sagte ferner, die Nachforschungen um den geraubten Leichnam sollten sogleich beginnen und insgeheim betrieben werden. Indessen gebot er, den Körper des Charippos zu entkleiden, zu waschen, zu salben und ihn einstweilen in den erbrochenen Sarg Hephästions zu legen. Am Abend sollte der Sarg, in den fertiggestellten goldenen Sarkophag eingeschlossen, zum Tempel des Serapis gebracht werden.
Den Soldaten lief es kalt über den Rücken. Sie fanden etwas Grausiges in der Vorstellung, daß der unscheinbare Charippos im Tode das herrliche Haus beziehen solle, das durch die Trauer Alexanders gefeit und geheiligt war. Doch am Gehorsam hing ihr Leben, jeder begriff, daß ein Augenblick des Zauderns alle zugrunde richten würde, und tief in ihrer Brust befestigten sie noch einmal den Entschluß ehernen Stillschweigens.
Während einige Söldner die Leiche davontrugen, drängte sich ein Mensch in den dichtstehenden Kreis, dessen Nahen in der allgemeinen Erregung nicht bemerkt worden war. Die ersten, die ihn als Fremden erkannten, hielten ihn fest. Es war Arrhidäos. Er fragte nach Charippos, man antwortete ihm nicht. Die Söldner suchten ihn vom Vordringen abzuhalten, denn das Blut des Gerichteten floß noch über die Erde, wo er gelegen war.
Ärrhidäos ahnte Böses. Er wollte sich losreißen. Da kam Perdikkas auf die bewegte Gruppe zu. Mit finsterer Miene wandte er sich an Arrhidäos und sagte scharf: »Du suchst Charippos? Er hat soeben den Tod eines Verräters erlitten. Sein Körper liegt im Wasser des Kanals.«
Arrhidäos’ Augen erweiterten sich und verloren ihren Glanz. Er schlug die Hände zusammen und sein Kopf fiel gegen die Brust. Ihm war, als ob das Geschick nun wieder eine Brücke in Trümmer geschlagen hätte, die zur Erfüllung seiner Träume führte. Nicht so sehr das Ereignis selbst verwundete sein Herz, als die Tücke, mit der es die Stunde gewählt hatte. Mir wird kein Glück, fuhr es ihm durch den Kopf. Wie ein Knabe stand er vor Perdikkas und den Söldnern, fühlte nicht ihre unruhigen, verächtlichen Blicke, wagte nicht zu fragen, nicht aufzublicken. Er betrauerte nicht Charippos, sondern den Freund, den ihm das Schicksal ein für allemal versagte.
Perdikkas beobachtete den jagenden Wechsel des Ausdrucks in Arrhidäos’ Gesicht. Seltsam, manches in diesen Zügen erinnerte ihn plötzlich auffallend an Alexander. Er lächelte düster.
Zehntes Kapitel.
Der Dämon diademgeschmückt
Jählings überfällt die kalte Regenzeit das babylonische Land. Hinter endlosen Wolkentüchern liegt unsichtbar die Sonne, nur beim Untergang rötet sie den Saum, der Himmel und Erde scheidet. Ungeheure Schwärme wilder Enten ziehen nach Norden, der Euphrat verwandelt sein sanftes Grün in tückisches Gelb, die Kanäle schwellen gegen ihre Dämme empor, und die Herden, die sommersüber in den Grasflächen des oberen Stromlandes geweidet, werden in die Stadt getrieben.
Alexander irrte Tag und Nacht mit wenigen kleinen Booten durch die Sümpfe und übernachtete an ihren öden Ufern. Oft gelangte er an den Fuß der Mauern und lauschte den langgezogenen Signalrufen der Zinnenwächter. Botschaften über Botschaften kamen aus der Stadt, die Baumeister, die Schiffsbauer, die Gesandten, die Führer suchten ihn – er floh jede Rede, jedes Gesicht. Ihn selbst erstaunte sein Zögern, das unselige Verweilen, das dem Tasten eines im Finstern Verirrten glich. Hin und her ging die Fahrt, von den Sümpfen in die Kanäle, von den Kanälen in die Sümpfe. Das Lagern und Zeltaufstellen im durchweichten Boden wurde immer beschwerlicher, aus der kleinen Anzahl seiner Begleiter erkrankten einige und starben einen schweren Tod, das Ohr gefüllt mit dem Tosen der Stürme, während der Regen ihre noch warmen Glieder näßte.
