Zeit schlecht geschlafen. Ich will einfach zu Hause einen entspannten Abend verbringen. Alleine.«
»Wie aufregend.« Louis streckte seinen Daumen in Richtung Darian. »Du bist ja bald genauso schlimm wie der da, den kriegt man auch nicht mehr aus dem Haus.«
Darian nahm einen kleinen Schluck Kaffee aus einem Styroporbecher. »Tut mir leid, dass ich deinen Enthusiasmus für O'Learys Arterien verstopfende Köstlichkeiten nicht teilen kann.«
»Ich hoffe halt, dass sie mich schnell umbringen.« Louis fuhr sich mit der Hand durch seine dichten, blonden Haare. Obwohl er sie immer sehr gewöhnlich stylte, waren sie definitiv sein auffälligstes Merkmal.
Mit dreiunddreißig Jahren war Louis der jüngste der drei Männer. Er war eher klein und stämmig und hatte immer einen sehr gesunden und kräftigen Eindruck gemacht, was sich allerdings in den letzten Monaten etwas verändert hatte. Es wirkte so, als ob sein Singlelifestyle, den er seit seiner Scheidung vor drei Jahren immer anpries, ihm langsam zusetzen würde. Zumindest hatte er bestimmt 15 Kilo zugenommen, die ihn selbst in seiner Arbeitskleidung – Anzug und Krawatte – ein wenig ungepflegt und plump wirken ließ. »Na gut, ihr alten Sesselpuper, dann macht doch, was ihr wollt«, sagte er. »Ich gehe einen trinken und werde mich amüsieren. Ihr wisst doch noch, was Spaß ist, oder?«
»Klar, das steht genau zwischen Spasmus und Spastiker im Wörterbuch«, sagte Darian, »denk mal drüber nach!«
Louis und Darian taten ihr Bestes, einen lockeren Eindruck zu machen, aber für Seth war es offensichtlich, dass alles nur Show war. Diese Nacht vor einem Jahr hatte sie beide verändert. Genau wie ihn selbst. Vor allem Louis aber schien in letzter Zeit abzubauen.
»Habt Ihr schon das Neueste von Becky gehört«, fragte er abrupt. »Sie hat mich gestern Abend angerufen. Jetzt haltet euch fest: Sie und ihr neuer Freund ziehen nächsten Monat nach Montana und sie will die Kinder mitnehmen. Könnt ihr diese Scheiße fassen?«
»Um Himmels willen, Louis, kann sie das denn machen?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich könnte gerichtlich dagegen vorgehen, aber diese Richter sind alle Wichser. Es kommt so gut wie nie vor, dass sie Müttern ihre Kinder wegnehmen, und mir würden sie das Sorgerecht sowieso nicht geben. Nicht nach dieser blöden Geschichte.«
Vor ein paar Monaten war Louis verhaftet worden, weil er dem Freund seiner Ex-Frau in einem Streit bezüglich der Kinder ins Gesicht geschlagen hatte. Seit Seth ihn kannte, war er bis zu diesem Vorfall nie gewalttätig geworden. Er hatte zwar immer eine große Klappe gehabt, seinen Worten aber nie Taten folgen lassen. Selbst das hatte sich geändert. »Und was ist in Montana?«
»Kühe?« Louis lachte frustriert. »Der Vater von ihrem Freund hat da einen großen Autoladen, jetzt will er in Rente gehen und das Ganze seinem Sohn überlassen. Klingt so, als würde es den Kids dann an nichts fehlen, aber ich werde sie natürlich kaum noch zu Gesicht kriegen.«
Seine Tochter Danielle war erst fünf, sein Sohn Louis Junior sieben. Das schien Seth eine besonders ungünstige Zeit, um mit Kindern umzuziehen und sie zu zwingen, ein komplett neues Leben zu beginnen – und das auch noch so weit weg von ihrem Vater. Obwohl der Schmerz in den Augen seines Freundes intensiv zu sehen war, dachte Seth sich seinen eigenen Teil. Er wusste, dass Louis bei Weitem kein Heiliger war. Er trank zu viel, aß zu viel und war nicht gerade ein Vorzeigeehemann gewesen. Was aber niemand bestreiten konnte, war, dass er seine Kinder wirklich aufrichtig liebte. Obwohl Louis immer den harten Burschen spielte, konnte Seth sich nicht vorstellen, dass er es lange ohne seine Kinder aushalten würde.
