zusammentraten, und daß im Schoß des erbarmenden Weibes der Keim sich löste und hinausfloß in den Raum der belebten Geschöpfe, der in allen früheren Stunden der bloßen Sinnenlust unberührt im Nichts verblieben war.
Der Mond stand rein am stahlblauen Himmel, als Alexander wieder einsam auf der Mauerbrüstung des Palastes gegen die hängenden Gärten schritt. Die schwarzen Gebäudeblöcke zur Rechten schienen in Schlaf versunken. Zur Linken in der Tiefe schimmerte das Wasser des Königskanals. Allmählich traten die Mauern rechts zurück, und ein Wald dunkler Zypressen trat an ihre Stelle. Bei einer Wendung des Wegs lag das ganze Babylon zu den Füßen Alexanders. Es blitzten die Wasser im grünlichen Licht, weit hinaus flimmerten Lichter, eilten auf und ab wie vom Wind getragen, wie von unsichtbaren Armen entführt. In den Gärten und auf den Feldstücken brannten die Feuer der Soldaten gelbrot wie Roxanes Haar in der Dämmerung ihres Gemachs. Alexander blickte über die unzähligen Dächer, aus denen hier und dort ein Sternenturm aufstieg. Er sah die Tempel ruhig im leuchtenden Mondnebel liegen und die Götter wohnten darin, Amu und Nebo, Ischtar und Ea, Schamasch und Dibbara, Anahita und Zirpanitu, Astarte und Moloch: Götter im Kampf gegen Götter, und daneben atemlos lauschend die Nationen, halbgläubig und unentschieden.
Eine Eidechse schlüpfte vorbei, eine Kröte schnellte auf. Trotz der Kühle der Nacht hatte Alexander Begierde nach einem Bad. Er kam in die Parkanlagen, die sich bis ans Euphratufer hinunterdehnten. Zwanzig gewaltige Steinwände trugen diesen Wald von Pinien, Zedern, Palmen, Granatbäumen, Zypressen, Akazien, Lorbeer, Ulmen, Oliven und Pappeln. In den offenen breitschaligen Betten der Leitungen sauste das Wasser grünschäumend von Terrasse zu Terrasse. Die mächtigen Marmor-und Alabasterstufen, die in verschlungener Ordnung zur Tiefe hinabführten, leuchteten glühend im Mond. Aus silbernen Brunnenrohren rann das Wasser friedlich in löwengestützte Steinbecken. Mit Wein und Efeu waren die farbigen Mauern bewachsen, schmeichelnde Vogelstimmen drangen von überallher, der Geruch der kleinen Kamille erfüllte bei dem geringsten Windhauch die Luft mit Süßigkeit. Zauberhaft sahen die Säulen aus, die die Mauern stützten, es war eine Bewegung in den regen Lichtern und mystischen Schatten, die alle toten Dinge lebendig machte.
Alexander schritt die helle Terrasse hinab, und hinter den Wipfeln der Zedern tauchte die Fassade des Palastes empor, sie schien von selbst höher zu werden, und die vielgliedrige Mauer mit ihren vergoldeten Zinnen und Türmchen ähnelte der schimmernden Wand eines Gletschers hoch in den Gebirgen Armeniens.
Mitten in der tiefsten Stille, rings von dichten Lorbeerbüschen umgeben, lag ein Wasserbecken. Fünf Schwäne schwammen mit phantastischer Lautlosigkeit auf dem Spiegel. An der schmalen Krümmung des Teiches stand ein Throngestühl aus schwarzem Marmor, rechts und links zwei junge Lärchenbäumchen wie Wächter. Alexander entkleidete sich. Er nahm den Waffenrock ab und das Kleid, schnürte die Schuhriemen auf und legte alles samt dem Schwert auf den Marmorstuhl. Zuletzt band er das Diadem ab und legte es ebenfalls dorthin, über den Knauf des Schwerts. Völlig nackt, schritt er langsam über die weißen Platten zum Wasser, und langsam, nicht ohne einen Kälteschauder, stieg er hinein.
Es war, als ob das Element nur unwillig seinem Körper wiche, es war als schliefe es. Die schwachen Wellen, die sich erhoben, glitzerten in den Mondstrahlen wie jene Silberstickerei in der Sänfte, als er vom Gastmahl der Babylonier aufgebrochen war.
Die Schwäne flohen in weitem Bogen geräuschlos auseinander. Ihr werdet leben, fuhr es Alexander durch den Kopf. Du wirst leben, sprach er zum Wasser. Der Himmel wird sich wölben, Jahrhunderte, Jahrtausende lang. Der Mond wird sein Angesicht immer wieder herniederbeugen, die Bäume werden ihre Zweige dehnen und Ring auf Ring ansetzen, millionenmal wird es Tag und Nacht werden, und Tier und Mensch und Gras und Stein und Luft und Feuer, alles ist mit Leben begabt, nur ich allein, – werde ich sterben?
