Nataly von Eschstruth

Die Roggenmuhme


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in dem Bücherschrank neben dem Rauchtisch entdeckte er eine ganze Anzahl Bände des „Weidmanns!“ die seine Augen entzückt aufleuchten liessen.

      „Wenn man einem Kind einen Apfel und ein Bilderbuch gibt, verehrtester Herr Stormy, so ist es zufrieden!“ lachte er: „und mir altem Kinde geht es genau ebenso! Die Zigarre ersetzt den Apfel, und die Bilderbogen können gar nicht interessanter sein! Nun können Sie mich für ein paar Stunden als toten Mann betrachten! — Empfehle mich.“

      Laurit versicherte, dass es ihm zur grössten Freude gereiche, für die Unterhaltung seines liebenswürdigen Gastes gesorgt zu wissen!

      „Aber Sie, mein gnädiges Fräulein? Wie könnte ich Ihnen die Zeit vertreiben? Soll ich nachforschen, ob Mama die neusten Modezeitungen oder ein nettes Romanbuch in ihren Zimmern hat?“

      Sie lachte leise auf.

      „Um Himmelswillen! Damit können Sie mich jagen! Ein Kochbuch würde mich zur Not fesseln, aber jetzt, wo es so viel draussen zu sehen gibt, auch nicht!“

      Sie war in die Fensternische getreten und blickte wie verklärt in den Park hinaus.

      „So viel zu sehen? Hier in dem grabeseinsamen Helmsdorf?“ fragte er überrascht.

      Sie strich mit der kleinen Hand über die Augen, um die Wirkung eines allzu grellen Blitzes zu mildern.

      „Grade hier! Wir armen Grossstädter haben so selten Gelegenheit das zu schauen, was am unmittelbarsten zur Seele spricht, und das ist die Natur! — In dem starren, öden Steinmeer von Mauern und Pflaster gibt es höchstens bei einem Gewitter flüchtende Menschen, Regenschirme, Gummischuhe und ausreissende Hüte zu beobachten, und das ist weder schön noch poetisch.“

      Sein Blick hing wie gebannt an den roten Lippen, deren Worte ihm die lieblichste Musik deuchten, die er je gehört.

      „Und hier?“ — fragte er leise, beinah zaghaft, als fürchte er, einen lieben Traum zu zerstören.

      „Hier?“ — sie lächelte. „Schon seit etlichen Minuten freue ich mich, dass die kleinen Meisen dort in der Tanne Schutz fanden! Sehen Sie nur, welche muntere Gesellschaft da zusammentraf! Der Zeisig posiert als Heldentenor! Er wagt sich bis ganz vorn auf den Ast.“ — —

      „Bis zum Souffleurkasten —!“

      „Und schaut mit imponierender Pose nach dem Himmel —“

      „Dem Augenaufschlag zufolge müsste es die Diva sein!“

      „Nein, die taxiere ich auf die Meise, die sich so sentimental und scheu gegen den Ast duckt, als hätte sie beim nächsten Stichwort in Ohnmacht zu fallen!“ —

      „Und die andere, die so unruhig hin und her hüpft und wippt?“

      „Selbstredend die Naive! und die komische Alte ist der dicke Spatz, der sein nasses Federkleid sträubt und zu räsonnieren scheint, dass er ein unfreiwilliges Bad genommen!“ —

      Laurit lachte leise auf: „Wenn man allerdings mit Ihren Augen schaut, ist das Regenwetter hier sehr amüsant!“

      Hanna schwieg einen Augenblick, denn das Gewitter schien von Minute zu Minute stärker zu werden; dann fuhr sie leiser und ernster fort: „Nicht nur amüsant, nein tausendmal mehr, — gewaltig und grossartig schön! — Hören Sie, wie der Sturm durch die hohen Baumkronen rast. Wie er schrillt und pfeift und tost und alles mit eherner Faust zu Boden duckt, was zu keck und selbstbewusst emporgewachsen. — Gleicht er nicht dem Schicksal, das auch so plötzlich über manch ahnungsloses Haupt hereinbricht und die urewige Weisheit predigt: Sehe jeder, wo er bleibe, — und wer da steht, dass er nicht falle!“ —

      „Ja, dem gleicht er, jenem Wettersturm, der alles hinwegfegt, was nicht das einzig wahre und sichere Fundament fand, die Wurzeln darin zu festigen!“

