und diktierte einen Blutbefehl gegen sämtliche Chaldäer, und als er Namen und Siegel darunter gesetzt hatte, zerriß er ihn wieder. Um Mitternacht nahm er ein Bad. Frierend stieg er in das laue Wasser, fiebernd verließ er es. Dann saß ein Knabe an seinem Lager, der ihm vorlesen sollte. Anstatt zuzuhören, starrte er in das Gesicht des Jünglings, und es war ihm, als sehe er die Flamme des Lebens darin zucken, als töne der melodische Gesang des Lebens aus dem sprechenden Mund. Er legte die Hand auf den Kopf des Knaben und wühlte mit den Fingern in den Lockenhaaren, liebkosend, liebesuchend. Die rechte Hand drückte er auf die Brust, und die großaufgerissenen Augen hatten einen Ausdruck jammervoller Furcht. In einem Kerker glaubte er zu sein, dessen Wände sich langsam um ihn verengerten und niemand hörte seine Rufe, die ganze Welt war still. Er sprang auf und ging umher und murmelte vor sich hin und trat hinaus in die Halle und sah am Himmel den Mond, dessen untergehendes Viertel wie eine goldene Barke in die Weltenruhe hinabschwamm.
Und der Tag kam, einer von denen, wie sie nur dort am Euphrat erscheinen; die Wolken hängen unbeweglicher als Blei unter dem schwülen Himmel, die Vögel wagen nicht mehr zu fliegen und zu singen, die Bäume regen kein Blatt, alle Wasser sind schwarz wie Pech und glatt wie Seide, in einem Zustand zwischen Schlaf und Wachen liegen schweratmend die Menschen in ihren Häusern, ahnungsvoll erwarten sie das Ungeheure: plötzlich tost der Wirbelwind aus den Wüsten Arabiens her, die Lüfte heulen, die Bäume brechen wie Hölzchen, Flüsse und Kanäle schäumen, das Firmament scheint sich vor Qual zu winden, die Natur ist in ihren Tiefen aufgestört.
Er ging an den Wachen vorbei über die Steinfließen. Seine Füße waren bloß; er trug ein Nachtgewand aus blauer sogdianischer Seide. Er ging wie im Traum. Es war, als riefe ihn eine Stimme und er wisse nicht woher. Er kam zum Saal der grünen Schlange, wo die Statue Hephästions aufgestellt war. Sie stand in der Mitte des Raumes, rötlich überhaucht vom Frühlicht.
Der nackte Marmorkörper war von der Schlankheit eines jungen Baumes. Der rechte Fuß war etwas erhoben, und die Ferse berührte einen rückwärts angelehnten Schild. Der linke Unterarm war in den Nacken gelegt und die dadurch entstehende Spannung über der Brust gab einen überwältigenden Eindruck ruhiger Kraft. Das emporgerichtete Gesicht war von einer verwunderungsvollen Freudigkeit erfüllt, wie wenn ein Wanderer den besten Weg soeben erkannt hat. Eine leise sinnliche Schwärmerei lag um die Lippen, etwas wie tiefe Befriedigung über den Anblick der Dinge oder Entzücken über den Wohlgeruch von Blumen. Die Augen hatten eine erstaunliche Wahrheit des Lebens, eine hinreißende Macht der Phantasie.
Aber Alexander erschien es wie eine Lüge. Ihm graute vor dieser Schönheit, vor diesem Frieden, vor dieser Freude. Lüge das strahlende Auge, denn die Zeit wird es brechen. Lüge der schreitende Fuß, denn der Tod wird ihn erstarren machen, Lüge die von Hoffnungen geschwellte Brust, denn im Grab muß sie verfaulen oder im Feuer versengen, Lüge der kündende Geist auf der Stirn, denn er hat nichts zu sagen, er weiß keine Rettung, er kann die Kerkertür nicht öffnen, er hat keinen Trost, der Anfang ist ihm verborgen, das Ende bedenkt er nicht. Nur eine grinsende Fratze starrte Alexander statt der Marmorschönheit entgegen.
Er ließ sich in die Gärten tragen. Er versuchte zu gehen, doch taumelnd fiel er den Ärzten in die Arme. Man gab ihm Sylphions-Saft zu trinken und rieb seine Brust mit Salben ein. Dann trugen sie ihn in den Platanenwald, aber zu dunkel war der Schatten, zu feierlich das Schweigen, und Alexander drängte fort. Zwischen Azaleengebüsch trat eine Gazelle heraus und schaute feuchtäugig herüber.
Alexander schob die Decken von seinem Körper und warf sie zur Erde. Seine Haut war über und über naß. Man legte ihm ein in kaltes Wasser getauchtes Tuch um die Schläfen und machte zur Kühlung des Herzens einen Umschlag aus Kalbsgalle und Vogelgalle. Und seiner rasenden Unruhe gehorchend, trugen sie ihn von Terrasse zu Terrasse, an den Wohnungen der heiligen Schlangen vorbei, an den Opferaltären vorüber. Es wurde Nacht. Die Dämonenbeschwörer drängten sich heran. Alexander wollte opfern. Eumenes hielt das Becken und bemerkte, wie Alexanders Hände zitterten, als er sie ins Wasser tauchte. Da stürzte er auf die Kniee und verbarg sein Gesicht in den Falten der Lagerdecke. Er schluchzte laut.