»Was willst du jetzt machen?«
»Es gibt nicht viel, das ich machen kann«, sagte er in einem ungewöhnlich sanften Tonfall. »Ich muss sehen, dass ich irgendwie damit klarkomme. Ich muss meinen Kids sagen, dass ich sie so oft ich kann, besuchen werde, und zu Gott beten, dass sie nicht vergessen, wer ich bin.«
»Vielleicht solltest du dazu Urlaub nehmen«, schlug Seth vor, »eine Pause machen und das Ganze in Ruhe austüfteln.«
»Wir könnten mit Sicherheit alle ein bisschen Abstand von dem Laden hier brauchen.« Darian stand auf, ging um den Tisch und warf seinen Kaffeebecher in den Mülleimer. Auf dem Weg zurück streckte er die Hand aus, gab Louis einen bestärkenden Klaps auf die Schulter und wandte sich Seth zu. »Du solltest auf jeden Fall das Beste aus deinem Urlaub machen und dich anständig erholen!« Mit seiner durchschnittlichen Größe und dem raspelkurzen Haar, das auf den ersten Blick wie eine Glatze aussah, war Darian optisch fast das genaue Gegenstück zu Louis. Er sah schon einigermaßen gut aus, hatte ein umwerfendes Lächeln und einen schlanken Körperbau. Er trug stets eine Brille und einen ordentlich gestutzten Kinnbart, seine Stimme und sein Auftreten waren immer so entspannt, das es manchmal schon fast unheimlich war. »Wir halten hier die Stellung, mach dir keine Sorgen.«
»Ich? Sorgen?« Seth lächelte, schnappte sich seinen Aktenkoffer und ging in Richtung Tür.
Louis schnitt eine Grimasse und schielte. »Dankt Gott für Mother!«
Weil er der Älteste in der Gruppe war und seine sehr kontrollierte Art und Weise manchmal etwas Mütterliches hatte, nannten ihn seine engsten Freunde Mother. Und auch, wenn er selbst manchmal die Augen verdrehte, wenn sie diesen Spitznamen benutzten, wussten alle, dass es ihm insgeheim eigentlich ganz gut gefiel. Darian war ein ruhiger, selbstsicherer Mann, der immer den Eindruck vermittelte, zu wissen, wer er war, woher er kam und wohin er wollte. Er war ein Arbeitsmensch, der seine Karriere ernst nahm und seinen Job mit einer fast schon besessenen Akribie machte. Obwohl er manchmal zynisch war, überschritt er nie die Grenze zum Boshaften und war nicht so ein Klugscheißer wie Louis, obwohl er eigentlich viel mehr Grips hatte. Er war 38 Jahre alt, schon viele Jahre glücklich mit seiner Frau Cynthia verheiratet und hatte eine Tochter namens Debra, die gerade neun geworden war. Für Darian gab es nur die Firma, seine Familie, ein paar ausgewählte enge Freunde und sonst so gut wie nichts. Seth fand ihn zwar manchmal etwas zu starr in seinen Prinzipien, doch er respektierte das.
»Amen!« Seth winkte zum Abschied lässig in die Runde. »Bis bald, Jungs.«
Als er in den Flur hinausging, folgte im Darian. »Hey«, sagte er leise, »wart mal einen Moment.«
»Was gibt's?«
»Du siehst ziemlich gestresst aus.«
»Sehe ich nicht immer so aus?«
Diesmal lächelte Darian nicht. »Im Ernst, ist alles in Ordnung?«
Schon seit Monaten umtänzelten sie sich auf diese Art. Annähern und wieder ausweichen, sich gegenseitig testen und aushorchen, ohne etwas von sich selbst preiszugeben. »Ich bin einfach müde«, sagte Seth. »Wie gesagt, ich habe in letzter Zeit nicht gut geschlafen.«
Darian sah so aus, als wollte er etwas sagen, doch er zögerte, dachte einen Moment nach und erwiderte dann: »Ich mache mir nur Sorgen um dich, das ist alles.«
»Und selbst?«
»Ich? Äh – alles in Ordnung.«
»Und Louis, ist bei dem auch alles in Ordnung? Er sieht nicht gut aus, Mother. Er benimmt sich komisch.«
Darian nickte wissentlich, und beide schwiegen für ein paar Sekunden. »Hast du in letzter Zeit mal mit Peggy gesprochen?«
Seth zuckte mit den Schultern. »Es ist kompliziert.«
»Ja, kann ich mir vorstellen.«
»Ich habe ein paar Probleme, an denen ich arbeiten muss.« Wieder einmal wartete Seth und hoffte, dass Darian anbeißen würde. Aber das tat er nicht. »Das geht uns wohl allen so.«
Darian sah sich um, als wollte er sichergehen, dass sie immer noch alleine waren. »Wie läuft das mit deiner Therapie? Hast du … meinst du, es hilft dir?«
»Ist noch ein bisschen früh zu sagen, aber ich glaube schon.«
»Gut, das … das ist gut.«
»Wieso, willst du es auch probieren?«
»Ach, ich wollte nur mal wissen, wie es läuft, das ist alles.« Darian kam näher, seine Miene war todernst. »Sag mal … du hast der Therapeutin doch nichts über diese Nacht erzählt, oder?«