Nataly von Eschstruth

Die Roggenmuhme


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      „Wir bekommen bombensicher die Jacken gewaschen!“ rief er den Nahenden entgegen, „nun tun Sie mir die einzige Liebe, Herr Stormy, und dirigieren Sie uns in das nächste, beste kleine Nest, wo man einen Unterschlupf findet! Wohin führt dort die Chausseeabzweigung?“

      „Schnurgrade nach dem einzigsten, besten und sichersten chambre garni, das in dieser Gegend aufzutreiben ist, verehrtester Herr Kommerzienrat!“ Laurit trat neben den Wagen und zog abermals sehr höflich den Hut vor Frau Klara.

      „Sie waren so ausserordentlich gütig, gnädigste Frau, mich, den völlig Fremden, an Ihren Frühstückstisch einzuladen! Sie haben mich dadurch verwöhnt und mir die Berechtigung gegeben, Revanche zu üben! Dort hinter den Parkbäumen liegt Schloss Helmsdorf! Meine Mutter ist leider zurzeit in Kissingen, es fehlt also die Hausfrau, die die Honneurs machen müsste; dennoch verspreche ich Ihnen die kühlsten, dunkelsten Zimmer und den begeistert guten Willen, alles aufzubieten, Ihnen einen behaglichen Unterschlupf gegen Wind und Wetter zu geben, wenn Sie mich mit Ihrem Besuch erfreuen und beehren möchten!“

      Frau Klara reichte ihm hastig die Hand und versicherte mit weinerlicher Stimme: „Tausend Dank! Ach, ich komme so gern, ... ich kann mich kaum noch aufrecht halten ...“

      „Stormy, Sie sind ein Engel!“ schmunzelte Onkel Rudolf gerührt: „Dafür dürfen Sie auch unentgeltlich bis in Ihr Schloss Auto fahren!“

      „Heissen Dank, Herr Kommerzienrat!“

      „Bei 40 Grad im Schatten ist das keine Kunst“ lachte der Oberst. „Sie sind wirklich die Güte selbst, Herr Stormy! Und Sie sehen, wir zieren uns auch absolut nicht, sondern fallen bei Ihnen ein wie die Heuschrecken!“

      Laurit neigte sich und half Hanna die letzten Messer und Gabeln aufsammeln.

      „Wissen Sie, was ich wünschte, gnädiges Fräulein?“ fragte er leise.

      Ihr Blick huschte nur flüchtig unter den dunklen Wimpern zu ihm empor: „Ich hätte erst meine zehn Liter Benzin ebenso sicher, wie jetzt ihre Besitzer?“

      Er lachte mit. „Auch das; so nebenbei möchte ich aber, dass das heutige Gewitter gar kein Ende nehmen möchte!“

      „Recht menschenfreundlich!“

      „Sie freuen sich sehr auf Ihren Badeaufenthalt in M.?“

      „Nein! ich gehöre nicht zu den Herdentieren, denen es nur im dicksten Gewühl wohl ist!“

      Wieder leuchtete es in seinen Augen auf.

      „Sie werden auch von ... von niemand dort erwartet?“

      Das klang so atemlos forschend, beinah wie ein wenig Eifersucht.

      Sie sah ihn voll an. „Ich wüsste nicht von wem; höchstens von dem Portier in Hotel Bristol, wo die Zimmer bestellt sind!“

      Nun lachen sie beide hell auf — aber es klingt anders als sonst.

      „Wo leben Sie für gewöhnlich, gnädiges Fräulein?“

      „Ist diese Frage wirkliche Teilnahme oder bitterste Ironie?“

      „Aber Fräulein Velan! Ironie?“

      Wie erschrocken er aussieht! Wieder gräbt der Schalk seine Grübchen in ihre Wangen.

      „Nun ja! Wenn man biedere Sachsen fragt, nachdem man über eine Stunde ihr Idiom gewürdigt hat, woher sie sind, — dann ist es sogar sträfliche Ironie!“

      Er amüsiert sich königlich. „Ihr Herr Onkel würde vielleicht seine Nationale auf der Zunge tragen, aber Ihr Herr Vater und Sie, mein gnädiges Fräulein? Wenn Sie mir sagen, wir sind Berliner, Ostpreussen, Schwaben oder Hannoveraner, so glaube ich es auch!“

      „Bravo! Sie haben wirklich feine Ohren! In all diesen genannten Städten oder Ländern hat mein Vater einmal kürzere oder längere Zeit in Garnison gestanden! Wir sprechen darum ein regelrechtes ‚Armeedeutsch!‘, von allem etwas, bis jetzt vielleicht der neue Wohnort Leipzig uns seinen endgültigen Stempel aufdrückt!“

      „Hanna! Hanna! Um Gottes willen! Es donnert ja schon!“

      „Wir sind — spricht jene — zum Fahren bereit!“ rezitiert Onkel Rudolf und wuchtet näher, um noch einmal Umschau über das „verlassene Zigeunerlager“ zu halten! „Die Zelte sind abgebrochen, — fort töffen die Gestalten; wer sagt dir wohin?!“

      „Graden Wegs in die Notquartiere von Helmsdorf!“ lacht der Oberst und macht es sich auf seinem Sitz neben dem Chauffeur bequem. „Bitte einsteigen!“

      Die Maschine schnurrt und rattert los; der Chauffeur hat angekurbelt und klettert gewandt auf seinen Platz.

