem Rascheln ein Eichhörnchen empor, sich in dichtem Gezweig zu verstecken.

      Laurit schreitet gemächlich aus und doch ist der schmale Waldstreifen schnell durchmessen. Ein Schmetterling, die kleine blaue Sylvia, gaukelt zutraulich vor dem jungen Manne her, als wolle sie ihm den Weg zeigen, und als Laurit den Waldesschatten verlässt, bleibt er einen Augenblick in entzücktem Schauen stehen. Welch herrliches Bild entrollt sich vor seinen Augen. — Er steht auf einer kleinen Anhöhe. Vor ihm, wie ein leuchtender Goldteppich, dehnen sich die fast reifen Roggenfelder, seitlich gesäumt von hochstämmigem Buchenwald und durchschnitten von dem grellweissen Strich der Fahrstrasse, die sich nach kurzer Biegung im Waldesschatten verliert.

      Jenseits derselben leuchten smaragdgrüne Wiesen, aus welchen die ersten vereinzelten Häuschen des Dorfes mit ihren Gärtchen und buntgestrichenen Fensterrahmen freundlich herüberlachen — und noch weiter zurück streben in weisslichem Gelb die Sanddünen empor, das endlos weite, dunkelblau wogende Meer säumend, das sich hinter ihnen in unbegrenzter Herrlichkeit ausbreitet.

      Wahrlich, wenn hier in diesen Feldern die Roggenmuhme ihr Heim gewählt, so hat sie sich ein herrliches Erdenfleckchen ausgesucht, um das sie auch der verwöhnteste Geschmack beneiden könnte.

      Wie schön ist die Welt! Wie geschaffen für Glück und Liebe, und wie weit und sehnsuchtsvoll wird ein junges Menschenherz, wenn es inmitten all dieser Herrlichkeit einsam und allein dahinschreitet und auf die blaue Wunderblume harrt, ob sie nicht plötzlich auch ihm ihren Kelch öffnen will.

      Langsam schreitet Laurit in die schmale Gasse hinein, die sich der Pfad zwischen den wogenden Kornfeldern geschnitten hat.

      Jetzt erst merkt er, wie unsagbar heiss es ist. Die Luft liegt regungslos, sie flimmert und blitzt wie glühender Odem, und aus dem Roggen steigt ein feiner, süsser, geheimnisvoller Duft empor, der die Sinne schmeichelnd umfängt wie eine Narkose.

      Ist es das Korn oder der rote Mohn, der es durchflammt?

      Ein zarter, bitterlicher Hauch wie Opium liegt in der Luft, — selbst die schillernden Fliegen scheinen mit ausgespannten Glimmerflügeln still zu stehn, wie berauscht von süssem Traum.

      Wie das so müde macht! —

      Ringsum ein weites, ganz leise wogendes Meer von goldenen Ähren, — es blendet schier die Augen und es gehört alle Willenskraft dazu, sich nicht niederzulegen, — unterzutauchen in diese Roggenflut und den geheimnisvollen Duft einzuatmen, bis eine wundervolle Fata Morgana aus den Halmen emporsteigt, mit strahlenden Himmelsaugen, gleissendem Goldhaar und dem süssen Zauberlachen der Hexe Loreley auf den Lippen, — die Roggenmuhme!

      Wo bleibt sie?

      Wenn sie heute nicht emportaucht aus ihrem verwunschenen Schloss, so tut sie es wohl nie!

      „Erscheine, o weisse Dame! erschein’, erscheine mir!“

      Wahrlich, George Brown hat nicht sehnsuchtsvoller auf den holden Spuk im Schottenschlosse gewartet wie Laurit Stormy auf das blonde, schleierumwallte Weib im Roggenfeld. —

      Horch! ... von dem Kirchturm hallen zwölf Glockenschläge empor! —

      Unwillkürlich hemmt der junge Mann den Schritt und fühlt sein Herz höher schlagen. Wie Fieberglut rieselt es durch seine Adern. Ist er krank? Macht ihn der Opiumduft zum Phantasten?

      Er steht und starrt über die wogenden Halme hin. — Sie muss kommen ... sie muss ... und was wird sie ihm als Glückssymbol zeigen? —

      Roggenmuhme!

      Ahnst du nicht, wie ich auf dich warte?

      Und plötzlich ein leiser, halberstickter Aufschrei. Laurit Stormy taumelt jäh zurück und hält sich mit beiden Händen das Haupt, als wolle er sich gewaltsam aus tiefem Schlaf wachrütteln.

      Er träumt! — er muss träumen ...

      Da vor ihm steigt es plötzlich aus glänzenden Ähren empor, das wunderholde Spukgebilde! Eine schlanke, weissgekleidete Gestalt, ein süsses, liebreizendes Antlitz, das ihn aus grossen Blauaugen fast erschrocken anstarrt! — Lichtblonde Löckchen kräuseln sich um die weisse Stirn, ein schneeiger Schleier wallt vom Haupt hernieder, zu beiden Seiten der Schläfen von leuchtend roten Mohnblütensträussen gehalten. —

      Roggenmuhme!

      Laurit Stormy steht regungslos und starrt die zauberhafte Erscheinung an.

      Er will sprechen, aber er vermag es nicht.

      Da raschelt es im Korn; die Huldin schreitet ihm zaghaft entgegen und hebt die Hand.

      Herr des Himmels! träumt er denn wahrlich? Einen kleinen, schmucklosen Ring hält sie ihm entgegen.

      Wahrlich .. er sieht’s genau ... einen Ring! —

      Und plötzlich tönt eine weiche Stimme an sein Ohr:

      „Gewiss haben Sie den Ring verloren und suchten danach, mein Herr! Ich habe ihn soeben gefunden, bitte nehmen Sie ihn!“ —

      Sie spricht, — die Roggenmuhme spricht zu ihm? Laurit reisst die Augen noch weiter auf, rafft sich zusammen und schreitet einen Schritt näher.

      War er von Sinnen? Jetzt sieht er plötzlich scharf und genau .. eine bildhübsche, junge, elegante Dame, welche vor ihm steht.

      „Mein gnädiges Fräulein ...“ Er greift mechanisch nach dem Ring —: „Ich begreife nicht