      „Und Blitz und Donner! Welch ein Flammen und gewaltiges Rollen! Ich finde es so wahr und schön, wenn unsere Ureltern die Stimme der zürnenden Götter darin hörten! In dem Strassengewühl der Grossstadt geht das Unmittelbare solcher Himmelspredigt verloren, da gibt es zu viel Erdenlärm, der sie mit schrillen Missakkorden überschreit, — aber hier auf dem Lande, da rauschen noch die alten Wodanseichen, da beugt sich die Kreatur noch zitternd vor dem Schöpfer Himmels und der Erden, weil er ihr noch nicht fremd geworden ist, weil er sich ihr noch offenbart in tausend Wundern, im Säen und Keimen, im Blühen, Wachsen und Fruchttragen!“

      Laurit nickte mit leuchtenden Augen. „Wie schön sind solche Gedanken und wie selten klingen sie von den Lippen eines modernen Weibes! Ja, es ist eine immer neu zu erfahrende Tatsache, wenn es im Liede heisst: ‚Der liebe Gott geht durch den Wald!‘ — man kann wenigstens hier auf dem Lande seinen Fussstapfen noch sichtbarer folgen wie auf dem Asphalt von Sodom und Gomorrha!“

      „Welch ein Regen!“

      „Die Parkwege sind Bäche geworden!“ —

      „Man erkennt kaum noch die Gebüsche dort!“

      „So stark habe ich ihn hier noch nicht erlebt, — es ist ja der wahre Wolkenbruch!“ —

      Besorgt schauen die grossen, sinnenden Blauaugen zu ihm auf: „Hoffentlich schaden diese Wassermassen Ihrer Ernte nicht?“

      „Ich hoffe, nein! — Das Heu ist gottlob bis auf den letzten Wagen eingefahren, und wenn kein Hagel kommt, wird das Getreide widerstehn!“

      „Aber eine Überschwemmung? Man liest in letzter Zeit so viele Hiobsposten vom Hochwasser.“

      Laurit schüttelte zuversichtlich den Kopf.

      „Wir liegen hier in Helmsdorf sehr hoch; uns persönlich kann wohl nie eine Gefahr durch Hochwasser drohn, kaum eine Springflut kann für den Gutshof zur Katastrophe werden. Aber die tieferliegenden Ortschaften zu seiten des Flusslaufes können schwer bedroht werden.“

      „Gott verhüte es!“

      „Ja, wenn man nicht selber Überschwemmungen gesehen hat, ahnt man es gar nicht, was für ein fürchterliches Element das Wasser sein kann!“ —

      „Mich deucht, der Regen stürzt immer stärker und stärker herab!“ —

      „Welch ein Unwetter!“ —

      Der Oberst hatte sich erhoben, trat ebenfalls an das Fenster und schaute ganz betroffen in die brausenden Wassermassen hinaus.

      „Nanu? Das ist ja gegen das Völkerrecht! Solch ein Guss! und kalt scheint es plötzlich auch zu werden, die Fenster laufen ja ordentlich an!“ —

      „Ach Papa! wenn wir jetzt mit der armen, kranken Tante auf der Landstrasse wären! Was sollten wir anfangen!“ — und voll warmer aufquellender Herzlichkeit streckte sie Laurit die Hand entgegen und sagte mit der weichen, süssen Kinderstimme so herzbewegend, wie er noch nie etwas vernommen: „Ach, wie danke ich Ihnen so tausendmal, Herr Stormy, dass Sie uns hier aufgenommen! Wieviel Angst und Schrecken haben Sie uns dadurch erspart!“

      „Ja wir danken Ihnen! wir stehen tief, tief in Ihrer Schuld!“ nickte auch der Oberst sehr bewegt.

      Laurit hielt die kleine, weiche Hand einen Augenblick fest in der seinen. „Ich habe zu danken!“ antwortete er schlicht, „Sie ahnen nicht, welch ein hohes Lied der Freude der Sturm da draussen für mich singt!“ —

      „Herr Leutnant!“

      „Was gibt’s, Wilhelm?“

      „Der Herr Inspektor lassen bitten!“

      „Sie gestatten, dass er näher tritt, meine Herrschaften?“

      „Aber selbstverständlich!“

      „Was gibt’s, Verehrtester? Das kühle Nass kommt Ihnen wohl auch etwas reichlich?“ —

      „Für uns nicht, Herr Leutnant!“ Der Inspektor trat mit höflicher Verbeugung näher: „Aber in Germsraden sieht es schrecklich aus! Volkmar telephoniert eben an, dass ein Wolkenbruch dort niedergeht! Der Blitz hat auch dreimal gezündet!“

      „Grundgütiger!