vor dem Thron. Er riß sein Gewand vom Leib und verfluchte Alexander und sein Geschlecht.
Er wurde den Löwen im königlichen Palast zum Fraß hingeworfen. Die übrigen wurden in Ketten gelegt und in eiserne Käfige gefangen gesetzt, die sich im Tore Beltis neben der großen Halle befanden. In Schmutz und Unrat kauernd, verbrachten sie Tag und Nacht mit glühenden Gebeten, das Gesicht gegen Westen, gegen Jerusalem gewendet, eine kleine Stadt in Syrien, wo ihr heiliger Tempel stand.
Am nächsten Sabbat weigerten sich alle Hebräer, die Arbeit aufzunehmen. Die Aufseher schlugen mit Peitschen und Knütteln auf sie los; man hetzte die wilden baktrischen Hunde auf sie; lydische Söldner rückten mit gesenkten Speeren gegen sie an – es war vergebens. Sie ließen sich schlagen, stoßen, beißen und niederstechen, und kein Klageschrei kam aus ihren dichtgedrängten Scharen. Stamenes, der Statthalter, wurde benachrichtigt und erschien auf dem Platze, und der Tumult zog mehr und mehr Leute herbei, Söldner, Krämer, Schiffer und eine Menge müßigen Gesindels. Stamenes schickte nach Alexander, der am Sonnentor war, wo ein Teil der Stadtmauer niedergerissen wurde, denn das Ziegelwerk diente zum Scheiterhaufenbau für Hephästions Totenfeier. Alexander kam.
Es war ein klarer Tag. Kalter feuchter Wind wehte. Der Boden war mit welken Blättern bedeckt, unter denen sich viele buntschillernde Pfauenfedern befanden. Alexander blickte hinunter auf das menschenüberfüllte Trümmerfeld. Dicht unter ihm, zwischen zwei verfallenen, vom Rauch der einstigen Feuersbrunst geschwärzten Mauern lagen Tote und Verwundete. Von den Bissen der Hunde zerfleischt, wälzten sie sich wimmernd in breiten Blutlachen. Ein Jüngling rannte mit weitoffenem Mund, doch ohne zu schreien, wie toll im Kreis herum. Er trug seine herausgequollenen Eingeweide in beiden Armen. Ein anderer, dem das Blut über das Gesicht lief, feuerte seine Brüder an, mutig zu dulden.
Der Statthalter hatte von unten her Alexander gesehen und lenkte sein Maultier den Hügel hinan. Voll Ekel wandte sich Alexander von ihm ab. Dieser Stamenes war ehemals schlank, groß, kräftig, schön gewesen. Jetzt war sein Körper aufgequollen und formlos, so daß er weder gehen noch ein Pferd besteigen konnte. Sein Gesicht war ein weißer Klumpen Fleisches, worin Augen und Lippen hilflos versunken waren, die Haut war mit Geschwüren überzogen und aus Ohren und Nase rann der Eiter. So hatte ihn Babylon verwandelt.
Mit dünner Stimme fragte er, was nun geschehen solle, und streckte lachend den nackten, keulenartig dicken, mit breiten Goldringen besetzten Arm hinunter. Alexander schwieg düster, doch plötzlich zuckte sein ganzer Körper heftig zusammen. Aschenfahl im Gesicht starrte er hinab. Der hebenden Hand entfiel der Zügel.
Er erblickte Arrhidäos, der unter einer Schar von Söldnern auf die wehrlosen Juden losstürmte. Er hatte das Schwert gezogen, und ein fortwährendes Geschrei kam von seinen Lippen, wodurch er sich selbst zur Tat befeuerte. Von einer sinnlosen Leidenschaft war sein Gesicht, sein ganzes Wesen verzerrt. Er gebärdete sich wie ein Kind, das durch die Empfindung seiner Grausamkeit berauscht, mit dem Stock in einem Ameisenhaufen stochert. So war es auch. Arrhidäos wollte sich stählen durch den Anblick von Blut. Sorgfältig hatte er alle Eigenschaften zergliedert, die zur Ausführung großer Taten gehören; er wollte den schwankenden Willen befestigen, die sanfteren Stimmen der Seele töten und achtete den Schmerz nicht, den ihm dies bereitete.
Wieder glaubte Alexander, in diesem hageren, zuckenden, eifervollen Gesicht mit dem halboffenen, zahnlückigen Mund sich selbst zu sehen in aberwitziger Verzerrung, als ob ein Schatten die Züge seines äußeren Wesens entlehnt hätte, um ein geheimnisvolles und trauriges Spiel zu treiben.
Mit überstürzter Hast befahl er, das Gemetzel zu beenden und den Hebräern ihr Fest zu geben.
In den Palast zurückgekehrt, schickte er Leute aus, um Arrhidäos holen zu lassen. Erst gegen Abend fand man ihn im Susaquartier inmitten einer Meute von halbverhungerten Hunden, die er, einem milden, weltfernen Hirten gleich, mit Weizenbrot fütterte. Man sagte ihm, Alexander wolle ihn sprechen. Er horchte hoch auf. Die Sklaven bewogen ihn, sich auf einen zufällig in der Nähe grasenden Esel zu setzen, damit er rascher in den Palast gelange. Und bald ritt er auf dem Rücken des Grautiers dahin, unerstaunt, mit einem leisen Lächeln verzückter Träumerei auf den Lippen.