      Tante Klärchen giesst sich gottergeben noch den letzten Rest ihrer Eau de Cologneflasche ins Taschentuch, und ihr Gatte „wühlt“ sich möglichst bequem auf seinem Platz ein.

      „So! nun mögen uns Billeken und die verehrliche Roggenmuhme gnädig sein, dass uns kein Schlauch platzt, — dann sind wir bei Ihnen angelangt, mein lieber Stormy, ehe Sie Ihre Gastfreundschaft reuen kann, — und sehen Sie, dieses unheimlich schnelle „me voilà!“ ist die fünfte vorzügliche Eigenschaft der Autos!“

      III.

      Welch ein Staunen, Flüchten, Schreien und Rennen, als das Automobil gleich einem feuerschnaufenden Ungeheuer in den sonst so stillen, welteinsamen Schlosshof sauste. Das gewaltige Hupensignal mit seinem schönen, melodiösen Vierklang hatte hierorts eine andere Wirkung, als in verkehrsreichen Gegenden.

      Dort kennt man solches Getön als Warnungssignal und nimmt beizeiten Reissaus, hier hielt man es für die überraschend fröhliche Anmeldung wandernder Musikanten und stürzte in sichtlicher Freude aus der Gesindestube, aus Ställen und Scheunen herbei, um solch vergnüglicher Kurzweil teilhaftig zu werden.

      Anstatt dass aber zu dem Hoftor die edlen Musikvirtuosen mit Horn, Klarinette und Brummbass einzogen, tobt jählings ein ganz entsetzliches Ungetüm mit zwei Glotzaugen und unförmiger Körpermasse, knatternd und fauchend wie ein Feuerdrache, auf die ahnungslosen Knechte und Mägde ein, so dass ein gellendes Hilfegeschrei die Luft erzittern lässt und die Holzpantoffeln wie ein schwerer Hagelschauer herniederprasseln.

      Grundgütiger! welch ein grosse Wirkung von solch kleiner Ursache.

      Der Chauffeur hat schon manchen Ahnungslosen erschrecken sehen, eine derartige Panik ist ihm aber so neu, dass er selber die Fassung verliert, auskuppelt und alle Bremsen zieht, ehe er in elegantem Bogen vor der Schlosstreppe vorfahren kann.

      Ein paar alte Weiber, deren Füsse nicht mehr zur flinken Flucht taugen, hüpfen wie die Unsinnigen an einem Fuder Heu, das vor der Scheune steht, empor.

      „De Düwel kümmt! De Düwel kümmt!“ kreischen sie ausser sich, bis es ihnen unter sinnloser Anstrengung gelingt, einen rettenden Platz auf den Bündeln zu erreichen.

      Zwei Gartenmägde, die gerade einen kleinen Wagen voller Gemüse vor die Küchentür gefahren, verfallen auf die Theorie des Vogels Strauss.

      Mit gellendem Hilfegeschrei werfen sie sich über die schmackhafte Ladung und bohren die Köpfe tief hinein in Salat, Spinat und junge Bohnen.

      „Wenn ick ’n Speuk nich siech — dann kreegt he mich ok nich!“ philosophieren sie.

      Was aus dem Souterrain empor getaucht ist, schiesst in blitzschneller Hast wieder hinunter, wie die scheuen kleinen Wüstenfüchschen sich bei einer Überrumplung in ihre Erdlöcher stürzen!

      Die nervenschwacheren Knechte, die noch nicht Soldat gewesen, suchen mit schlingernden Beinen Deckung, und nur die mutigsten, das heisst die, welche durch glücklichen Zufall am weitesten entfernt standen, sperren mit erbleichenden Wangen Mund und Nase auf.

      Die Mamsell liegt halb ohnmächtig auf einem Stuhl der Vorratskammer, und da sie erst auf den Hof hatte hinausgehen wollen und noch nicht in direkter Lebensgefahr war, hat sie noch die meisten Kräfte und schimpft mit dem Brustton der Überzeugung: „Aber so eine Gemeinheit!