In solch einer stürmischen Nacht, wo der Wind den Regen wie Peitschenschnüre an die Wand des Zeltes hieb, hatte Alexander einen Traum. Er träumte, er säße nackend auf dem Thron, da kamen vier junge Adler und trugen ihn weit in die Lüfte empor und weit fort in eine unermeßliche Ebene. Und plötzlich war alles voll von Adlern, vom Himmel flogen sie herab, den Schlünden der Erde entstiegen sie und jeder einzelne trug einen abgerissenen blutigen Menschenkopf zwischen den Fängen. Ihre blitzenden Augen glichen Millionen Funken, wie eine fürchterliche schwarze Wolke näherten sie sich, und auf einmal rauschte ein Wesen daher, das ganz unsichtbar war bis auf ein schrecklich geöffnetes Maul. Alexander fühlte seinen Körper ergriffen und durch den Sand geschleift, der ihn mit nadelgleichen Stichen verletzte, und ein Mann stand am Weg, der still und friedlich aus einem Sykomorenstamm breite Bretter sägte. Der Anblick dieses Menschen nun war aus irgendeinem unbegreiflichen Grund so fürchterlich, daß Alexander in ein langes Geschrei ausbrach, und nicht nur er selbst erwachte davon, sondern auch alle Leute in den benachbarten Zelten. Sie stürzten herein. Schweißbedeckt, zitternd saß er aufrecht und stierte mit verloschenen Augen vor sich hin.
Als er in der Abendstunde auf dem Wasser weilte, kam ein Boot gefahren, in dem ein phrygischer Hauptmann mit seinen Sklaven saß. Er kam aus dem Königspalast in Babylon und brachte wenige Zeilen von Roxanes Hand – eine Frage, einen Seufzer, einen schüchternen Vorwurf. Alexander las. In tiefem Besinnen schaute er über die ungekräuselte Fläche des Wassers.
Er gedachte einer Vergangenheit, die entrückt schien wie das tausendste Jahr. Der sogdianische Felsen, in den sagenvollen Wolkenhimmel Baktriens getaucht; rauschende Urwälder an unbekannten Strömen; in einem Märchengewand Roxane, ein Gebild aus dem goldnen Mondschein ihrer Berge, so schön, daß die Natur, die sie hervorgebracht, neidvoll zu erschauern und dieser Gestalt aus Fleisch und Bein das verliehene Leben zu mißgönnen schien. Er hatte sie ergriffen, wie er damals alles ergriff und an sich preßte: Länder und Meere und die unbekannte Zukunft. Ein Liebestraum! ein Glück von vierzig Tagen, ein Traum von vierzig Nächten! Er hatte seine Pläne vergessen, das wartende Heer, die Gesichter und Namen seiner Freunde. Ein Garten war die Welt gewesen, an dessen Pforten die Stürme sich niederlegten und das Schicksal vorüberging …
Mitten in der Nacht zog Alexander mit seinen Begleitern durch das Ischtartor in die löwengeschmückte Prozessionsstraße, und es öffnete sich ihm der lichterflammende Palast der Könige Babylons.
Wenige Tage später kam Meleager von seinem Zug gegen die Kossäer zurück. Er hatte das aufrührerische Volk in zwei Schlachten völlig vernichtet. Er hatte dabei nur sechshundert Leute verloren und ihm selbst war die linke Hand abgeschlagen worden. Freudig kam der Siegreiche nach Babylon, der Anerkennung seines Herrn gewärtig. Doch sonderbar, Alexander weigerte sich, ihn zu sehen und mit ihm zu sprechen. Und nicht nur das, er überschickte ihm den demütigenden Befehl, eine Horde von Sträflingen auf die Insel Rosala im Persischen Meer zu bringen.
Meleager war verzweifelt und wollte sich töten. Seine Freunde versammelten sich und hielten Rat; wenn das der Lohn der Treuesten war, dann war die ganze Zukunft auf Wasser gebaut. Perdikkas erbot sich noch einmal mit Alexander zu reden. Eumenes warnte umsonst. »Hephästions Schatten steht vor Meleager,« sagte der Seelenkundige. Aber Perdikkas ging dennoch.
Ihn erschreckte ein Ausbruch wildesten Zorns, als er mit seiner Bitte fertig war. »Habt ihr schon verlernt zu gehorchen?« schrie Alexander. »Sind meine Befehle die eines Wahnsinnigen, daß jeder kommen darf, sie ungeschehen zu machen? Soll ich geleistete Dienste nach euern Ansprüchen oder nach meinem Ermessen belohnen?«
Perdikkas schwieg. Draußen tobte ein Morgengewitter, der Sturmwind heulte um das Dach des langgestreckten Saals. Die goldgelben Figuren auf dem himmelblauen Grunde der Wand leuchteten auf in den Strahlen der Blitze, und es erglühten die Edelsteine, mit denen das Holzwerk der Türen verziert war.
Auf einmal wurde das Gesicht Alexanders starr. Er hatte sich erhoben und der schweifende Blick der entflammten Augen war durch ein Unerklärliches festgehalten worden. Er gewahrte mitten unter den vielen Gesichtern eines, das ihm sein eigenes zu sein schien, nur in einer grauenhaften und widerlichen Verzerrung. Ja, es war seine eigene Stirn, nur daß sie von der lebendigen Kraft der Tat verlassen war; sein eigenes Auge, nur müde von Träumereien, sein Mund, aber auseinandergezogen und unentschieden durch Trägheit des Gefühls.
Mit fieberhafter Gebärde packte Alexander einen der schönen Knaben am Arm,