Von unerträglicher Qual getrieben, irrte Alexander durch die Räume des Palastes. Sein erschöpftes Gefühl vermochte die Wirklichkeit nicht mehr mit ganzer Kraft zu fassen, so daß ihm all diese Hallen, Höfe, Torgänge, Turmzimmer und Gewölbe wie von einem törichten Traum erzeugt schienen. Nur mit Traumsinnen, ferner, ungreifbarer, nahm er alles wahr, kam in ein Gemach, wo eine goldene Palme war und ein Weinstock von Gold, dessen Trauben aus wunderbaren Smaragden und indischen Karfunkeln bestanden, schritt eine gelbe Treppe hinab in ein anderes Gemach mit Stühlen, Betten und Tischen aus lauterem Golde, erblickte die Wandmalereien wie wirkliches Leben: die Figur eines Weibes mit dreifacher Krone und Diener mit silbernen Kelchen und paarweise galoppierende Reiter, den Falken auf der Faust, fliehend vor geflügelten Greifen, und eine göttliche Gestalt, die sich von einem Halbmond erhob, als ob es eine Lagerstätte sei. Er kam in einen Saal, dessen Wände mit wunderlichem Schriftwerk bedeckt waren; Könige der Vergangenheit eröffneten der Nachwelt Kunde ihrer Taten und Werke – ruhmvolle und ungewöhnliche Dinge zu ihrer Zeit, doch nun verschollen und bedeutungslos. Mit Augen, die vom Schmerz desselben langen Traums erfüllt waren, ging er vorbei an Statuen aus Ebenholz und Silber und schwarzem Basalt, an reichverzierten Pilastern und Bogenfriesen, an Zedernsäulen, mit Goldschuppen beschlagen, an bronzenen Toren, die sich in männerschenkeldicken Angeln bewegten, an kostbaren Teppichen, die mit Figuren mythischer Tiere bedeckt waren, an herrlichen Geweben und Stickereien, an Opfertischen aus Gold und Elfenbein. Frierend ging er durch die mächtige Halle der Bibliothek, wie Eiseshauch wehte ihn der Geist der Zauberei und Weisheit an, der hier in Gräbern lag.
Es wurde Nacht. Alexander kam in die Höfe vor den Frauenwohnungen. Ihn drängte es einem Menschenangesicht entgegen, in Menschenaugen wollte er blicken, ruhen wollte er und vergessen und nicht denken. Die Verschnittenen warfen sich zur Erde. Junge Sklavinnen trugen Fackeln. Schwere Teppiche hoben sich, düster blitzte das Licht auf den purpurnen Wänden, noch wenige Schritte, und er stand vor Roxane …
Sie war geisterhaft schön.
Sie war schlank und hochbeinig und ihre Bewegungen hatten etwas Ungefähres, schlafend Schwermütiges wie bei edlen gefangenen Tieren. Ihr Haar, gelbrot wie Eidotter, mit Goldstaub bestreut, war nach griechischer Art in einen Knoten gesteckt, und ein Lederstreifen, mit einer Stephane verziert, war um den Kopf geschlungen. Sie hatte große, graublaue, weitgeschlitzte Augen, in denen die wartende Trauer der langen Einsamkeit lag. Sie trug eine Kette von hundertfünfundsiebzig verschiedenfarbigen Edelsteinen, die ihr Olympias als Morgengabe geschickt. Auf siebzehn lange Schnüre gereiht, hingen von den Schultern bis zu den mit goldnen Bändern geschmückten Knöcheln der Füße die riesigen, rosengleich schimmernden Perlen aus den Fischereien von Bahram über das unendlich feine Gewebe ihres Kleides.
In ihrem Wesen war etwas so Verhaltenes und Verstörtes wie bei einem Weib, das nackt vor einer Versammlung steht und dem die Scham alle Besinnung verdunkelt. Die wunderbare, alabasterglatte Stirn zitterte.
Ehedem war sie den Leuten ihres Volkes wie eine Göttin des Lachens erschienen. Ein griechischer Künstler, der zu Baktra in der Verbannung lebte, hatte eine Statue geformt, in der Roxane, den hocherhobenen Kopf von Traubenbündeln beschwert, einen Ausdruck erhabener Sorglosigkeit in den Zügen, als Genius der Freude verherrlicht war. Jetzt war ihr mattgeweintes Herz finster. Ein Leben hinter Mauern zu führen, fern von Wald und Berg, ohne Sommer und Sonne, dazu war sie nicht geschaffen. Sie fühlte sich vereinsamt und verstoßen, mit wilden Gelüsten war sie im Kampf, und alles, was in ihr gut und licht hätte werden können, war schlecht und dunkel geworden.
Alexander zog sie auf das Lager nieder. Was war geschehen? So hatte sie ihn nie erblickt. Auf seinem bläulichweißen Gesicht lag eine solche Trauer, daß sie ihn zum erstenmal als Mann und Menschen zugleich nahe fühlte. Sie begriff, daß er nicht sprechen konnte, und als sein Blick sie berührte, so lebensuchend, so fest, so starr, so flammend und so dunkel, daß die Lippen, die sie ihm entgegenhielt, sich vor Schrecken mechanisch schlossen, da wußte sie, daß in seinem Innern etwas Furchtbares vorging, und sie ergab sich und vergaß ihr eigenes Leiden. Niemals hatte sie die Größe seiner Natur so empfunden wie in dieser Stunde