Felix Dahn

Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane


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und Sagen mitgebracht, obzwar mit geringerer Schulung. Teja hatte Freude an seiner Gabe gefunden: und man sagte, er lehre ihn geheim seine überlegne Kunst, obwohl sie zueinander stimmten wie Nacht und Morgenglanz. «Eben drum», hatte Teja gesagt, als ihm sein tapferer Vetter Aligern dies vorhielt. «Und es muß doch noch was übrigbleiben, wenn die Nacht versank.» –

      Der König fühlte: das einzige, was diesem Mann zu bieten war, hatte er zu bieten, aber nicht Gold, Land und Würden.

      Eines Abends – schon traten die Sterne aus dem rasch dunkelnden Himmel – machte sich der König auf von dem Abendgelag in seinem Palast (dem Haus der Pincier, in welchem Belisarius gewohnt hatte), ohne Begleitung den scheuen Helden zu suchen in der Wildnis von Gestein und Lorbeer, welche die Gärten des Sallust erfüllten, und wo Teja, wenn er in Rom war, zu hausen pflegte.

      Adalgoth, der Mundschenk, hatte sich für den Abend Urlaub von des Königs Tafel erbeten: dieser erriet, daß er die dunkelnden Stunden, wie so oft, bei dem dunklen Harfenmeister verbringen werde. Der König wußte daher, er werde Teja in seiner Gartenwildnis finden.

      Wirklich weilten Lehrer und Schüler diese Nacht unter dem Schatten uralter römischer Pinien und Zypressen, gotische Harfenkunst pflegend.

      «Nun horch’ einmal, Graf Teja», hob der Jüngling an, «was ich da aus deinen neulich angefangenen Zeilen weiter ersonnen habe. Bei dir ist wieder alles so traurig! Das Ende, der hoffnungslose Sprung in den Strom! Ich habe das viel lustiger gewendet.»

      «Wenn’s nur auch so wahr ist.»

      «Ei, wenn’s nur schön ist! Und wahr! Ist denn nur das wahr, was traurig ist?»

      «Leider: ja.»

      «Gibt’s keine Freude in der Welt?»

      «O ja! Aber sie währt nicht lang. Der Ausgang ist immer – Untergang.»

      «Nun, aber doch oft erst recht spät. Und was zwischen Aufgang und Untergang liegt – hat das keinen Wert? Ist’s nicht auch ein Gang?»

      «Ja, es soll sein: Heldengang.»

      «Nun, so höre nur. Ich habe deinen Aufgang beibehalten: in der Mitte Trauergang: dann Siegesgang. – Aber deinen Untergang hab’ ich weggelassen. Bei dir springen sie hoffnungslos in den Iserstrom. Ich aber habe unsern alten Waffenmeister Hildebrand…» –

      «Wenn er doch endlich Ravenna hätte!»

      «Und unseren großen König Dietrich als Kind, als geretteten Erben, habe ich ihn hineingebracht. Und das Ganze will ich nächstens bei einem großen Königsfest dem lieben Herrn vorspielen. Aber wohlverstanden: ich hab’ es in der neuen Klingweise gesetzt, die du mich gelehrt hast, und die viel mehr das Ohr gewinnt und die Seele befängt, als der alte Stabreim, nach dem unsere Heldengesänge und die Vorzeitsprüche gesetzt sind. Woher hast du nur die Klingweise am Schluß der Zeilen genommen?»

      «Die Mönche singen so die lateinischen Lieder und die Priester in der Kirche: ich hörte es einmal, abends, im Dämmerlicht in der Basilika Sankt Peters. Die Vorhänge der Kirche waren zurückgeschlagen, das Abendlicht flutete träumerisch herein, die Kerzen am Altar gaben ihren roten Schein dazu, Weihrauchwolken zogen duftend dazwischen, und unsichtbare Priesterknaben sangen mit hellen Stimmen aus der Krypta, wo sie einen Toten bargen. Da zuerst hörte ich den Klang, der gleich ist und doch wieder nicht ganz gleich, und zauberhaft umfing der Wohlklang mein Gehör, und ich versuchte in unsrer Sprache das gleiche nachzubilden, und siehe da: wunderbar gelang es.»

      «Ja, es passen die Schlußklänge zusammen wie – wie der Helm auf das Haupt – wie das Schwert in die Scheide. Wie Lippe auf Lippe im Kuß.»

