Rechten die Augen beschirmend, in die unendliche Ebene jenseits des Flusses. Am Rand des Himmels waren Kamele sichtbar, bei der stumpfen Beleuchtung anzusehen wie ferne Bergrücken. Es war irgend eine Karawane von Kaufleuten.
In lautlosem Schweigen ging es am Ufer entlang. Der Himmel hatte sich bewölkt, der Boden verlor sein üppiges Aussehen und wurde kahl und karg. Weit hinein ins Wasser wuchs das hohe Schilfrohr, das von wilden Enten wimmelte. Als die Dämmerung nahte, kamen sie zu einem armseligen Dorf. Alexander ließ die vorhandenen Flöße zusammentreiben und setzte mit seinen Leuten über den Strom, um am rechten Ufer weiter zu ziehen.
Jetzt ahnte Peithagoras alles. Er kannte die Landschaft, er hatte drei Jahre in Babylon gelebt, er wußte, wohin dieser Weg führte. Lange kämpfte er mit sich selbst, ob er reden solle, dann siegte der Trieb des Besserwissens, er lenkte sein Pferd neben das Alexanders und sagte: »Du willst nach dem Rat der Chaldäer vom Westen aus in die Stadt. Doch vor uns liegen ungeheure Sümpfe, Alexander. Keine Straße führt hindurch, kein Fahrzeug ist dort zu sehen, keine Menschenwohnung. Der ganze Westen der Stadt ist von Sümpfen umgeben.«
Alexander zuckte zusammen. Mit raubtierartig funkelnden Augen betrachtete er den unglücklichen Warner. »Kümmere dich um dein Lügengeschäft,« stieß er hervor. »Fort, du betrügerischer Schwätzer, oder ich lasse dir die Zunge aus dem Hals reißen, damit du dich nicht mehr unterstehst, das Schicksal herauszufordern, indem du es künden willst.«
Alle sahen, wie Alexander zitterte, wie seine Stimme in rätselhaftem Schmerz erstickte, wie seine weitgeöffneten Augen Blicke sendeten, die vor einem Luftbild zu erschaudern und wieder zurückzuziehen schienen in das Innere der Seele, und sie begannen sich zu fürchten wie Peithagoras selbst, der mit schlotternden Knien an seinen Platz ritt.
Der Zug stockte. Man vernahm einen langgedehnten Schrei. Man sah sich um, flüsterte, fragte; die Pferde spitzten die Ohren und wurden unruhig.
Einer der Chaldäer hatte sich nach Westen gewendet und deutete in die Sonne, die untergehend zwischen Himmel und Erde stand. Der Anblick war auffallend; die Scheibe war so hoch wie die Stirnseite eines Palastes; sie hatte eine fahlrote Färbung, ähnlich gebranntem Ton, sie war so von Dünsten umzittert, daß sie auf-und niederzuschwanken schien; an ihren Rändern flackerten kleine Flämmchen und entzündeten die wie Tücher darüber flatternden schwarzen Wolken.
Ängstlich und verschüchtert blickten die Söldner auf Alexander. Er hatte das Auge unbewegt auf den Sonnenball geheftet, und als nun die Erde sich öffnete wie ein Maul, und die Sonne in sich hineinfraß, da erbebten seine Lippen von einem daseinsgierigen, grausamen Lächeln. In seinem verfinsterten Herzen beschloß er den Tod dieser Chaldäer, die um das Licht der Zukunft standen und es zu verlöschen trachteten.
Kaum war die Dunkelheit eingebrochen, so fing es an zu regnen. Die durch den Luxus des Lagerlebens verwöhnten Söldner waren besorgt, wo sie die Nacht verbringen sollten. Die Dunkelheit verwandelte sich in eine sternenlose Finsternis. Einförmig klang das dumpfe Getrappel der Pferde, vermischt mit dem zufälligen Klirren der Schwerter. Das Rauschen des Stromes war wie ein unaufhörlicher schwacher Gesang.
Gleichmäßig rieselnd fiel der Regen. Die Pferde wurden müde auf dem durchweichten Boden. Nun verließen sie das Ufer; da sie die Stadt im Osten haben wollten, mußten sie im weiten Bogen gegen Westen ziehen.
Es erschallte ein Gebrüll, das in dieser Stunde und Stimmung alle mit Entsetzen erfüllte. Der Sumpflöwe war es, der im Röhricht haust. Einige Pferde bäumten sich und wieherten angstvoll. Alexander ließ das Zeichen zum Halten geben. Es waren keine Pflöcke mitgenommen worden, und die schaudernden Tiere, die mit Gewalt verhindert werden mußten, in die Nacht hinauszustürmen, konnten nicht festgebunden werden. Peithagoras vermutete die Sümpfe in unmittelbarer Nähe. Dreißig der Beherztesten scharten sich zusammen, um hinzugehen und mit ihren Schwertern Schilfrohr abzuschneiden. Nicht lange darauf kehrten sie bepackt zurück, und nun galt es, Feuer zu machen, denn das Gebrüll wurde immer drohender.