Unwillig und verwundert stieß ihn Alexander weg. Eumenes erhob sich. Sein sonst so fester Blick war wie entzweigebrochen. Er bat, sich entfernen zu dürfen und ging in den Hof des Palastes, wo trotz der abendlichen Stunde die Führer versammelt waren. Es wehte ein schwüler sturmartiger Wind, der den Staub hoch emporwirbelte. Von der Straße her vernahm man die Gesänge der Priester. Das Feuer in den Pechpfannen loderte schräg gegen die Mauern, und die gewaltigen Flügelstiere unter der Pforte, deren Menschengesichter in unerforschlicher Bosheit leuchteten, waren von einem Kranz schwarzen Rauches umhüllt.
Die meisten Makedonier waren nicht imstande zu sprechen. Einige lagen regungslos auf Marmorbänken, das Gesicht nach unten. Die Führer der Edelscharen standen schweigend beisammen und blickten in die von wenigen Fackeln erhellte Torhalle. Von Zeit zu Zeit wurden Sklaven in den Palast geschickt oder einer der Hauptleute ging selbst. Es hieß, Alexander schlafe und habe mit Appetit gegessen. Eine Stunde später klangen die Berichte nicht mehr so harmlos. Vor den Mauern des Palastes sammelten sich die Söldner.
Unter einem schmalen Säulengang wanderten Perdikkas und Eumenes auf und ab. Ihre sorgenvollen Worte waren wie Gewürm, das aus unterirdischen Höhlungen kriecht, so scheu, so vorsichtig, so geschickt, sich nicht zu verraten. »Den Fall gesetzt, daß das Unheilvollste geschieht,« so drückte sich Perdikkas aus, »wer soll das Diadem tragen?«
»Roxane ist schwanger,« murmelte Eumenes.
Perdikkas zuckte die Achseln. Noch vor Mitternacht wußte er Andere in seine Besorgnisse zu ziehen. Es war notwendig zu handeln. Sie kamen überein, Alexander zu bitten, daß er die Nachfolge bestimmen solle. Perdikkas, Eumenes und Seleukos wurden mit der schwierigen Sendung betraut.
Als der Morgen kam, ließen sie sich durch den Obersten der Wachen anmelden. Dieser ging, als er zurückkam, riet er zu warten; Alexander liege zwar mit offenen Augen, doch sehe er nicht und höre er nicht.
Erregt ging Perdikkas auf und ab. Eumenes blickte mit verschränkten Armen vor sich nieder. Wie ein Gifthauch der Feindseligkeit wehte es um die drei.
»Ich gehe allein,« entschied Perdikkas endlich, indem er mit einem Ruck stehen blieb und die Hände um den Schwertknauf klammerte. »Was zu sagen ist, kann einer am besten sagen. Du, Eumenes, bist Grieche, stehst unsern Angelegenheiten fern, Seleukos ist ohnehin kein Redner. Ich allein muß gehen.«
Er warf den Kopf zurück, und seine Backen vibrierten krampfhaft. Das bräunliche Gesicht sah aus, als ob es mitten im Wahnsinn erstarrt wäre. Er ging.
Eumenes hinderte den entrüsteten Seleukos, Perdikkas zu folgen. »Es nützt nichts,« knirschte er, »in dieser Stunde ist unser Untergang beschlossen. Perdikkas wird den Fuß auf Alexanders Leiche setzen, um Platz für sich zu schaffen. Aber er vergißt, daß dort wo Alexander stand nur noch Raum für den Tod ist.«
Als Perdikkas in das Schlafgemach trat, lag Alexander auf dem Rücken und seine Augen waren weit geöffnet. Scharf hob sich das weiße Gesicht von den dunkelhängenden Haaren ab. Der Mund schien unhörbare Worte zu reden. Ich lasse dich nicht, schien er zu sagen, ich lasse dich nicht; gib mir den Becher leer zu trinken, den du vollgefüllt hast, denn ich lasse dich nicht; eröffne dich mir, unnennbares Wesen, unbekannter Gott, ich lasse dich nicht.
Das Gemach glich dem Innern eines Würfels; in einem Rundnischenausbau war Alexanders Lager. Der Fußboden war von einem fünffingerdicken, blutroten Teppich bedeckt. Auf einem mit Edelsteinen eingelegten Marmortisch neben dem Bett standen Arzneigefäße, eine silberne Platte mit frischen Feigen und Astragalen zum Spiel.
Perdikkas trat näher. Das Geräusch der Schritte wurde vom Teppich aufgesaugt. »Du weißt, Alexander,« begann er leise mit seiner metallischen Stimme, »wie wir dich alle lieben, mehr als Söhne einen Vater lieben können. Aber die Sorge um dich macht uns verzagt. Raube wenigstens einem einzigen unserer bösen Träume Nahrung und Kraft, Alexander. Ewige Dauer ist dir ja nicht beschieden, deine Mutter ist sterblich geboren. Alle, die für dein Leben zittern, reden durch mich. In ihrem Namen steh ich hier und frage dich, wer nach dir befehlen soll.«
Es schien, als habe Alexander nichts gehört,