Druck gesetzt. Obwohl er Kinder mochte, machte ihm der Gedanke, Vater zu werden, unglaubliche Angst. Dementsprechend war er über diese Nachricht weitaus weniger schockiert, als Peggy es war. In ihrem Wesen veränderte sich etwas spürbar – auch wenn es keine dramatische Veränderung war, wusste Seth, dass ein kleiner Teil von ihr unwiederbringlich verloren war. Als Ersatz wurde Peggy eine wundervolle Tante für die Kinder ihrer Schwester und liebte sie aus tiefstem Herzen, aber natürlich war es nicht dasselbe.
»Ich wollte nie unbedingt Mutter werden«, sagte sie eines Nachts, als sie zusammen kuschelnd im Bett lagen. »Es war mir nie wirklich wichtig. Erst als ich dich kennengelernt habe, fing ich an, ernsthaft darüber nachzudenken. Es schien so ein naheliegender Schritt zu sein, dass wir ein Kind in die Welt setzen. Unser Kind. Zusammen.«
»Tut mir leid«, flüsterte Seth immer wieder und hielt sie so fest, wie es ging. Es war das Einzige, was er dazu sagen konnte.
»Es ist nicht so schlimm, solange wir uns haben.«
Am Anfang hatte Peggy Seth einen Grund gegeben, sich auf etwas anderes zu konzentrieren, als seine Komplexe. Sie wurde für ihn der Grund, morgens aufzustehen, zur Arbeit zu gehen, sich anzustrengen. Sie gab ihm die Möglichkeit, für jemanden da zu sein, sich wieder lebendig zu fühlen, zu lieben und geliebt zu werden. Und auch wenn die Tatsache, dass sie keine Kinder bekommen konnte, einen leichten Schatten auf ihr Eheglück warf, war die Bindung zwischen ihnen doch sehr stark. Seth war sich sicher, dass sie für immer zusammenbleiben würden.
Doch dann kam der Ausflug nach Maine, die Tage und Nächte in der Hütte, der Schneesturm und das Verschwinden von Raymond und Christy …
Er zog sich zurück, wurde introvertierter und stiller, er schloss Peggy aus seinem Inneren aus, ohne es selbst zu merken. Die Fröhlichkeit und bedingungslose Akzeptanz, die ihre Ehe so stabil gemacht hatte, bröckelte immer mehr, bis Seth einen Entschluss fasste. Nach neun Jahren des Zusammenlebens verließ er Peggy und zog in einen Wohnblock in einem südlichen Vorort von Boston.
»Ich will nicht, dass du gehst, aber wenn du nicht mehr hier sein willst, halte ich dich nicht auf.«
Selbst Monate später spukten ihre Worte noch in seinem Kopf herum, und obwohl sie rechtlich gesehen immer noch verheiratet waren, blieben sie getrennt. Doch obwohl ihre Leben jetzt unabhängig voneinander verliefen, hatten sie doch auf vielerlei Arten noch miteinander zu tun. An manchen Tagen schien ihre unbeschwerte Zweisamkeit so unendlich weit weg, doch an anderen wirkte sie immer noch greifbar, als gäbe es weiterhin eine Chance. Also hatte er sich diesen entfernten Hoffnungsschimmer gepackt und hielt ihn fest, so gut er konnte. In der Finsternis, und manchmal sogar bei Tag, war er das Einzige, was er hatte.
***
Als der Verkehrsstau sich endlich auflöste, kehrte Seths Aufmerksamkeit auf die Straße zurück, und seine Gedanken konzentrierten sich auf den hoffentlich ruhigen Abend, der vor ihm lag.
Als er auf den Parkplatz seines Wohnhauses einbog, prasselte der Regen immer noch herab. Er benutzte seinen Aktenkoffer als Regenschirmersatz und beeilte sich, das schützende Foyer zu erreichen. Dort nahm er den Fahrstuhl in den dritten Stock und durchquerte den ruhigen, mit Teppich ausgelegten Flur zu seinem Appartement. Er schloss die Tür auf, ging hinein und schaltete das Licht im Flur an, der direkt zum Wohnzimmer führte.
Nachdem er nur wenige Schritte getan hatte, spürte er eine merkwürdige Präsenz in der Wohnung. Und während dieser Gedanke sich noch zu formen begann, registrierte er die Bewegung eines Schattens im Randbereich seiner Wahrnehmung.
Sein Herz rutschte ihm in die Hose, während er den Aktenkoffer wie einen Schild vor seine Brust hielt – doch er wusste, dass es zu spät war. Der Eindringling hatte ihn so gut wie erwischt.
KAPITEL 6
Die schattenhafte Gestalt machte einen Schritt nach vorne und wurde zu Raymond.
»Entspann dich!«
»Grundgütiger«, sagte Seth, während sein Puls sich langsam normalisierte. »Du hast mir einen Riesenschreck eingejagt, Ray!«
Er war immer noch teilweise vom Schatten verhüllt und machte keine Anstalten, sich zu bewegen oder etwas zu sagen.
