»Du Sohn einer Hure, einer gichtbrüchigen Hure!«
»Du bist verraten, Alexander.«
»Ich wäre verraten? wer hätte mich verraten?«
»Ja wer hätte dich verraten? Wer hätte dich nicht verraten!«
»Fort mit dir, fort!« schrie Alexander.
»O Alexander, mächtigster Mensch auf Erden!«
»Schmeichelst du nun?«
»Du verlassenster Mensch, Alexander. Kein Herz schlägt für dich, alle zittern nur für dich. Allein stehst du der Finsternis gegenüber. Ich kenne deine Qual.«
»Fort! fort! fort!« schrie Alexander außer sich.
»Warum hast du mir das Diadem von den Haaren gerissen, mein Bruder? Warum hast du mich blutig schlagen lassen? Erkenne mich doch. Sieh mich an. Dir bangt nach mir. Dir bangt nach dem Menschen. Sieh mich an, auch ich bin Alexander.«
Sie standen auf der letzten Terrasse des Baues. Riesenhafte Sirenen waren hier aufgestellt, und in ihrem hohlen Innern waren die Sänger verborgen, die jetzt das Totenlied sangen. Es waren schwirrende, helle, langgezogene Töne, als ob weit draußen in der Ebene eherne Glocken angeschlagen würden. Dann schwoll es an, die Stimmen wurden tiefer, sammelten sich zum Chor, flossen wieder auseinander, als suchte jede einzelne trostlos irrend ein Ziel zu erreichen, setzten aufs neue gemeinsam ein, brachen in einem klagenden Schrei wieder ab, um endlich den ganzen Schmerz zu finden, den die Gesichte des Todes den Lebendigen einflößen. Die Babylonier drüben auf den Wällen und Mauern verhüllten ihr Haupt.
An einer eisernen Klammer in der Mitte war durch einen Strick ein Adler festgebunden. Mit blitzenden Augen und ausgebreiteten Flügeln erhob sich das Tier und flog, so weit es die Fessel erlaubte, gegen Arrhidäos zu, der einen Jubelruf ausstieß. Alexander, besinnungslos vor Wut, schwang die Fackel und warf sie gegen das Gesicht des Menschen. Sie fiel nieder, und Arrhidäos war verschwunden, wie vom Boden eingeschluckt. Aus der Tiefe schallte ein dumpfes Gelächter.
Über dem Stufenturm des Rammantempels funkelte der erste Stern wie ein vom Schlaf erwachtes Auge.
Alexander blickte sinnverwirrt hinaus ins Weite. Sein Körper wurde innen und außen von einer eisigen Kälte überzogen. Sein Gesicht wurde fahl. Das ungeheuer Wahre, das unleugbar Selbstverständliche des Lebens durchdrang und erschütterte sein Gemüt wie niemals vorher eine Empfindung. Zugleich war es ihm, als ob seine Seele von den Schauern des Körpers mitergriffen wäre und sich aus ihrem Haus zu befreien strebte wie dort der Adler, der an seinem Strick zerrte und verzweifelt mit den Flügeln schlug.
Er ging hinab und gebot, das Feuer zu entzünden. Die Sänger verließen den Bauch der Sirenen und bald darauf schlug eine schmale lanzengerade Feuersäule durch alle fünf Stockwerke empor. Die trockenen Balken krachten, in allen Winkeln des riesigen Baues knisterte, surrte, sauste, knatterte es, und oft klang es wie die lustigen Stimmen von Zechern und oft wie Hilferufe von Kinderstimmen. Höher kochte die Flamme. Die goldnen Schiffsschnäbel bogen sich, die Ruderknechte und Geharnischten aus Silber sanken wie sterbend zusammen, die gekräuselten Draperien flammten auf, ein Meer von Funken durchstob die Luft und glich einer abenteuerlichen, beweglichen Stickerei, leuchtend durch das Dunkel der Nacht zum schwarzblauen Himmel flatternd. Die zahllosen Gesichter rings schienen mit Blut überströmt, die Augen schimmerten feucht und rot.
Perdikkas wurde zu Alexander gerufen. Er ging mit bleischweren Füßen. Charippos brennt, tobte es in seinem Hirn, Charippos brennt. Ihn durchblitzte eine Ahnung der Zukunft, in der nichts anderes nötig war als, das Schwert in der steinharten Faust, alles niederzustoßen, was sich auf dem Lügenweg hindernd erhob.
Alexander hatte die Hände über das Gesicht gelegt. Er erinnerte sich nicht mehr, weshalb er nach Perdikkas verlangt hatte.
Da erscholl eine gellende Stimme aus den Flammen. Alle blickten empor. Es war der Adler. Das Feuer hatte seine Strickfessel zerrissen, und nun hob er sich mit einem häßlichen Geschrei in die Lüfte, von zwei Flammengabeln ohnmächtig verfolgt.
