Felix Dahn

Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane


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sichtbarlich die Gnade des Himmels für den jungen König zu bezeugen.

      Die Kunde von der Einnahme von Neapolis und Rom durchflog das staunende Abendland, das bereits das Gotenreich in Italien als erloschen betrachtet hatte.

      Mit dankbarer Bewunderung erzählten die Kaufleute, die der kräftige Rechtsschutz, die Sicherung der Landstraßen durch umherziehende Sajonen und Reitergeschwader, der See durch die immer wachsame Flotte der Goten wieder in die verödeten Städte und Häfen der Halbinsel zog, von der Gerechtigkeit und Milde des königlichen Jünglings, von dem Flor seines Reiches, von dem Glanz seines Hofes zu Rom, wo er die aus Flucht und Empörung zurückkehrenden Senatoren um sich versammelte und dem Volke reiche Spendungen und schimmervolle Zirkusfeste gab.

      Die Könige der Franken erkannten den Umschlag der Dinge, sie schickten Geschenke: – Totila wies sie zurück, sie schickten Gesandte: Totila ließ sie nicht vor. Der König der Westgoten bot ihm offen Waffenbündnis gegen Byzanz und die Hand seiner Tochter; die awarischen und sclavenischen Räuber an der Ostgrenze wurden gezüchtigt: mit Ausnahme der wenigen noch belagerten Plätze, Ravenna, Perusium und einigen kleinen Kastellen, waltete Friede und Ruhe im ganzen Gotenreich, wie nur in den goldensten Tagen von Theoderichs Regiment.

      Dabei verlor aber der König die Weisheit der Mäßigung nicht. Er erkannte, trotz seiner Siege, die drohende Überlegenheit des oströmischen Reiches und suchte ernstlich Frieden mit dem Kaiser. Er beschloß, eine Gesandtschaft nach Byzanz zu schicken, die den Frieden auf Grund von Anerkennung des gotischen Besitzstandes in Italien anbieten sollte; auf Sizilien, wo kein Gote mehr weilte, – nie waren die gotischen Siedlungen auf dem Eiland zahlreich gewesen – wollte er verzichten; ebenso auf die von den Byzantinern besetzten Teile von Dalmatien, dagegen sollte der Kaiser vor allem Ravenna räumen, das keine Kunst oder Ausdauer der gotischen Belagerer zu gewinnen vermocht hatte.

      Als den geeignetsten Träger dieser Sendung des Friedens und der Versöhnung faßte der König den Mann ins Auge, der durch Ansehen und Würde der Person, durch hohen Ruhm der Weisheit auch im Ostreich getragen, durch Liebe zu Italien und den Goten ausgezeichnet war – den ehrwürdigen Cassiodor.

      Obwohl sich der fromme Greis seit Jahren von den Staatsgeschäften zurückgezogen hatte, gelang es der Beredsamkeit des jungen Königs, ihn zu bewegen, für jenen hohen, gottgefälligen Zweck die Einsamkeit seiner Klosterstiftung zu verlassen und die Mühen und Gefahren einer Reise nach Byzanz zu unternehmen. Jedoch unmöglich konnte er dem alten Mann die Last einer solchen Sendung allein aufbürden: er suchte nach einem jugendkräftigen Gefährten von ähnlicher Milde christlicher Gesinnung, nach einem zweiten Apostel des Friedens. –

      Wenige Wochen nach der Einnahme von Rom trug ein königlicher Bote folgendes Schreiben über die cottischen Alpen in die Provence: «An Julius Manilius Montanus, Totila, den sie der Goten und Italier König nennen.

      Komm, mein geliebter Freund, komm zurück an meine Brust!

      Jahre sind verstrichen: viel Blut, viele Tränen sind geflossen: in Schreck und in Freude hat sich mehr als einmal alles um mich her verwandelt, seit ich dir zum letztenmal die Hand gedrückt. Alles hat sich verwandelt um mich her: aber nichts in mir, nichts zwischen dir und mir. Noch verehre ich alle die Götter, an deren Altären wir gemeinsam in den ersten Träumen der Jugend geopfert, sind auch diese Götter mit mir selbst gereift.

      Du wichest vom italienischen Boden, als Bosheit, Gewalt, Verrat, als alle dunkeln Mächte darauf wüteten. Siehe: sie sind verschwunden, hinweggefegt, hinweggesonnt: fernab ziehen grollend die besiegten Dämonen, ein Regenbogen wölbt sich schimmernd über diesem Reich.

      Mich aber hat, nachdem bessere Kräfte glücklos, sieglos erlegen, mich hat der Himmel begnadigt, das Ende des furchtbaren Gewittersturmes zu schauen und die Saat zu streuen einer neuen Zeit. Komm nun, mein Julius: hilf mir jene Träume erfüllen, die du dereinst als Träume belächelt. Hilf mir, aus Goten und Italiern ein neues Mischvolk schaffen, das beider Vorzüge vereint, das beider Fehler ausschließt. Hilf mir erbauen ein Reich des Rechts und des Friedens, der Freiheit und der Schönheit, geadelt durch italische Anmut, getragen durch germanische Kraft.