Seth stellte seinen Koffer ab. »Wie bist du hier reingekommen?«
»Investier' mal in ein Stangenschloss.« Raymond deutete in Richtung Tür. »Das Ding ist scheiße.«
Seth war sich nicht sicher, was er dazu sagen sollte, und schaute ihn vorwurfsvoll an.
»Keine Sorge, ich hab nichts kaputt gemacht. Ich weiß, was ich tue!«
»Das ist ja beruhigend.« Ihm fiel auf, dass Raymonds Haare nass waren, und dass seine Kleidung – eine abgewetzte, braune Lederjacke, alte Jeans, Stiefel und ein Sweatshirt – ebenfalls feucht wirkte. Er konnte noch nicht lange hier sein. »Du bist also ein richtig guter Einbrecher geworden, herzlichen Glückwunsch!«
Stille hüllte den Raum ein, während die Brüder sich schweigend anstarrten. Nur der Regen hämmerte gegen die Fensterscheiben und brachte ein wenig Leben in diese unangenehme Ruhe.
Raymond trat einen Schritt auf ihn zu. »Ist schön, dich zu sehen, Mann!«
Bevor er es verhindern konnte, huschte auch schon ein Lächeln über Seths Gesicht. »Ja, schön, dich zu sehen, Ray.« Er lehnte sich ihm entgegen und die beiden umarmten sich. »Aber du hättest doch warten können, bis ich zu Hause bin.«
»Es regnet draußen!«
Seth trat einen Schritt zurück und musterte seinen Bruder von oben bis unten. »Bist du in Ordnung?«
Er zuckte mit den Schultern.
Seth ging zum Sofa und setzte sich, seine Nerven hatten sich inzwischen von dem Schock erholt. »Hast du irgendwelchen Ärger, von dem ich wissen sollte?«
»Kommt drauf an, welche Art von Ärger du meinst!«
»Ich meine es ernst, Raymond. Tut mir leid, dass ich so was fragen muss, aber ich möchte keine Probleme bekommen.«
»Du meinst zusätzliche Probleme.«
Seth schüttelte den Kopf. Sein Bruder war immer eine seiner größten Schwachstellen gewesen. Egal, was er tat, oder wie alt und abgebrüht Raymond auch wurde, Seth sah in ihm immer nur den kleinen Jungen, der er einst war. Für ihn würde Ray für immer der unschuldige, kleine Bruder bleiben, der an seinen Fersen klebte und zu ihm aufschaute, der panische kleine Junge, der durch die Nacht rannte, als hinge sein Leben davon ab.
Ich verdiene es nicht, dass du mich so verehrst, Ray – Habe ich nie getan. »Die Polizei – oder Schlimmeres – wird aber nicht an meine Tür klopfen, oder?« »Ich bin nicht auf Bewährung draußen oder so was, falls du das meinst.« Einige Monate zuvor hatte Seth einen Brief von Raymond aus einem Bezirksgefängnis in Indiana bekommen, wo er wegen Autodiebstahls einsaß. Seitdem hatte er nichts von ihm gehört. »Ist diese Sache in Indiana erledigt?« »Ich hab eines Abends zu tief ins Glas geschaut und wollte nicht nach Hause laufen … war aber ne richtige Scheißkarre, mit der hätte man nicht mal einen Zeitungsjungen abhängen können! Der Richter war wegen meiner Vorstrafen leider besonders streng. Aber ich habe meine sechzig Tage abgesessen und war frei.« »Und dann hast du beschlossen, mich zu besuchen?« »Erst mal hab ich eine Weile gearbeitet, um ein paar Taler zusammenzusparen, aber dann halt.« »Wie bist du denn hierher gekommen?« »Ich hab ein Auto gemietet.« Raymonds Gesichtsausdruck wurde etwas nervös. »Also … ich hab es mir ausgeliehen … du weißt, was ich meine.« »Um Himmels willen, Ray, du bist einunddreißig Jahre alt, hört das denn nie auf?« »Wann hört was auf?« »Dieser Blödsinn.« »Dieser Blödsinn ist mein Leben.« »Nur, weil du es so haben möchtest.« »Ich brauche jetzt keine Predigt von dir, okay?« Seth schaute weg, als eine weitere Welle unangenehmer Stille den Raum erfüllte. Raymond band seine Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen und fixierte ihn mit einem Gummiband, das er aus einer Tasche zog. »Ich hatte dir in meinem letzten Brief geschrieben, dass ich herkomme, sobald ich wieder draußen bin. Tja, Abrakadabra, hier bin ich!« »Ich hätte dir doch das Geld für einen Bus oder Zug schicken können, Ray, du hättest doch nicht schon wieder–« »Scheiße, Mann, ich dachte, du würdest dich freuen,