Das Rohr war naß und wollte nicht brennen. Erstickender Rauch qualmte empor. Ununterbrochen schallte das gellende Angstgewieher der Pferde, beantwortet von dem majestätischen Aufbrüllen der wilden Tiere.
Die Wachen wurden abgelöst. Die meisten Söldner versuchten, in ihre Decken gewickelt, zu schlafen. Viele aber blieben mit offenen Augen geheimnisvoll erregt liegen. Sie spürten dunkel das Besondere und Bedeutungsvolle dieser Nacht, als hätte, was in der Natur gärt und kocht, sich ihren aufgewühlten Sinnen verraten. Sie sahen, wie Alexander das endlich emporgeflammte Feuer umschritt. Groß stand die behelmte Gestalt im schwarzen Rahmen der Nacht. Die Regenperlen fielen hell und lautlos ringsum in den Feuerkreis. Er rief drei Leute von der Söldnerwache heran und erteilte ihnen einen Befehl. Sie zauderten, sie zitterten, sie schwiegen, ihre Blicke flohen einander. Doch nur ein Wort Alexanders, nur eine Bewegung, und sie gingen, um zu gehorchen.
Bald darauf entstand am einen Ende des Lagers ein kurzer Tumult. Seleukos und Leonnatos liefen kreidebleich zu Alexander. Was sie berichten wollten, blieb ihnen bei seinem Anblick in der Kehle stecken. Er lächelte.
Der Morgen erwachte und tauchte die Stirn in die gelblich glänzenden Wasser der Sümpfe. Da, ein hundert-, aber hundertfacher Freudenruf, tieftönend, langhallend: Babylon! Babylon! und wieder: Babylon! Babylon!
Undeutlich noch im grauen Licht, doch ergreifend durch die bloße Wirklichkeit, sahen sie die Mauern der ersehnten Stadt.
Die Chaldäer erblickten die Heimat nicht mehr. Auf der nassen Erde rann das Blut von ihren Leichen, »sieben sind sie, sieben sind sie.«
Die Frühnebel schwankten empor. Alexander schaute hinüber. Er sah eine Menge von Raben über die Stadtmauer fliehen. Sie kamen gegen die Sümpfe zu und fingen auf einmal an, miteinander zu streiten. Nach kurzem Kampf stürzten zehn oder zwölf tot in das aufspritzende Wasser und die übrigen flogen mit wildem Gekrächze weiter.
Neuntes Kapitel.
Arrhidäos
In Babylon feierte man das Sonnenwendefest. Eine zahllose Menschenmenge befand sich auf den Straßen. Aus den mit niedrigen Mauern umgebenen Gärten schallten lustschreiende Stimmen wie von betrunkenen Weibern in die Nacht. An dem erhöhten Ufer des Ostkanals hockten baktrische Söldner um kolossale tönerne Weinbehälter.
Wo der Ostkanal den Euphrat verläßt und sich in weiter Biegung gegen das ausgedehnte Trümmerfeld des Belmarduktempels wendet, hatte vor einer verödeten Gartenterrasse die kleine Makedonierschar ihr Lager aufgeschlagen, die die Wache für Hephästions Leichnam bildete.
Der Sarg befand sich in einem Halbzelt, an dessen geöffneten Seiten fünf Söldner standen. Auf ihre Sarissen gestützt, blickten sie sehnsüchtig und finster in die rötliche Lohe, die sich über den Straßen und Häusern hinzog. Der Lärm des nächtlichen Festgetriebes tönte dumpfsurrend bis zu ihren Ohren; bisweilen löste sich ein langgezogener Aufschrei davon los und fiel verklingend wieder in das allgemeine Tosen zurück. Sehen konnten sie nichts, die Böschung des Kanals machte jeden Ausblick unmöglich. Nur gegen Norden erblickten sie wie auf dem Gipfel eines Berges die verschwenderisch erleuchteten Terrassen und Gartenhallen des königlichen Palastes, wo Roxane wohnte.
Unmutig lagen oder standen die übrigen Makedonier herum. Die für diese Nacht vom Wachedienst befreit waren, sannen auf Mittel, in die Stadt zu gelangen. Die Weinmischer hatten nichts zu tun. Die Kette des Dienstes schleppte sich noch schwerer, wenn die Begierden durch den Wein beflügelt wurden.
Rings im Halbkreis gepflanzt, standen hohe Zypressen. Einige Soldaten waren am Stamm emporgeklettert und kauerten und hingen oben unbequem und peinvoll und spähten hinüber in das nahe Land ihrer Träume.
Charippos, ein junger Tetrarch, von Perdikkas zum Befehlshaber der Wache ernannt, ging einsam auf dem Wall auf und ab. Er war vielleicht der einzige, dessen Gedanken nicht der Wollust Babylons entgegenflogen, ihn erfüllte nichts als Ehrgeiz.
Sohn eines Makedoniers und einer Phrygierin,