Jakob Wassermann

Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann


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von perlengroßen Schweißtropfen war, und sank wie vernichtet auf den Sitz zurück.

      Was war das?

      Als die notwendigen Geschäfte erledigt waren, ließ er Arrhidäos Namen rufen. Doch jener hatte den Saal schon verlassen. Perdikkas machte sich anheischig, ihm Botschaft zu überbringen; er habe ihm Wohnung im alten Palast auf der andern Stadtseite angewiesen.

      »Von der Straße habe ich ihn aufgelesen,« sagte Perdikkas, »es ist gut ihn zu beaufsichtigen, schließlich ist er doch der Sohn Philipps. Er leidet an wirren Einbildungen, schreit nachts im Schlaf, ist bald verdüstert, bald übermäßig lustig und spielt sehr gut die Flöte. Niemand kann aus ihm klug werden.«

      »Der Sohn Philipps,« wiederholte Alexander kopfnickend mit bösem Lächeln und schloß die Augen. »Wenn ein Löwe und eine Äffin das Lager teilen,« fuhr er fort, »dann entsteht eine Lüge der Natur. Man gebe dem Menschen Geld, so viel er braucht, und Sklaven, so viel er verlangt. Den Anteil an seinem Blut will ich bezahlen; er kann nicht teuer sein, und wenn jeder Tropfen eine Satrapie kosten würde.«

      Alexander verließ den Saal durch einen Seitenausgang. Auf den Treppen, Terrassen, in den Hallen, Sälen, Höfen und Vorgemächern herrschte unaufhörliches Hasten, Drängen, Fragen, Rufen, Kommen und Gehen. Da waren Hauptleute, Gesandte, Eilboten, Bettler und Bittsteller; da spazierten kostbar geschmückte Dirnen lächelnd auf und ab, warteten vornehme Babylonier mit unerschütterlicher Geduld, bis sie den Palastobersten sprechen konnten, rannten Sklaven hin und her, lehnten hohlgesichtige Eunuchen erloschenen Blicks an den Wänden, hockten Schwärme von Wahrsagern, Zeichendeutern und Traumkundigen und weissagten aus dem Flug der Schwalben, der Störche, der Wildgänse, aus den Flammen und dem Rauch der Fackeln, den Zacken der Baumblätter, den Strahlen der Diamanten, aus geometrischen Figuren, den Äderungen des Marmors, den Rissen in getünchten Mauern, dem Sichheben oder -Senken der herbstlichen Nebel, dem Zug und der Gestalt der Wolken, aus den Tönen, die eine vom Wind bewegte Ledergeisel auf kupfernen Becken hervorbringt, und aus dem kaum sichtbaren Schatten, den die Träume auf dem Gesicht zurücklassen.

      Alexander betrat ein Rundgemach und nahm von einem vergoldeten Ebenholztisch, der mit Salbflaschen, Dosen voll wohlriechender Pulver, Büchsen aus Chalcedon und Vasen aus gefärbtem Glas bedeckt war, einen Metallspiegel. Lange betrachtete er in dem unsicheren Licht seine eigenen Züge. Dann richtete sich sein Blick mechanisch auf den düster leuchtenden Kupferbelag der Türschwelle.

      O Gott, betete er verworren vor sich hin, gib mir Klarheit. Laß mich wissen, warum ich ein Anderer werden mußte. Gib mir zurück, was ich verloren habe. Wie steht es mit mir, großer Vater, bis wohin ist mein Maß gefüllt? Sei mir günstig, und ich will dir opfern wie nie ein Sterblicher geopfert hat. Denn was wäre mir dazu versagt? Willst du Menschen haben, so will ich dir Menschen opfern, hundert, zehntausend, hunderttausend, so viel du verlangst. Begnade mich, hoher Herr des Himmels.

      Die Tage liefen, liefen … Für Alexander gab es keine Rast. Es war, als peitsche er die Zeit und halte sie zugleich mit beiden Fäusten an sich, wie man ein feurig-wildes Roß hält: vorgebeugten Halses, die Stirnadern angeschwollen, den vertrockneten Mund geöffnet, die Haare schweißnaß, die Lider weit aufgerissen und den Blick mit einer der höchsten Gefahr entspringenden Festigkeit nur gerade auf das nahe Tier geheftet.

      Bei einem Gastmahl, das Nidintubel, ein vornehmer Babylonier veranstaltete, erhielt Alexander die Nachricht, daß eine Statue Hephästions, von einem samischen Bildhauer verfertigt, in Babylon angelangt sei. Alexander hatte viel getrunken. Er befahl, die Statue sofort hierher zu schaffen.

      Es geschah. Auf einem von Ochsen gezogenen Karren wurde der von seiner Holzrüstung schon befreite, nur noch in Wolle und ungegerbte Haut eingehüllte Marmor gebracht und von zwanzig äthiopischen Sklaven vorsichtig in den Saal des Gelages getragen.