Das Wasser reichte ihm schon bis zur Brust. Die wiedergewachsene Lockenfülle wurde naß. Von unten, von der Stadt her, wurde ein Gesang vernehmbar, dumpf und schwer, fern und traurig gleich dem Linosgesang, mit dem der Grieche die hingegangene Blüte des Jahres beklagt. Es war Babylon, das im Schlummer sprach. Eine rötliche Lohe schlug empor und bedeckte den untern, bräunlich glänzenden Teil des Himmels, färbte die obersten Spitzen der Pappeln. Vielleicht war es eine Feuersbrunst im Kaufmannsviertel, vielleicht vergnügten sich die Soldaten damit, die Erdpechquellen in Brand zu setzen, vielleicht hatte ein zweiter Kondanyo dort sein Flammenbett errichtet, um zu sterben
Wieder ertönte der Gesang, fern und leer. Die Lohe verblaßte. Ihr alle, die ihr singt, werdet leben, dachte Alexander. Er hob den Arm, nahm eine Handvoll Wasser und ließ es herablaufen, daß es wie eine Kette mit Geschmeide im Mondlicht glühte. Er begriff, daß es unmöglich war, dies Unerklärliche, Leben genannt, nach eigenem Willen festzuhalten, wie es unmöglich war, daß seine Finger das Wasser hielten. Keine trostvolle Möglichkeit mehr; vielleicht bevor der Sommer kam, war dieses Herz dahin. Und wozu ausgezogen, Reiche erobert, Männer gemordet, Städte gegründet, Gesetze gegeben, Könige entthront, Freunde verloren, Götter beleidigt, wozu Nächte durchwacht, Pläne gesponnen, wozu Ruhm, wozu Reichtum, wozu Schönheit, wozu Haß und wozu Liebe, warum gelacht und warum geweint, wenn alles dies so war, wie es eben war?
Ihm zerging die Welt, nach der er gestrebt, in diesem geheimnisvollen Augenblick wie dem Ixion die lebendige Gestalt in seinen Armen. Und dennoch strahlte aus dem schwarzen Schlund der Zweck-und Sinnlosigkeit wie ein Diamant das Bewußtsein von der Macht und Kraft des bloßen nackten Daseins, und jeder Atemzug war ein Bürge der Gegenwart und eine Brücke zur Zukunft …
Ein Windstoß trieb dürre Blätter auf das Wasser, darunter ein großes Palmblatt, das wie der abgebrochene Flügel eines Geiers aussah. Plötzlich kamen Sklaven mit hocherhobenen Fackeln gelaufen. Ein Aufseher der Gärten hatte den Badenden bemerkt und, vorsichtig näherschleichend, Alexander erkannt. Er stieg gerade aus dem Wasser, als die Sklaven aus dem Gebüsch traten. Von Schrecken gelähmt blieben sie stehen: auf dem marmornen Thronstuhl saß ein Mensch, der das Kleid Alexanders über sein eigenes geworfen hatte und das königliche Diadem um die Stirne trug …
Alexander selbst stieß einen gellenden Schrei aus. Vor den Stufen des Steinsessels blieb er wie angewurzelt stehen.
Es war Arrhidäos, den er sah, Arrhidäos, der das Diadem trug. Ein verträumtes und heiteres Lächeln bewegte die Lippen des Menschen, während in seinen Augen eine furchtbare, tierische Traurigkeit lag. Der zahnlückige Mund öffnete sich, und Arrhidäos sagte: »Auch ich bin Alexander.«
Elftes Kapitel.
Ein Zwiegespräch
Vergeblich hatte Arrhidäos im Palast auf Alexander gewartet. Als die Nacht einbrach, verließ er den prunkvollen Raum, wohin ihn die Sklaven geführt hatten, irrte eine Weile herum, ohne einen Ausgang zu finden und kam endlich in die Gärten. Es war ihm zumut, als wandle er in einer wohlriechenden Wolke; in der wunderlichsten Weise verlor er die Erinnerung an sich selbst, und das Unstete seines Wesens machte einer süßen Ruhe Platz. Er fühlte sich als Herrn des Palastes, ihm gehörten die Gärten, ihm das kauernde Babylon. So sehr vergaß er die Wirklichkeit, daß er über die Befehle nachdachte, die er bei der Rückkehr in den Palast den wartenden Führern geben würde. Ein berauschendes Königsgefühl durchströmte ihn, als er über den Wall und hinunterschaute auf den Euphrat und die Tausende von Arbeitern am Werk sah, die das Bett des Stromes verbreitern mußten. Da wurden Sandwagen geschoben, Ziegel gebrannt, Asphalt geschmolzen, Bretter gesägt, Eisen geglüht und geschmiedet, da knisterten die Feuer, sangen die Zimmerleute zum Schlag der Äxte, brüllten die Aufseher durch ihre Sprachrohre in die Nacht. Er ging weiter zwischen den Hecken und Büschen durch die Baumalleen und über die geschmückten Wege, und sein Schritt wurde immer leichter, seine Bewegungen fürstlicher. Der Zufall führte ihn ans Ufer des Wasserbeckens, wo Alexander badete, und vor den steinernen Sessel, wo das königliche Kleid und Diadem lagen. Lächelnd band er das Diadem um die Stirn und warf den purpurnen Mantel um die Schultern, ohne Zaghaftigkeit, ohne Verwunderung. Er setzte sich auf das Throngestühl. Eine tiefe musikalische Stille erfüllte seinen ganzen Organismus, und glückselig lauschte er in sich selbst hinein. Als Alexander nackt vor ihm stand, erkannte