      Du hast, mein Julius, der Kirche ein Kloster gebaut – hilf mir nun, der Menschheit einen Tempel zu bauen.

      Einsam bin ich, Freund, auf der Höhe des Glücks.

      Einsam harrt die Braut der vollen Lösung des Gelübdes entgegen. Den treuen Bruder hat mir der Krieg geraubt. Willst du nicht kommen, mein dioskurischer Bruder? In zwei Monaten warte ich dein im Kloster zu Taginä mit Valeria.

      Und Julius las, und mit gerührter Seele sprach er vor sich hin: «Mein Freund, ich komme.»

      *

      Ehe König Totila von Rom nach Taginä aufbrach, beschloß er, eine Schuld tiefen Dankes abzutragen und ein Verhältnis würdig, das heißt schön, zu gestalten, das bisher seiner nach Harmonie verlangenden Seele nicht entsprach: sein Verhältnis zu dem ersten Helden seines Volkes, zu Teja.

      Sie waren seit früher Knabenzeit befreundet. Obwohl Teja um mehrere Jahre älter, hatte er doch die Tiefe des Jüngern unter der glänzenden Hülle des Frohsinns von je erkannt und geehrt. Und ein gemeinsamer Zug zum Schwungvollen und Idealen, ja ein gewisser Stolz und Hochsinn hatte sie früh zueinander gezogen.

      Später freilich hatte entgegengesetztes Geschick die von Anfang verschieden angelegten Naturen weit auseinander geführt. Die sonnenhelle Art des einen war wie blendende Verletzung grell in das nächtige Dunkel des andern gefallen.

      Und Totila hatte in rascher Jugendlust das Düster des Schweigsamen, das er in seinem Wesen nicht begriff, in seinen Ursachen nicht kannte, nach wiederholten warmen Versuchen der Umstimmung als krankhaft von sich ferngehalten. Des milderen Julius, obzwar auch ernste, aber sanftere Weise, dann die Liebe, hatte den Freund aus der Knabenzeit zurückgedrängt.

      Aber die letzten reifenden Jahre seit dem mächtigen Blut-und Bruderbund, die Leiden und Gefahren seit dem Tod des Valerius und Miriams, dem Brand von Neapolis, der Not vor Rom, dem Frevel zu Ravenna und Castra Nova und zuletzt die Pflichten und Sorgen des Königtums hatten den Jüngling, den ungeduldig fröhlichen, so voll gereift, daß er dem dunklen Freunde voll gerecht werden konnte.

      Und was hatte dieser Freund geleistet, seit jener Bundesnacht! Wenn die andern alle müde erlahmten: Hildebads Ungestüm, Totilas Schwung, Witichis’ ruhige Stete, selbst des alten Hildebrands eisige Ruhe – zu Regeta, vor Rom, nach Ravennas Fall und wieder vor Rom: was hatte er nicht geleistet! Was schuldete ihm das Reich!

      Und er nahm keinen Dank. Wie eine Kränkung hatte er es abgewiesen, als ihm schon Witichis die Herzogwürde, Gold und Land bot. Einsam, schweigend schritt er schwermütig durch die Straßen Roms, im Sonnenschein von Totilas Nähe der letzte Schatten. Die schwarzen Augen tief gesenkt, stand er zunächst an des Königs Thron. Wortlos stahl er sich von des Königs Festen. – Nie kamen Rüstung und Waffen von seinem Leibe. Nur im Kampfe lachte er manchmal, wann er mit den Tod verachtender oder den Tod suchender Kühnheit in die Speere der Byzantiner sprang, dann schien ihm wohl zu sein, dann war alles an ihm Leben, Raschheit und Feuer.

      Man wußte im Gotenvolk, zumal Totila wußte es noch aus frühester Jünglingszeit, daß die Gabe des Gesanges in Lied und Wort dem trauervollen Helden eigen war. Aber seit er aus seiner Gefangenschaft in Griechenland zurückgekehrt war, hatte man nie ihn bewegen können, eines seiner glühenden, tief verhaltenen Lieder anzustimmen vor andern. Doch wußte man, daß die kleine dreieckige Harfe seine Begleiterin in Krieg und Frieden war, unzertrennlich wie sein Schwert an ihn gebunden. Und in der Schlacht im Ansturm hörte man ihn wohl manchmal wilde abgerissene Zeilen singen zu dem Takt der gotischen Hörner.

      Und wer ihn in der Nacht beschlich, die er gern im Freien, zwischen der Wildnis von weißem Marmor und dunklem Gebüsch, in den römischen Ruinen verbrachte, der mochte wohl manchmal eine verlorene Weise seiner Harfe erlauschen, zu der er träumerische Worte sang. Fragte ihn aber einer – was selten gewagt wurde –, was ihm fehle, so wandte er sich schweigend ab. Einmal nach der Einnahme Roms antwortete er Herzog Guntharis auf die gleiche Frage: «Der Kopf des Präfekten.»

      Der einzige, mit dem er häufiger verkehrte, war Adalgoth, dessen er sich