      Unter dem Schweigen der Gäste näherte sich Alexander der formlosen Masse, hinter der Hephästions Bild schlummern sollte. Einige Führer eilten herbei, um mit ihren Schwertern die Hülle zu zerschneiden. Alexander hielt sie ab. Er zauderte. Mit einem verdämmerten Blick streifte er die große Versammlung, die vielen ihm zugewandten Gesichter, in denen der Ausdruck heuchlerischer Demut lag, und er bereute was er getan. Er fürchtete das Emportauchen des Marmorgesichts. Es war ihm, als zöge er die Seele aus dem Schattenbereich, und er fürchtete sich, von ihr gesehen zu werden. Er fürchtete sich.

      Da erschallte vom oberen Ende der Tafel eine jähe und schrille Stimme: »So bekränze ihn doch mit dem Diadem, Alexander, wie damals in Susa! Was zögerst du? Was dem Lebenden recht war, wird dem Toten billig sein.«

      Die lautlose Stille, die jetzt folgte, wurde noch peinlicher dadurch, daß Alexander dastand, als habe er nichts gehört. Er wußte nicht, wessen Stimme die Worte gerufen, noch begehrte er es zu wissen. Er ließ den verhüllten Marmor wieder fortbringen, begab sich an seinen Platz bei der Tafel zurück und blieb finster und in sich gekehrt.

      Sein Körper war etwas beleibter geworden, besonders der Hals war auffallend verdickt. Der dunkelschmachtende Blick war derselbe geblieben, solange er ruhig saß oder lag; doch bei der geringsten Bewegung, beim Gehen, bei jedem Wort, das er sprach, flammte es schwül auf hinter den langbewimperten Augen, deren Weißes stärker als bei einem Türkis ins Bläuliche schimmerte. In der obersten Reihe der Zähne war eine Lücke entstanden; vor wenigen Tagen war ihm ein Vorderzahn plötzlich ausgefallen. Wenn er sprach, sah man es, und es wirkte um so unheimlicher, als die übrigen Zähne von großer Schönheit waren.

      In der Nacht kamen die Frauen. Schüchtern traten sie ein, ihre unschuldigen Blicke und Gebärden hielten jede Annäherung fern, die Augen waren niedergeschlagen, der Mund streng geschlossen. So reizten sie die Künste der Verführer zu äußerster Anstrengung. Langsam verwandelte sich ihr Wesen, die Wangen röteten sich, die begehrlichen Lippen öffneten sich, die Augen erstrahlten in einem krankhaften Feuer, sie lösten die Haare, streiften die Gewänder ab, mit tückischer Berechnung Stück um Stück, dann war jede Scham verschwunden und unter dem Lärm der Musik riß ihre Lust alles mit sich fort.

      Alexander schaute eine Weile gleichgültig in das Gewühl. Endlich erhob er sich und ging. Vor den Toren warteten gedeckte Sänften. Es regnete in Strömen.

      Lautlos lag Alexander und starrte nach der Hornlaterne, die von der Mitte der Sänfte herabhing. Das rötlichbraune Licht übergoß die silbergestickten Decken und Polster, daß es unruhig flimmerte wie bewegtes Wasser im Mondschein. Er horchte auf das Brausen und Klatschen des Regens. Es war ihm so einsam, als ob er sich mitten im Meer, in der Tiefe des Meeres befände. Sein Herz war zusammengeschnürt. Der Kopf schmerzte, die Lippen brannten ihm. Er lauschte angestrengt auf menschliche Laute von draußen. Nichts war zu hören als der eintönige Ruf des Verschnittenen, der den Trägern und Sklaven voranging. Ein lange andauernder Schauder überflog seinen Leib, vom Scheitel über den Nacken und die Schenkel lief es wie eiskaltes Öl bis zu den Fußsohlen hinab.

      Auf der Trümmerstätte des Marduktempels arbeiteten mehr als zwölftausend Menschen: Sklaven, Gefangene und Freie, Syrer, Baktrer, Ägypter und Hebräer, um den Sand, das zerbrochene Ziegelwerk, die Ton-und Alabasterplatten, die Basalt-und Granitblöcke, die vermorschten Zedernbalken und die ausgegrabenen Gefäße zu entfernen. Eine ungeheure Staubwolke lag über dem Platz, der so groß war wie eine griechische Stadt. Zweimal kamen Abgesandte der Hebräer zu Alexander. Sie flehten um ihren heiligen Festtag, den Sabbat; an diesem Tage wollten sie vom Frondienst befreit sein. Aus uralten Schriften bewiesen sie, daß ihr Gott selbst, den sie für den mächtigsten aller Götter hielten, am Sabbat geruht habe, nachdem er in sechs Tagen die Welt erschaffen.

      Diese Behauptung erregte schallende Heiterkeit unter den anwesenden Philosophen aus Griechenland. Aber die Chaldäer nahmen sich der Verhöhnten an. Sie leugneten nicht den Gott der Juden, sie leugneten nur seine Allmacht. Sie betrachteten ihn als einen dienstbaren Gott der großen Götter Babylons.

      Die Bitte der Hebräer war umsonst.

      Sie kamen zum drittenmal. Sie schickten ihre ehrwürdigsten Männer. Alexander hörte sie ruhig an, und als sie geendet hatten, sagte er finster: »Wenn ihr so fest an diesen Gott und seine Gesetze glaubt, so wendet euch doch an ihn und nicht an mich. Vielleicht vermag er etwas über mich.«