Der Kreis der Söldner, der Opfernden und Wachen wich vor der beständig wachsenden Hitze zurück. Der Backsteinunterbau stand in Weißglut; aus den verbrannten Spezereien in seinem Innern entwickelten sich Dämpfe von betäubendem Wohlgeruch. Glühende Fäden durchwirbelten die Luft; die Masse der nach allen Seiten spritzenden, wie aus einem Vulkan heraufgespieenen Funken blendete jedes Auge. Krachend stürzten die Balken aufeinander. Das geschmolzene Metall rann mit sausendem Geprassel durch die Flammen. Deutlich unterschied sich das dunkelströmende Gold von dem alabasterartig weißen Silber, das schwerfließende Blei von den braungelben Bächen der geschmolzenen Waffen. Die Sirenen wankten. Langgezogene Klagelaute wurden vernehmbar, die erhitzte Luft drang tönend durch die Öffnungen. Feurige Flocken flatterten wie brennende Vögel gegen das Firmament. Die Stiere, von denen immer neue Scharen zum Opfertod geführt wurden, brüllten schwermütig. Ihr unaufhörlich fließendes Blut siedete zu purpurnen Wolken auf, wenn das herabschießende Metall hineinfloß. Auf die erkaltenden Massen lauerten die Griechen, sie glaubten an eine Mischung von Blut und Gold, die in ihren Augen Zauberkraft besaß.
Der Himmel war von einem Flammenband besäumt. Schwere Rauchwolken bedeckten wie Sturm die menscherfüllten Straßen, die Speerspitzen der Söldner leuchteten wie Lampen.
Von seiner Unruhe getrieben, wollte Perdikkas noch einmal zu Alexander. Da hieß es, Alexander habe das Opfermahl nicht abgewartet, er sei plötzlich in den Palast zurückgetragen worden. Die Makedonier waren enttäuscht und erschrocken. Perdikkas wurde mit Fragen bestürmt. Er blieb stumm. Unter den halbgesenkten Lidern schaute er mit schiefem trübem Blick zu Boden und machte eine Handbewegung, als ob er Fliegen von sich abwehre.
Ein Krach ertönte. Die zwei obersten brennenden Stockwerke stürzten in das Innere des Flammenschlundes. Feurige Scheite flogen im ganzen Umkreis nieder. Ein Soldat rannte schreiend mit brennendem Gewand, eine lebendige Fackel, auf und ab.
Zwölftes Kapitel.
Der Ring
Alexander schlief. Sein Gesicht war weiß wie Wasserschaum. Bald zog es ihn tiefer herab in den Bereich des Schlafes und Traumes, bald riß es ihn wieder hinauf an die Grenze des Wachens. Der Anblick selbst des unheimlichsten Bildes wäre Trost gewesen im Vergleich mit dieser dunklen Qual. Er schlug die Augen auf. Ringsum standen die Freunde. Er sah farblose Gesichter, undeutlich durch den vorübergleitenden Nebel des Schlafes. Er spürte die Beängstigung dieser Menschen. Niemals war er bei einem Gelage eingeschlafen. Kopf an Kopf standen sie gedrängt und waren so still, daß man das Gurren der Tauben vernahm, die auf den Gesimsen der offenen Bögen saßen.
Wie in unermeßlicher Ferne sah Alexander im Säulengang die vorbeigehenden Sklaven; sie trugen gebratene Lämmer, lange Stöcke, an denen gebackene Heuschrecken aufgereiht waren, Töpfe voll duftender Brühe, Büschel reifer Datteln und Körbe, die mit Birnen, Granatäpfeln und Weintrauben gefüllt waren. Die Baumzweige rauschten in ihren Händen, mit denen sie die Insekten abhielten.
Mechanisch griff Alexander an den Nacken, an dem er eine herabziehende Schwere spürte. Er wollte sich erheben, da fühlte er einen so durchbohrenden, unerträglichen Schmerz, als hätte ihn eine Lanze mit aller Gewalt in den Rücken getroffen.
Er schrie laut und lang. Vor seinen Augen wurde es von neuem Nacht, er tastete und schlürfte mit den Füßen auf der Erde herum. Eumenes war mit einem Sprung bei ihm, zwei, drei andere packten ihn ebenfalls, unter der Wandelhalle stürzten die Eunuchen in die Knie und klatschten wehklagend auf ihre Brüste.
Es wurde Abend. Kalte Luft wehte von den Gärten herein. Der graue Kiebitz schrie. Eumenes, Perdikkas und Seleukos führten Alexander in das Schlafgemach, wo sie ihn entkleideten und hinbetteten. Er lag und lag und wälzte sich umher. Er warf die Kissen fort und verlangte sie wieder. Er rief die Wachen, die Ärzte herein und trieb sie, angewidert von ihren ängstlichen, fragenden Gesichtern,