      «Ei, weißt du auch davon schon? Das ist früh!»

      «Ich habe nur meine schöne Schwester Gotho geküßt», sagte der Jüngling errötend.

      «Nun, aber der Gleichklang! Für vieles ist er wohl lieblich. Aber du mußt der Väter Weise nicht ganz versäumen: den runenheiligen Stabreim.»

      «Ja, für manches ist er wie angeboren und viel kräftiger geeignet als der hinschmelzende Klangreim. Weißt du, wenn die Stäbe, die starken, stolz anstimmen, so mahnt es mich mächtig des wehenden Windes, der im Walde durch die Wipfel dahinwogt, beugend und biegend Baum nach Baum.»

      «Dir, lieber Knabe, hat der Gott des Gesangs wirklich die Lippen berührt. Auch wenn du’s nicht weißt und willst, überkommt dich der Schrittgang des Wohllauts, wie die Rede ihn heischt und der Sinn ihn ersehnt. Nun sage: wie lautet mein Lied von der Gotentreue in deiner Verjüngung?»

      «Ich fange an wie du:

      ‹Erschlagen war mit dem halben Heer

       Der König der Goten, Theodemer.›

      Und so fort. Aber wenn sie dann alle verzweifeln und hoffnungslos in den Strom springen wollen, dann kommt bei mir die Hoffnung, die Erlösung, der Blick in die gerettete Zukunft. Nämlich so:

      ‹Erschlagen war mit dem halben Heer

       Der König der Goten, Theodemer.

       Die Heunen jauchzten auf blutiger Wal:

       Die Geier stießen herab zu Tal.

       Der Mond schien hell, der Wind pfiff kalt: –

       Die Wölfe heulten im Föhrenwald

       Drei Männer ritten durchs Heidegefild

       Den Helm zerschroten, zerhackt den Schild.

       Der Erste über dem Sattel quer

       Trug seines Königs zerbrochnen Speer.

       Der Zweite des Königs Kronhelm trug,

       Den mitten durch ein Schlachtbeil schlug.

       Der Dritte barg mit treuem Arm

       Ein verhüllt Geheimnis im Mantel warm. –

       So kamen sie an die Donau tief: –

       Und der Erste hielt mit dem Roß und rief:

       «Ein zerhau’ner Helm, ein zerhackter Speer –

       Von dem Reiche der Goten blieb nicht mehr!»

       Und der Zweite sprach: «In die Wellen dort

       Versenkt den traurigen Gotenhort.

       Dann springen wir nach von dem Uferrand: –

       Was säumest du – Meister Hildebrand?»

       «Und tragt ihr des Königs Helm und Speer,

       Ihr treuen Gesellen – ich trage mehr!»

       Auf schlug er seinen Mantel weich:

       «Ich trage der Goten Hort und Reich!

       Und habt Ihr gerettet Speer und Kron:’ –

       Ich habe gerettet – des Königs Sohn!

       Erwache mein Knabe: ich grüße dich:

       Du König der Goten – Jung Dietrich!»›

      «Ist auch gar nicht übel. Aber wahr ist…»

      «Wahr ist wohl nur, was dir in Gesichten der höchsten Trauer naht? Sage, wie geht jenes andre, das Traumgedicht weiter?»

      «‘s kein Traum ganz. Und kein Gedicht ganz. Ich fürchte, es wird die ganze Wahrheit.

      Ich hatte vor dem Einschlafen lang an Gelimer, den letzten König der Vandalen gedacht, den tapfern Mann, dem zuletzt nichts geblieben von seinem schimmervollen Reich als die Harfe, darauf er in den Felsgebirgen Afrikas seine Trauer sang. Allmählich versank ich in leisen Schlummer, oder doch in Traum. Da sah ich vor mir eine Landschaft Campaniens: schön, wie kaum eine andre dieses wundersamen Landes. Die Bucht von Neapolis, die blauen Wogen von Bajä, sonnenbeglänzt im Vordergrund. Im Hintergrund der gewaltige Berg mit dem Feueratem und der Rauchwolke» –

      «Wie heißt er doch?» forschte begierig der Hirt.

      «Mons Versuvius. Von seinen Schluchten aber herab stieg, traurig, doch todes-trotzig, eine Kriegerschar in unsern, in den gotischen Waffen: blutbedeckt,